Verdis frühes Juwel

Giuseppe Verdi I due Foscari, Salzburger Festspiele, 14. August 2017

Fotos © Salzburger Festspiele / Marco Borrelli
Giuseppe Verdi, I Due Foscari,
Salzburger Festspiele, Großes Festspielhaus, 14. August 2017

Plácido Domingo: Francesco Foscari
Joseph Calleja: Jacopo Foscari
Guanqun Yu: Lucrezia Contarini
Roberto Tagliavini: Jacopo Loredano
Bror Magnus Tødenes: Barbarigo
Marvic Monreal: Pisana
Jamez McCorkle: Fante del Consiglio
Alessandro Abis: Servo del Doge
Philharmonia Chor Wien
Walter Zeh:
Choreinstudierung
Mozarteumorchester Salzburg
Michele Mariotti:
Musikalische Leitung

Verdis frühes Juwel – eine Nachbetrachtung

von Antonia Tremmel-Scheinost

Wer nicht aufhören will, muss weitermachen. Ein lapidares Bonmot, das sich als Wahlspruch Placido Domingos geradezu aufdrängt. Eine Karriere auf fremden Pfaden.

Nahezu jeder klassik-affine Mensch ist mit den großen Opern Giuseppe Verdis vertraut. Aida, Rigoletto, Otello, Violetta… Sie alle schrieben Musikgeschichte und treffen die Hörerschaft landauf landab immer noch ins Mark. So überragend wie des Meisters Heldenstreiche war auch die Bedeutung von Placido Domingos tenoralem Schaffen. Populär und kommerziell erfolgreich wie kaum ein Anderer, ist die Marke Domingo beliebt wie eh und je.

Des Spaniers Alterssitz im Baritonfach ist trotz alledem höchst umstritten. Für einen Tenor verfügte Domingo zwar schon immer über eine erstaunliche Tiefe (er begann seine Ausbildung ursprünglich sogar als Bariton), aber die charakteristische Herbheit, dieses dunkel-bronzene, sichere Fundament eines genuinen Baritons wird ihm nie zu eigen sein. Obwohl der Zahn der Zeit sein Organ in der hohen Lage mindestens um eine Terz nach unten befördert hat, fehlt dem Altstar der virile, kernige Stimmcharakter, der baritonalen Verdi-Partien inhärent ist. Seinem nun mehr mittellagigen Tenor haftet nach wie vor ein zu helles Timbre an und über diese Tatsache täuscht auch seine ungeheuer intensive Bühnenpräsenz nicht hinweg. Zudem stellt die Verdi‘sche hohe Lage für andere Fachvertreter eine Ausnahmelage dar, die gerade dadurch ihren Reiz bekommt. Placido bewältigt dies selbstverständlich spielend und seine Sangeskunst verliert somit nicht selten an Kitzel.

I due Foscari 11.8.17 Plácido Domingo, Francesco Foscari Philharmonia Chor Wien Mozarteumorchester SalzburgNichtsdestotrotz obliegt es der Musikwelt dem Altmeister Respekt zu zollen. Alle Töne sind vorhanden und eine unverwechselbare Stimme und beeindruckende Bühnenpräsenz paart sich mit schier grenzenlosem Charisma. Chapeau, wenn man mit solch einer kolossalen Karriere noch den Mut aufbringt, sich in fremde Gefilde zu wagen! In seinem gefühlt zehnten Frühling stehend, schreibt der Charismatiker vom Dienst also auch noch mit annähernd 80 Jahren Operngeschichte – vor über 40 Jahren debütierte Domingo bei den Salzburger Festspielen (als Don Carlo unter Karajan)!

Es galt eine Rarität zu bewältigen; diesmal gab Domingo einen der „Due Foscaris“. Nichts Neues für einen Veteranen wie Placido, sang er doch den greisen Dogen Francesco Foscari unter anderem in Wien und Mailand.

Foscaris Misere ist geradezu sinnbildlich für Domingos eigene Stellung im Opernbetrieb, denn auch dieser Veteran will nicht zum Abtreten gezwungen werden und widersetzt sich eindrucksvoll.

In der Salzburger Festspielhistorie stellt Verdis sechste Oper eine Erstaufführung dar. Angeknüpft haben Intendant Markus Hinterhäuser und sein Team auch an die Tradition der konzertanten Aufführung. Eine weise Entscheidung.

Wem die „Due Foscari“ geläufig sind, kann sich guten Gewissens zum Schlag der Melomanen zählen, denn dieser halbvergessene Verdi hat ausgemachten Seltenheitswert. Nach dem enormen Erfolg von Nabucco und I Lombardi schuf der Maestro zahlreiche patriotische Werke, die nun ein stiefmütterliches Dasein fristen müssen. Allerdings völlig zu Unrecht, die Oper zählt zum beachtlichsten Schaffen der Verdi‘schen Galeerenjahre.

Die 1844 entstandene Vertonung von Lord Byrons „The Two Foscari“ erweist sich als mitreißendes Seelendrama erster Güte. Diese defätistische Dogen-Heimsuchung erscheint wie eine Urfassung des „Simon Boccanegra“.

Verdis ungemein berührende Musik birgt alle Schönheiten, die auch seine großen Klassiker auszeichnen. Mit diesem Opus stellt sich auch ein zukunftsweisender Reifeprozess ein, der auf dem Olymp der Opernkunst endete.

Inhaltlich verhält es sich folgendermaßen:
Venedig Anno 1457. Der Vater lässt sich erweichen, aber der Regent ist entschlossen… Des greisen Dogen Sohn Jacopo Foscari steht nach seiner Rückkehr aus dem Exil erneut vor einer Verurteilung wegen eines (in Wahrheit nicht begangenen) Mordes. Drahtzieher der Intrige ist Erzfeind Loredano, Rädelsführer des mächtigen Zehnerrates.

Francesco Foscari ist innerlich zerrissen zwischen der Liebe zu seinem Sohn und seiner Pflicht als Doge. Egal, wie er sich entscheidet – der Herrscher macht sich schuldig, entweder an seinem Sohn oder an der Republik.

Leidenschaftliche Kämpferin für die Freilassung ihres Mannes ist Lucrezia, Jacopos Frau. Trotz aller Versuche das drohende Unheil abzuwenden (die Unschuld Jacopos offenbart sich zu spät und er kommt um), erliegen Vater und Sohn der gnadenlosen, oligarchischen Rache. Der gebrochene Francesco muss als Doge abdanken und die Schmach über den Verlust seines Sohnes bricht ihm das Herz. Auch der zweite Foscari stirbt.

Solch ein drastischer Abwärtsreigen ist selbst für den krisenerprobten Giuseppe Verdi ungewöhnlich. Denn eigentlich ist zu Beginn dieser Tragedia Lirica schon alles vorbei. Das schwebende Damoklesschwert über dem Haupte, bricht das Unheil in immer größeren Wogen über die Protagonisten herein. Kaum ein Moment des Aufatmens wird gewährt, es geht Schlag auf Schlag dem Abgrund entgegen.

Entgegen dieser düsteren Thematik erblüht die Musik zu einem Strauß betörendster Melodik. „Das gehört zu der schönsten Musik, die Verdi je geschrieben hat“, ließ Domingo einst verlautbaren. Wie recht er hat.

Sein Francesco Foscari ließ zwar die baritonalen Klänge vermissen, bewegte sich aber nach wie vor auf gesanglich höchstem Niveau. Die überragende Rollengestaltung Domingos ist nahezu legendär. Glaubwürdig wie kaum ein anderer, glühend in seiner Gestaltungskraft. Und nach wie vor pilgern unzählige Bewunderer zu seinen Auftritten; Placido ist ein Garant für volle Häuser.

Kein Wunder also, dass im großen Salzburger Festspielhaus bereits frenetischer Jubel aufbrandet, bevor der Operissimo überhaupt einen Ton gesungen hat – Starkult par excellence…

Man merkte dem Neo-Bariton zwar an, dass ihm die Partie beileibe nicht leichtfiel, aber die existenzielle väterliche wie staatsmännische Verzweiflung verkörperte er brillant. Nach wie vor mit einer kraftvollen Stimme ausgestattet – höchstes Differenzierungsvermögen inbegriffen – durchdrang er den betagten Foscari wie kaum ein Anderer.

Domingos große Routine und Erfahrung mit Verdis Werken sorgte für eine prägnante Ausleuchtung des Dogen-Innenlebens und Momente von großer Innerlichkeit. Emotionen transportierte er ungeheuer intensiv, besonders die Sterbeszene rührte die Seele. Artikulatorisch tadellos und mit hervorblitzendem Tenor in den hohen Passagen, lieferte der Spanier ein überzeugendes Rollenporträt ab. Nur für die weitläufigen Verdi-Kantilenen fehlte es ihm an stützendem Atem…

Ihm zur Seite stand der gefragte maltesische Tenor Joseph Calleja. Seinen Jacopo Foscari legte er entgegen gängiger Interpretation ohne den geringsten Hauch von Fatalismus an. Den Dogensohn umschloss vielmehr eine wundersam glutvolle Aura. Von Passivität, zügellosem Lamento oder gar Schwäche war nichts zu spüren. Callejas bewegliches, legatostarkes Edeltimbre zeichnete sich vor allem durch eine berückende Mittellage aus und der mediterrane Belcanto-Touch seiner Stimme beschwor ein Stück Dogenpalast herauf. Auch durch vollendete Diminuendo-Könnerschaft wusste dieser Tenore di Grazia zu begeistern. Callejas Klangfülle changierte zwischen metallisch-kernig und betörend-süßlich. Strahlende Spitzentöne führten in taumelnde Höhen. Eine durchweg klare Diktion war ebenso selbstverständlich.

Nur sein Vibrato klang merkwürdig schnell, und in den tieferen Registern zeigte sich stellenweise eine gewisse Gepresstheit.

Callejas stimmliche Qualitäten standen jedoch in starkem Kontrast zur völligen Absenz darstellerischer Gestaltungskraft. Vor allem im Vergleich zu Domingo stach die Salzsäulenstarre und fehlende gestische wie mimische Untermalung besonders hervor. Nichtsdestotrotz gelang dem Maltesen ein achtbarer, kräftiger Foscari Junior.

Großen Anteil am Erfolg des Salzburger „Foscaris“ hatte auch der junge Kapellmeister Michele Mariotti. Ein Italiener, der genau weiß, wie man Verdi zu dirigieren hat. Dank seiner akkuraten Leitung entfaltete das Salzburger Mozarteumorchester samt glasklarem Philharmonia Chor Wien venezianischen Lokalkolorit. Verdis lebhafte Melodien brachten allen voran die exzellent auftrumpfenden Holzbläser zum Erblühen. Rege und handwerklich sauber musizierend, bot dieser Klangkörper mit all seinen staunenswerten Farbnuancen wahrlich einen erstklassigen Rahmen für Verdis Oeuvre.

Nahtlos fügte sich der Chinesische Soprano Guanqun Yu in das musikalisch hohe Niveau fügte ein. Die Einspringerin und Preisträgerin des (von Domingo ins Leben gerufene) Operalia-Gesangswettbewerbs ist in der Rolle der Lucrezia Contarini keine Unerfahrene. Gleich einer Tigerin verkörperte sie den Verdi-Typus einer starken Frau vortrefflich. Facettenreich und mit viel Durchschlagkraft lehrte sie den Zehnerrat beherzt das Fürchten. „Con impeto“, wie es in der Partitur heißt, setzte Yu furios um – gewaltige, lodernde Intervallsprünge inbegriffen. In Signalrot gewandet, zeitweilig der Rachegöttin Nemesis ähnelnd, vermittelte sie Lucrezias Zorn dank der kraftvollen Koloraturen und Synkopen mustergültig. Auch ihr Andante Maestoso im ersten Akt war lupenrein und die Stimme erklang in den oberen Registern so hart wie Damaszener Stahl. Guanqun Yu fand an dieser dramatischen Sopranrolle also offenbar einigen Gefallen, wenngleich manch einer über fehlende Wärme murrte.

Zuletzt sei noch die Glanzleistung des jungen, exquisiten Basses Roberto Tagliavini erwähnt. Obwohl Jacopo Loredano, dieser König der Arglist, im Handlungsverlauf eine zentrale Position einnimmt, hat sein tatsächliches Auftreten in der Oper großen Seltenheitswert. Verdi hat Loredano kein einziges Solo zugestanden, er wird nur in einem simplen Comprimario Bass dargestellt. Tagliavini schaffte es allerdings, diesen undankbaren Part talentvoll-pfiffig zu beleben. Sein kolossaler Bass donnerte durch den Raum, schaurig-schöne Töne brandeten auf. Auch seine Personenführung bewegte sich in höchster Sphären-Dramatik. Des Schurkens letzte Worte: „Pagato ora sono“. Die Rechnung ist beglichen.

Antonia Tremmel-Scheinost,
25. August 2017, für klassik-begeistert.de

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