Semperoper Dresden: Diese Premiere ergreift zutiefst – Verdi würde jubeln!

Giuseppe Verdi, La forza del destino,  Semperoper Dresden

Foto: Jochen Quast (c)
Giuseppe Verdi, La forza del destino (Die Macht des Schicksals)
Semperoper Dresden
, 28. April 2018

Mark Wigglesworth, Musikalische Leitung
Sächsische Staatskapelle Dresden
Keith Warner, Inszenierung
Julia Müer, Bühnenbild
Tilo Steffens, Kostüme
Emily Magee, Donna Leonora
Gregory Kunde, Don Alvaro
Alexey Markov, Don Carlo di Vargas
Christina Bock, Preziosilla/Curra

von Yehya Alazem

Nach einer erfolgreichen Aufführung von Giuseppe Verdis „Il Trovatore“ in St. Petersburg lud die Theaterleitung den italienischen Komponisten nach Russland ein, um eine Oper uraufzuführen. Schon 1859 hatte Verdi sich für das Drama „Don Álvaro o la fuerza del sino“ von Ángel de Saavedra interessiert. Nach der Einladung bekam sein langjähriger Librettist Francesco Maria Piave den Auftrag, ein Libretto über das spanische Stück und „Wallensteins Lager“ von Friedrich Schiller auszuarbeiten.

Die Uraufführung 1862 in St. Petersburg war ein riesiger Erfolg – im Gegensatz zur italienischen Erstaufführung. Da Francesco Maria Piave sehr erkrankt war, übernahm Antonio Ghislanzoni (der Librettist von „Aida“, 1871) die Aufgabe der Überarbeitung des Librettos – die Mailänder Premiere der zweiten Fassung fand 1869 statt und wurde vom Publikum und von der Presse mit Begeisterung aufgenommen. Der größte Unterschied zwischen den beiden Fassungen ist die Schlussszene: In der ersten Fassung stürzt sich Don Alvaro nach dem Tod Leonoras von einem Felsen, während er in der zweiten Fassung mit dem Schicksal alleine weiterleben muss.

Der britische Regisseur Keith Warner hat schon einige von Verdis Opern inszeniert; „Falstaff“ in Frankfurt, „Nabucco“ in Berlin und letztlich „Otello“ in London im Sommer 2017. In seiner Inszenierung von „Forza“ an der Semperoper stellt er das Schicksal nicht nur ins Zentrum, sondern projiziert es auf alle Charaktere und spiegelt es im Bühnenbild von Julia Müer.

Die Handlung spielt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Inszenierung zeigt deutlich die Beziehungen zwischen den drei Hauptfiguren und bewahrt das Gleichgewicht zwischen ihnen die ganze Oper hindurch. Die Inszenierung ist zwar dunkel und grausam, aber irgendwie kann man den Schluss dieses schicksals- und rachevollen Dramas als einen erlösenden Moment erleben. Obwohl die zweite Fassung aufgeführt wird, lässt Warner Don Alvaro sich vom Balkon des Klosters stürzen.

Müers Bühnenbild ist genial! Mit nur einem Haus, dessen Wände sich immer wieder öffnen, stellt sie jede Szene dar: Marcheses Haus im ersten Akt, das Gasthaus und die Kirche im zweiten Akt, der Wald und Militärlager im dritten Akt und das Kloster im vierten Akt.

 

„La forza del destino“ fordert ein großes und geschicktes Orchester. Der britische Dirigent Mark Wigglesworth bringt mit der Sächsischen Staatskapelle ein zauberhaftes Spiel hervor. Das Orchester klingt kompakt, transparent und kitzelt so viele Details und Schönheiten heraus. Die fabelhaften Streicher und die ausgezeichneten Holzbläser begeistern aus dem Orchestergraben. Allerdings übertönt das dramatisch klingende Orchester manchmal die Sänger, dennoch: das Ganze klingt einfach wunderbar!

In der Rolle der Leonora begeistert die amerikanische Sopranistin Emily Magee. Ihre Stimme hat einen dunklen Klang, der sich wunderschön von der Tiefe in die Höhe entwickelt. Ihr Gesang ist rund, dicht und hat eine schöne Sensualität. Die Pianissimi gelingen ihr an diesem Abend sehr gut.

Der amerikanische Tenor Gregory Kunde stellt einen hervorragenden Don Alvaro dar. Mit seinem dramatischen Spinto-Tenor und seinem eisernen Klang singt er voller Dramatik und Leidenschaft. Seine Stimme hat einen wunderschönen Glanz und besitzt eine durchdringende Kraft und eine unglaublich intensive und stabile Höhe.

Es gibt viele gute Baritone heutzutage, aber wirklich wenige kann man mit alten italienischen Meistern wie Ettore Bastianini, Piero Cappuccilli und Giuseppe Taddei vergleichen. Was das russische Ensemblemitglied des Mariinsky-Theaters in St. Petersburg an diesem Abend liefert, ist mit den alten Meistern zu messen: Alexey Markov besitzt genau den virilen Stimmcharakter der baritonalen Verdi-Partien. Mit seinem tiefen, klaren Bariton singt er einen kompromisslosen Don Carlo di Vargas voller Wut und Rache.

Mit ihrer Energie und Darstellungskraft ist es ein Genuss, die junge Mezzosopranistin Christina Bock zu erleben. Ihre charmante Stimme und phantastische Bühnenpräsenz sind eigentlich zu schade für eine Nebenrolle. Als Preziosilla nimmt sie das Publikum im Sturm und ist ganz großartig. Ich hoffe, dass man nicht lange warten muss, bis man Christina Bock in großen Mezzo-Partien, vor allem als Carmen, erleben kann – das wird etwas Besonderes sein!

Musikalisch als auch szenisch: Diese Premiere ergreift zutiefst. Großartige Musiker und eine Inszenierung, die den Kern der Oper in höchstem Maß trifft. Verdi würde jubeln!

Yehya Alazem, 29. April 2018, für
klassik-begeistert.de

 

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