Verdis "Otello" an der Royal Opera London: Ästhetisch unbefriedigend, sängerisch grandios

Giuseppe Verdi, Otello,  Royal Opera House London, 9. Dezember 2019

Foto: Otello, The Royal Opera © 2017 ROH. Photograph by Catherine Ashmore

Royal Opera House London, 9. Dezember 2019

Giuseppe Verdi, Otello

von Charles E. Ritterband

Sängerinnen und Sänger von Weltklasse hatten auf der traditionsreichen Bühne der Royal Opera Covent Garden ihre hohe Kunst vor einem scheußlichen Bühnenbild (Boris Kudlicka) in einer Inszenierung mit zahlreichen Seltsamkeiten (Keith Warner) zu zeigen. Das bedrohlich düstere, monochrome Bühnenbild erinnerte mit seinen spießigen, fade geometrischen Mustern in Metall-Panelen im unseligen Stil der 1970er-Jahre trotz der mächtigen verschiebbaren Wände an Interieurs neureicher und entsprechend geschmacksarmer Villen aus jener Epoche – einzig das mächtige Flaggschiff Otellos in der ersten Szene hinterließ einen bleibenden Eindruck.

Aus Versenkungen fuhr erst Desdemona und dann der den venezianischen Gesandten ankündigende Bote auf die Bühne – die neureichen Villen der 70er verfügten selbstverständlich über private Aufzüge. Und dann die Kinder, die sich in der großen Volksszene des ersten Aktes unmotiviert auf die Vorderbühne setzten und dann strampelnd weggetragen wurden – eine nette, aber völlig sinnlose Ablenkung vom dramatischen Geschehen.

Warner setzt auf die Symbolik von Masken – noch bevor die Handlung beginnt, sehen wir Iago mit zwei Masken, einer schwarzen und einer weißen, die er gegeneinander aufwiegt: Der Symbolgehalt ist klar. Allerdings nimmt das dem grandiosen Beginn dieser Oper von überwältigender Unmittelbarkeit – dem schrecklichen Sturm auf dem Meer, der ja die inneren Stürme von Otellos paranoider Eifersucht vorwegnimmt – weitgehend die Kraft.

Otello, The Royal Opera © 2017 ROH. Photograph by Catherine Ashmore

Und später, das allerdings ist durchaus gut gelungen und stimmig, steht Otello, dem Iago bereits das Gift des Zweifels und der Eifersucht eingeflößt hat, vor einem Spiegel, aus dem ihm nicht sein eigenes Konterfei sondern eine monströse Maske entgegenblickt – Iago hat denn auch Otello zuvor vor der Eifersucht als einem „grünäugigen Monster, dunkel, wütend und blind“ gewarnt, das „sich selbst vergiftet, seine eigenen Wunden öffnet und sich davon ernährt“: „Temete, signor, la gelosia! E un idra fosca…“

Warner interpretiert die Handlung durchaus konventionell – das ist ein „Otello“ wie man ihn schon Dutzende Male gesehen hat und irgendwie so auch erwartet: Die Schwertkämpfe, dann die große Liebesszene, der Dialog mit Iago mit den wachsenden Zweifeln, die folkloristische Huldigungsszene, der Auftritt der venezianischen Gesandten, der Mord am Rande des Ehebetts – alles eigentlich wie gehabt. Dass da noch ein zertrümmerter, gewaltiger venezianischer Löwe mit auf die Bühne darf, der vorher intakt war, ist durchaus akzeptabel.

Ermonela Jaho in La traviata, The Royal Opera © ROH/Johan Persson, 2010

Wenn man zufällig gerade nicht hinsah, sondern nur hinhörte, war dieser Abend in Covent Garden allerdings wunderbar und ergreifend. Die aus Albanien stammende Ermonela Jaho verlieh der Desdemona all die zutiefst berührende menschliche Fragilität und zugleich moralische Integrität und Stärke, welche diese Rolle erfordert. Ihre Stimme, von überragender Strahlkraft, weiß sie ebenso subtil wie präzis einzusetzen. Jaho ragte aus einer weitgehend neu besetzten Wiederaufnahme dieses ästhetisch weitgehend unbefriedigenden „Otello“ hervor.

Die Titelrolle wurde vom amerikanischen Tenor Gregory Kunde verkörpert, der dem Otello den ganzen tenoralen Schmelz und die ganze psychologische Entwicklung verlieh, welche diese Rolle erfordert – von Macht, Selbstbewusstsein und Stärke über die Selbstzerfleischung mit quälenden Zweifeln, über den Getriebenen, der die Kontrolle über sich selbst verliert – bis hin zum gebrochenen Menschen, der einsieht, dass er mit dem Mord an Desdemona einen niemals wieder gut zu machenden, gigantischen Fehler gemacht hat.

Dieser Weg von einem Sieger bis hin zum Verlierer widerspiegelte sich in der stimmlichen Beherrschung Kundes – von maskuliner Kraft bis hin zur Fragilität des zerbrochenen Individuums. Im Zeitalter der politischen Korrektheit durfte Kunde darauf verzichten, sein Gesicht dunkel zu schminken – er stand als weißhäutiger Otello auf der Bühne von Covent Garden, was die Schmähungen Iagos in der ersten Szene allerdings ins Leere laufen ließ.

Als kongenialer Partner stand ihm der Iago des großartigen spanischen Baritons Carlos Alvarez gegenüber, der mit kraftvoller und zugleich samtener Stimme alle Register dieser schillernden Persönlichkeit zog – kumpelhaft, verführerisch, hinterlistig und brutal: Eine Idealbesetzung für diese Figur des sprichwörtlichen Bösewichts. Der Cassio von Freddie de Tommaso und der Roderigo von Andres Presno standen diesen beiden Protagonisten stimmlich in nichts nach.

Hervorragend, wie eine Naturgewalt und doch nuanciert in den Feinheiten das Hausorchester unter der souveränen Stabführung des Großmeisters Antonio Pappano.

Charles E. Ritterband, 12. Dezember 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Dirigent: Antonio Pappano
Regie: Keith Warner
Bühne: Boris Kudlicka
Desdemona: Ermonela Jaho
Otello: Gregory Kunde
Iago: Carlos Alvarez
Cassio: Freddie de Tommaso
Roderigo: Andres Presno
Emilia: Catherine Carby
Royal Opera Chorus, Leitung: William Spaulding
Orchestra of the Royal Opera House

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