Lieses Klassikwelt 12/2019: Bewegende Begegnungen

Lieses Klassikwelt 12/2019  klassik-begeistert.de

… EINE GESCHICHTE, DIE SIE BERÜHREN WIRD…

Edith Mathis, Rollenfoto mit Unterschrift für die damals 11 Jahre alte Kirsten

„Es fiel mir immer schwer, über Musik und deren ‚Business‘ zu sprechen“,  schrieb Edith Mathis, 81, unserer Autorin, „meine angeborene Schüchternheit hat sich (leider!) zu einer Zurückgezogenheit ausgebildet, die jedem öffentlichen Auftritt zuwider läuft.“

von Kirsten Liese

Meine Begegnungen mit Künstlerinnen und Künstlern zählen zu den Höhepunkten meines Journalistenlebens. Die meisten lernte ich  über Interviews kennen.

Alle aufzuzählen, würde an dieser Stelle zuviel Raum beanspruchen, selbst die Liste mit all jenen, die mir besonders in Erinnerung blieben, weil ich sie in ihrer privaten Umgebung treffen durfte, ist mit so großen Namen wie Dietrich Fischer-Dieskau, Elisabeth Schwarzkopf, Christa Ludwig, Sena Jurinac, Catarina Ligendza, Dame Gwyneth Jones, Theo Adam, Anneliese Rothenberger, Ingeborg Hallstein, Anja Silja, Teresa Berganza, Inge Borkh, Otmar Suitner oder den Schauspielerinnen Marianne Hoppe und Jutta Lampe schon recht lang.

Meinen kürzesten Weg hatte ich zu Dietrich Fischer-Dieskau, der seinen Hauptwohnsitz in Berlin-Charlottenburg bei mir um die Ecke in der Lindenallee nahe des Theodor-Heuss-Platzes hatte und mich im herrschaftlichen Salon seiner prächtigen Villa empfing.

Aber heute will ich Ihnen von einer ganz besonderen Geschichte erzählen, die gänzlich aus der Reihe fällt, sie ist noch ganz frisch:

Im Frühjahr vergangenen Jahres bat ich Edith Mathis, berühmt vor allem für ihre Mozart- und Bachinterpretationen und für mich die beste Figaro-Susanna aller Zeiten, um ein Interview für eine Sendung anlässlich ihres 80. Geburtstags. Die Sopranistin antwortete mir sehr freundlich, dass sie mir eines geben würde, bat mich aber, von einer Aufzeichnung mit Mikrofon abzusehen. Da für das Radio ein Interview ohne Ton wenig Sinn macht, entschied ich mich für den Versuch, sie telefonisch umzustimmen. Am anderen Ende meldete sich allerdings nicht Frau Mathis, sondern ihr Ehemann, der für mein Anliegen großes Verständnis aufbrachte und ein persönliches Interesse daran zu haben schien, dass ich für meine Hommage im Deutschlandfunk bekommen sollte, was ich brauchte. Er versicherte mir, er werde das schon richten.

Mittlerweile weiß ich, dass es ein großer Fehler war, darauf zu bauen und dass man mit Ehepartnern besser keine Verabredungen treffen sollte. Denn es kam, wie es kommen musste: Wunschgemäß lieferte ich vorab meinen Fragenkatalog zur Vorbereitung und erhielt daraufhin ein ellenlanges Mail vom Ehemann mit unzähligen Nachfragen und Einwänden. Mir wurde klar, dass ein Interview keinen Sinn machen würde und entschied mich, zutiefst frustriert, darauf zu verzichten. – Zur großen Erleichterung der Sängerin.

Allerdings konnte ich es mir nicht verkneifen, Edith Mathis schriftlich meine große Enttäuschung mitzuteilen, zumal ich die Reise inklusive Flugbuchung schon in Abstimmung mit ihrem Mann fest geplant hatte. Die rasche Antwort war so verständnisvoll und liebenswert, wie ich es nicht erwartet hätte. In dem Kuvert befand sich eine entzückende Karte mit Noten aus Haydns „Schöpfung“, reich illustriert mit allerhand bunten Pflanzen und Früchten. Edith Mathis schrieb, dass ihr das alles sehr leid täte, entschuldigte sich,  bot mir sogar an, meine Auslagen zu übernehmen und stellte ihre Hemmnisse so offen dar, dass ich auf keinen Fall mehr verstimmt sein konnte: „Es fiel mir immer schwer, über Musik und deren ‚Business‘ zu sprechen“,  schrieb sie, „meine angeborene Schüchternheit hat sich (leider!) zu einer Zurückgezogenheit ausgebildet, die jedem öffentlichen Auftritt zuwider läuft.“ Aber die Geschichte ist noch nicht zu Ende.

Wenige Zeit später erhielt ich wieder Post von Edith Mathis. Überrascht öffnete ich den Umschlag und fand eine weitere hübsche Klappkarte mit Notenmotiven aus Haydns „Schöpfung“ und Vögelchen und Fischchen dazu: „Die Luft erfüllt das leichte Gefieder, die Wasser schwellt der Fische Gewimmel.“  Und was soll ich Ihnen sagen, was sich in diesem Kuvert noch dazu befand: die Kopie eines Briefes, den ich im Alter von elf Jahren handschriftlich über die Salzburger Festspiele an Edith Mathis gerichtet hatte mit der Bitte um ein signiertes Foto für meine schöne Sammlung. Das Briefchen sei ihr beim Aufräumen in die Hände gefallen, schrieb die Verfasserin, „nach sage und schreibe 43 Jahren beantworte ich Deinen (Ihren) Brief. Ich schäme mich so, ich möchte in die Erde versinken!“

Aber nein, Edith Mathis hatte damals sehr wohl meinen Brief beantwortet und mir ein wunderschönes signiertes Rollenfoto als Sophie geschickt. Aber was für ein Zufall!

Der Brief erreichte mich, als ich gerade auf dem Sprung zum Flughafen war, und kaum am Gate angekommen, erhielt ich von Frau Mathis noch eine email: Ob ich Ihren Brief mit der Fotokopie erhalten hätte, sie müsse unbedingt wissen, ob ich die elfjährige Kirsten sei!

Um die Geschichte abzukürzen: Nach dieser hinreißenden Episode beschlossen wir, uns doch noch persönlich kennenzulernen, allerdings eben nicht beruflich, sondern ganz privat.

Vor wenigen Wochen kam es dazu. Ich hatte mir für diesen Tag in Zürich noch eine Karte für eine Premiere im Opernhaus reservieren lassen, weil ich davon ausging, dass Frau Mathis vielleicht ein oder maximal zwei Stündchen Zeit mitbringen würde, sie wollte unsere Begegnung ursprünglich mit einem Familientreffen verbinden. Aber dann sagte sie dieses Treffen ab, und hatte den ganzen Nachmittag für mich reserviert. Wir waren uns sofort sympathisch und hatten uns soviel mitzuteilen, dass wir die gesamte Zeit von meiner Ankunft um 13 Uhr bis zum Beginn der Oper um 18 Uhr miteinander in einem Café verbrachten. Welches Thema wir auch immer berührten, ob Regietheater, historische Aufführungspraxis, bestimmte Dirigenten, Festspiele, Salzburg oder Politik – wir waren uns fast durchweg einig.

Es wird wohl nicht unsere letzte Begegnung gewesen sein, an Ostern in Salzburg sehen wir uns wieder. Ich freue mich jetzt schon darauf.

Kirsten Liese, 13. Dezember 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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© Kirsten LIese

Die gebürtige Berlinerin Kirsten Liese (Jahrgang 1964) entdeckte ihre Liebe zur Oper im Alter von acht Jahren. In der damals noch geteilten Stadt war sie drei bis vier Mal pro Woche in der Deutschen Oper Berlin — die Da Ponte Opern Mozarts sowie die Musikdramen von Richard Strauss und Richard Wagner hatten es ihr besonders angetan. Weitere Lieblingskomponisten sind Bruckner, Beethoven, Brahms, Schubert und Verdi. Ihre Lieblingsopern wurden „Der Rosenkavalier“, „Die Meistersinger von Nürnberg“, „Tristan und Isolde“ und „Le nozze di Figaro“. Unvergessen ist zudem eine „Don Carlos“-Aufführung 1976 in Salzburg unter Herbert von Karajan mit Freni, Ghiaurov, Cossotto und Carreras. Später studierte sie Schulmusik und Germanistik und hospitierte in zahlreichen Radioredaktionen. Seit 1994 arbeitet sie freiberuflich als Opern-, Konzert- und Filmkritikerin für zahlreiche Hörfunk-Programme der ARD sowie Zeitungen und Zeitschriften wie „Das Orchester“, „Orpheus“, das „Ray Filmmagazin“ oder den Kölner Stadtanzeiger. Zahlreiche Berichte und auch Jurytätigkeiten führen Kirsten zunehmend ins Ausland (Osterfestspiele Salzburg, Salzburger Festspiele, Bayreuther Festspiele, Ravenna Festival, Luzern Festival, Riccardo Mutis Opernakademie in Ravenna, Mailänder Scala, Wiener Staatsoper). Als Journalistin konnte sie mit zahlreichen Sängergrößen und berühmten Dirigenten in teils sehr persönlichen, freundschaftlichen Gesprächen begegnen, darunter Dietrich Fischer-Dieskau, Elisabeth Schwarzkopf, Mirella Freni, Christa Ludwig, Catarina Ligendza, Sena Jurinac, Gundula Janowitz,  Edda Moser, Dame Gwyneth Jones, Christian Thielemann, Riccardo Muti, Piotr Beczala, Diana Damrau und Sonya Yoncheva. Kirstens Leuchttürme sind Wilhelm Furtwängler, Sergiu Celibidache, Riccardo Muti und Christian Thielemann. Kirsten ist seit 2018 Autorin für klassik-begeistert.de .

3 Gedanken zu „Lieses Klassikwelt 12/2019
klassik-begeistert.de“

  1. Liebe Kirsten Liese!
    Danke für diesen herrlich schönen Beitrag über Ihre Begegnung mit Edih Mathis, die ja auch in Wien ein großer Liebling des Publikums war, künstlerische Menschlichkeit abseits des heute so überbordenden Trubels im Eventcharakter des rasanten Ablaufs der Darbietung von persönlichen Eitelkeiten!

    Peter Skorepa
    OnlineMerker

    1. Lieber Peter,

      moin moin aus Wien…. der onlinemerker.com und klassik-begeistert.com sind ja sehr freundschaftlich miteinander verbunden, was mich immer wieder sehr erfreut und beglückt – liebe Grüße auch an Deinen lieben Herausgeber Anton Cupak und an seine Stellvertreterin Dr. Renate Wagner. Dein Kommentar, lieber Peter, spricht mir aus der Seele. Kirsten hat es meisterhaft verstanden, die „Größe“ der großen Eva Mathis herauszuarbeiten. Ihr Beitrag ist ein kleines Meisterwerk – ein Schmuckstück für den Klassik-Journalismus und für klassik-begeistert.de

      Dir und Deinem Team wünsche ich eine wunderbare, Erda-erverbundene Weihnacht

      Andreas

  2. Solche lieben Zeilen bereiten freilich große Freude!
    Ich bin unendlich dankbar für meine Begegnung mit Edith Mathis und solche Leser, die das zu würdigen wissen!
    Herzliche Grüße,
    Kirsten Liese

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