Ein fulminanter „Rigoletto“ der Weltklasse begeistert beim Savonlinna Opera Festival

Giuseppe Verdi, Rigoletto,  Savonlinna Opera Festival, 5. Juli 2019

Foto: Burg Olavinlinna, Quelle: https://operafestival.fi
Savonlinna Opera Festival, 5. Juli 2019
Giuseppe Verdi, Rigoletto

von Charles E. Ritterband

Diese atemberaubend spannende und musikalisch hochkarätige Rigoletto-Inszenierung erbrachte den unwiderlegbaren Beweis: Savonlinna ist zu den weltweit führenden Opern-Festivals zu rechnen.

Cristina Pasaroiu © Cristina Pasaroiu

Die Gilda der rumänischen Sopranistin Cristina Pasaroiu gehörte sängerisch und schauspielerisch zum Besten, was ich je auf den großen Opernbühnen in dieser überaus anspruchsvollen Rolle erleben durfte: mädchenhaft-schüchtern, hingebungsvoll verliebt in den vermeintlich „armen Studenten“, glaubwürdig befangen im Loyalitätsdilemma zwischen dem flitterhaften Herzog und dem sich überfürsorglich an die Tochter klammernden Vater Rigoletto („Giovanna, ich habe Gewissensbisse“). Subtil verhalten in den leisen Passagen, klar und absolut sicher in den hohen Tönen und den Forti, erschütternd im bewegenden Duett mit dem Vater („Veglia o donna“) und herzzerreißend schön  in den schwärmerischen Koloraturen ihrer Liebeserklärung für den Herzog alias „Gualter Maldé“ in der zweiten Szene des ersten Aktes mit ihren schwindelerregenden Höhen – erste Liebe eines jungen Lebens, grenzenlos und kompromisslos.

Der Herzog des italienischen Tenors Ivan Magri bot tenoralen Schmelz und glaubhafte Leidenschaft in seinem Werben um die kindhafte „donna celeste“ Gilda. Das große Liebesduett „e il sol del anima“ in seiner perfekt durchgehaltenen Harmonie auch in den präzis ausgesungenen Forte-Passagen war denn auch einer der absoluten Höhepunkte dieser Aufführung. Die Stärke Magris war allerdings weniger der feine Gesang, als die skrupellose Brutalität, mit der er seine Macht ausspielte, über seine Höflinge herrschte und die Frauen nahm, nach denen es ihm gelüstete. Den Gassenhauer „Donna è mobile“ schmetterte Magri lustvoll in die Gewitternacht des letzten Aktes – doch der gesangliche Höhepunkt des Abends war es dennoch nicht.

Die Titelrolle des Rigoletto, überragend verkörpert vom slowakischen Bariton Dalibor Jenis, war in jeder Beziehung einer der Glanzpunkte dieses Abends. Hinkend, gestützt auf zwei Krücken, brachte er diesen gebrochenen, einsamen, verletzlichen, liebenden und durch das Schicksal in ein rachsüchtiges Ungeheuer verwandelten Invaliden mit geradezu dämonischer Stärke auf die Bühne.  In ein Kostüm aus braunen Lederschuppen gekleidet mutete er an wie ein gefährliches Urtier, das vergeblich gegen ein übermächtiges Schicksal ankämpfte.

Dalibor Jenis © Vladimír Yurkovic

Seine Stimme setzte Jenis adäquat mit baritonaler Kraft ein – voll verhaltener Sanftheit, wenn er der Tochter Gilda sein Schicksal teilweise enthüllte und gleichzeitig zu verbergen versuchte, mit ungehemmter Bosheit und Wucht in seiner Konfrontation mit den ungehobelt rüpelhaften Höflingen und in höchster Verzweiflung, als er erkennt, dass der Fluch („Maledizione“) des Grafen Monterone seine unheilvolle Wirkung tut.

Die Schlüsselszene war die Konfrontation mit dem professionellen Mörder namens Sparafucile. Diese nächtliche Begegnung Rigolettos auf seinem Heimweg wurde zum fesselnden Höhepunkt des Abends: Der finnische Bass Sami Luttinen mit seiner infernalisch tiefen und doch berückend sonoren Stimme gab einen Sparafucile der Weltklasse. Das berühmte Quartett „Bella figlia dell‘ amore“ des dritten Aktes in und vor der düsteren Behausung des Sparafucile mit der gesanglich ebenfalls ausgezeichneten Rumänin Emanuela Pascu als Sparafuciles Schwester, Gilda und Rigoletto wurde zur letzten gesanglichen Sternstunde eines unvergesslichen Opernabends.

Perfekt waren nicht nur die musikalischen Leistungen der Sänger und des Savonnlina Opera Festival Orchestra unter der Leitung des international durch zahlreiche Operndirigate in den namhaftesten Operhäusern der Welt bekannten französischen Dirigenten Philippe Auguin und des Festival-Chors unter dem Finnen Matti Hyökki. Herausragend war vor allem die phänomenale Inszenierung des schottischen Regisseurs David McVicar mit dem kongenialen Bühnenbild und den fantastischen Kostümen der englischen Designerin Tanya McCallin.

In dieser Inszenierung zeigte die auf das 15. Jahrhundert zurückgehende Festung Savonlinna was sie als Schauplatz für eine historisierende Verdi-Oper kann. Die gewaltige Burg mit ihren drei imposanten Türmen, von Wasser umgeben, ist die am besten erhaltene mittelalterliche Burg Nordeuropas – und auch ohne Festspiele bereits eine Attraktion erster Ordnung. Die Burg bewachte die östliche Grenze des seinerzeit von Schweden beherrschten Finnland gegen das nahe Russland. Mit ihren meterdicken Mauern hielt sie mehreren Belagerungen und Angriffen durch die Russen stand, ging jedoch 1743 in russische Hände über.

© Soila Purrtinen

Als Zuschauer glaubte man bei dieser Inszenierung in ein riesiges Renaissance-Gemälde einzutauchen, das auf wundersame Weise zum Leben erweckt wurde. Tatsächlich orientierte sich die hoch talentierte Kostüm-Designerin Tanya McCallin an Renaissance-Gemälden, namentlich an den Werken von Caravaggio. Für die teils turbulente, teils brutale, düstere und dann wieder so intime und am Ende so dramatische Handlung wäre schlichtweg kein idealerer Rahmen denkbar als diese gewaltige Halle der Burg von Savonlinna mit ihren riesigen, rohen Steinwänden, aus welchen förmlich Jahrhunderte einer Geschichte sprechen. Vor diesen groben Steinwällen kamen die farbenprächtigen Kostüme optimal zur Geltung. Vor allem wurde vor dieser realistischen Kulisse die packende Handlung dieser wortwörtlich auf Victor Hugo’s – und aus Gründen der Zensur nach Mantua transponierten – Handlung wie in einem dreidimensionalen Film zum Leben erweckt, ja man wurde als Zuschauer förmlich in das Geschehen hineingerissen.

David McVicar inszeniert mit unverkennbarem Sinn für jedes kleinste Detail und für historische Authentizität. Die Psychologie jeder einzelnen Person auf der Bühne – von den Hauptdarstellern bis hin zu den Choristen und Statisten wird glaubhaft und stimmig zur Geltung gebracht. Und was sich da vor allem im ersten Akt abspielt ist von einem derart kruden Realismus, dass es manch älterer Dame in den vorderen Publikumsreihen schon fast etwas zu viel wurde: Die ungehemmte, bisweilen in geradezu tierisches Verhalten ausartende Brutalität der Höflinge, die krude Sex-Orgie am Hof des Herzogs von Mantua, in der abseits jeder Prüderie viele nackte Busen und eine extrem realistische Vergewaltigung auf offener Bühne zur Darstellung gelangten.

© Soila Purrtinen

Eher verwirrend und für die Klarheit des Handlungsablaufs eher störend die Idee des Regisseurs, die missbrauchte Tochter des Grafen Monterone im weissen Nachthemd herumgeistern zu lassen – offenbar stellvertretend für die vom Herzog verführten und missbrauchten Frauen. Wirkungsvoll hingegen die gespenstisch weißen Totenkopfmasken, welche sich die Höflinge überstülpten, als sie Gilda aus dem Haus Rigolettos entführten.

Die Inszenierung beruht auf einer Produktion der Royal Opera Covent Garden, London, aus dem Jahr 2001. Die Kostüme wurden von jener Inszenierung übernommen; das Bühnenbild wurde leicht modifiziert.

Das geradezu genial schlichte Bühnenbild von Tanya McCallin bestand aus drei riesigen Holzkäfigen – mit einigen wenigen Handgriffen verschoben und gedreht, dem Saal im Schloss des Herzogs, das wie ein grosser Käfig für Gilda wirkende Haus von Rigoletto (das übrigens in Mantua zu besichtigen ist) oder, im letzten Akt, das Haus des mörderischen Sparafucile und seiner verführerischen Schwester. Das Ganze mit unheimlichem Tempo inszeniert – in raschen Wechseln von gewaltigen und gewalttätigen Massenszenen zu intimsten Augenblicken zwischen Gilda und Rigoletto und dann zwischen Gilda und dem Herzog. Immer stimmte die Bühne, und immer bot der Raum den idealen Rahmen und Hintergrund. Ein großartiges Erlebnis. So ergreifend und stimmig hat man den „Rigoletto“ noch nie gesehen.

Dr. Charles E. Ritterband, 7. Juli 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Dirigent: Philippe Auguin
Regie: David McVicar
Choreographie: Jo Meredith
Chorleiter: Matti Hyökki
Bühne und Kostüme: Tanya McCallin
Herzog von Mantua: Ivan Magri
Rigoletto: Dalibor Jenis
Gilda: Cristina Pasaroiu
Maddalena: Emanuela Pascu
Sparafucile: Sami Luttinen
Giovanna: Anu Ontronen
Monterone: Juha Kotilainen
Ceprano: Rolf Broman
Marullo: Kristian Lindroos
Savonnlina Opera Festival Orchestra
Savonnlina Opera Festival Choir

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