Gergiev-Triumph und blasser Mozart

Grafenegg-Festival, Konzerte am 23. und 25. August 2019

Foto: Kammerorchester Basel © Lukasz Rajchert
Grafenegg-Festival,

Konzert am 23. August 2019 im Wolkenturm

  • Claude Debussy: «Prélude à l’après-midi d’un faune»
  • Peter I. Tschaikowski: Violinkonzert in D-Dur op. 35
  • Symphonie Nr. 6 in h-moll op. 74 „Pathétique“

Sergej Dogadin, Violine
Mariinski Orchester St. Petersburg/Valery Gergiev

Konzert am 25. August 2019 im Auditorium

  • Francis Poulenc: Sinfonietta für Orchester
  • Wolfgang A. Mozart: Konzert für Klavier und Orchester in A-Dur op. 414
  • Erik Satie: Gymnopédie Nr. 1 Lent et dolouereux (Arr. für Orchester: Claude Debussy)
  • Gymnopédie Nr. 3 Lent et grave (Arr. für Orchester: Claude Debussy)
  • Wolfgang A. Mozart: Konzert für Klavier und Orchester in G-Dur op. 453

Kammerorchester Basel (Baptiste Lopez-Violine und Leitung)
Pjotr Anderszewski,
Klavier

von Herbert Hiess

Das Basler Kammerorchester zählt zu den europäischen Spitzenensembles und ist ähnlich wie die Academy of St. Martin in the Fields auch universell einsetzbar. Die kleine und feine Truppe hat am Sonntagvormittag in Grafenegg wieder bewiesen, wie fulminant sie als einzelne Musiker und im Ensemble spielen können.

Baptiste Lopez, der dirigierende Konzertmeister, führte sie in dieser Matinee durch französische Orchesterwerke von Francis Poulenc und Erik Satie. Poulenc, der auch als „Dadaist“ der Musik bezeichnet wird, lässt seine Werke oftmals absichtlich konventionell erklingen, ohne sich dabei in ein festes Schema pressen zu lassen. Auch seine viersätzige Sinfonietta gehört dazu – da erklingen plötzlich banal anmutende Phrasen, die dann unvermittelt ins skurrile, ironische abrutschen. Die 1947 uraufgeführte Sinfonietta hat zeitweise den Charakter von Filmmusik, die der französische Komponist auch schrieb.

Das Basler Ensemble realisierte die Klänge einfach formidabel; es wäre unfair, einzelne Musiker herauszuheben, da sie alle einfach großartig musizierten. Und phantastisch, wie sie de facto ohne Dirigent präzise und sauber spielten.

Zur Gattung Filmmusik gehören auch die zwei Miniaturen von Erik Satie, die Claude Debussy für Orchester arrangierte. Die Gymnopédie Nr. 1 könnte von Debussy selber sein – man könnte glauben, es wäre eines seiner Préludes für Klavier. Auch hier waren die Basler ganz in ihrem Element.

Die zwei Mozart-Klavierkonzerte dirigierte der Pianist Pjotr Anderszewski dann vom Steinway aus. Über Mozart braucht man nicht viel mehr zu erzählen. Die Klavierkonzerte sind insofern heikel aufzuführen, da der Orchestersatz sehr filigran und transparent ist und das Klavier keine „Sünden“ verzeiht.

© Simon Fowler Warner Classics 2016

Herr Anderszewski ist ein hervorragender Pianist mit einem wunderschönen Anschlag; leider übertrieb er es bei dieser Matinee allzu sehr mit dem Pedal. Der Steinway ist selbstklingend genug. Gerade bei Mozart gehört das Pedal sparsamst eingesetzt; der Hall und die daraus entstehende „Weichheit“ zerstört hier den Klang. Ganz krass war es im A-Dur Konzert; im G-Dur Konzert war es weit besser. Warum dann im langsamen Satz wieder das Pedal so benutzt wurde, war unerklärlich. Schade, denn ansonsten wäre es eine Sternstunde gewesen.

Zwei Tage vor der Matinee trat im Wolkenturm das unvergleichliche Mariinski-Orchester auf. Valery Gergiev hat aus dem früher nicht wirklich bedeutenden Orchester ein Ensemble von Weltrang gemacht. Interessant ist übrigens, dass er den wuschelköpfigen Konzertmeister sowohl im russischen Orchester als auch bei den Münchner Philharmonikern einsetzt.

© Valentin Baranovsky

Gergiev, der in Bayreuth so richtig gemobbt wurde, ist natürlich ein Mensch, der polarisiert. Wenn man ihm vorwirft, dass er zu viele Auftritte hat, sollte man sich die Kalender von Mariss Jansons, Andris Nelsons usw. ansehen. Die sind auch extrem umtriebig – wenn auch nicht so krass!

Der russische Maestro ließ an diesem Abend Debussys „Prélude“ und zwei Werke von Tschaikowski erklingen. Wenn man daran zweifeln sollte, dass Debussy und Tschaikowski Berührungspunkte hätten – die große Kunstmäzenin Natasha von Meck unterstützte beide Komponisten trefflichst, und Debussy musste die Mäzenin öfters auf Reisen begleiten und dabei immer wieder Werke von Tschaikowski spielen.

An diesem Konzertabend zauberte Gergiev mit den St. Petersburgern traumhafte kammermusikalische Klänge. Angefangen von der schillernden Soloflöte zu Beginn bis hin zu den transparent gesetzten Tutti-Klängen. Da war man von Anfang an verzaubert und tauchte rasch in die Welt des „Fauns“ ein.

Danach gab es ein echtes Tschaikowski-Fest. Zuerst das allseits bekannte Violinkonzert, das der 1988 geborene russische Geiger Sergej Dogadin regelrecht zelebrierte. Dogadin gewann den Tschaikowski-Wettbewerb 2019 und beeindruckte durch eine exzellente Technik und eine ebensolche Musikalität.

© unbenannt

Gergiev webte dem Geiger einen Klangteppich in Luxusqualität, auf dem sich der Violinist mit traumhafter Sicherheit bewegte. In dieser Kombination mit einem solchen Virtuosen und einem phantastischen Orchester hört man dieses Konzert ganz selten. Da verging die Zeit wie im Fluge. Als Zugabe ließ der Geiger noch Paganini erklingen, wobei er neben seiner Spitzentechnik natürlich seine Musikalität und auch seinen Humor erklingen ließ.

Wenn man glaubte, man kenne Tschaikowskis letzte Symphonie „Pathétique“ eh sehr gut, wurde man an diesem Abend rasch eines Besseren belehrt. Gergiev zelebrierte mit dem russischen Orchester (übrigens nur mit einer mittleren Streicherbesetzung!!) dieses ultimative Werk in einer noch nie gehörten Drastik. Selten hörte man so deutlich die Kanten, die dunklen Winkel und die unendlichen Abgründe wie bei diesem Konzert. Schon die Durchführung des ersten Satzes lohnte den Besuch des ganzen Konzertes, der zweite Satz wurde im 5er-Takt richtig tänzerisch gebracht, der Marsch des dritten Satzes ließ den Klang explodieren, wobei da die Ironie immer zu hören war. Absoluter Höhepunkt war der vierte Satz, der meistens nach dem Marsch eher nur als Beiwerk gesehen wird. Hier ließen Gergiev und die St. Petersburger die ganze Tragik (so wie die von Tschaikowskis Leben) so richtig hören und fühlen. Da war kein Takt irgendwie aufgesetzt; jede Note hatte da ihren Sinn.

Das spürte auch das sonst eher unruhige Grafenegger Publikum. Nach der letzten Note, die im Nichts verklang, herrschte minutenlanges, atemloses Schweigen bei den Zuhörern. Das Konzert war jedenfalls ein Meilenstein in Grafeneggs Geschichte.

Herbert Hiess, 28. August 2019, für
klassik-begeistert.de

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