Musikalisches Haschee in der Laeiszhalle

Hamburger Camerata: Hamburg Marseille,  Posaune: Kris Garfitt, Leitung: Simon Gaudenz  Laeiszhalle, Großer Saal, 14. Juni 2023

Foto: krisgarfitt.com

Laeiszhalle, Großer Saal, 14. Juni 2023


Hamburger Camerata: Hamburg Marseille

Posaune: Kris Garfitt
Leitung: Simon Gaudenz


Felix Mendelssohn Bartholdy/Darius Milhaud: Streichersinfonie Nr. 1 C-Dur/Petite Symphonie Nr. 1 „Le Printemps“

Henri Tomasi (1901-1971): Konzert für Posaune und Orchester

als Zugabe ein Stück von Enrique Crespo

Felix Mendelssohn Bartholdy/Jacques Ibert: „Eine Sommernachtstraum-Collage“

Auszüge aus Mendelssohns „Ein Sommernachtstraum“ op. 21/61 und Iberts „Suite élisabéthaine“

von Harald Nicolas Stazol

Musikalisches Haschee

„Eiapopaia“ fehlt schmerzlich, der Chor der Elfen, „Sing’ in unser Eia popei! Eia popeia! Eia popei! Daß kein Spruch. Kein Zauberfluch. Der holden Herrin schädlich sei. Nun gute Nacht mit Eia popei!“ – an diesem wunderbaren, lauen, so früh im Jahr für Hamburg glücklicherweise sehr ungewöhnlichen Sommerabends, an dem man aufblüht, sich Dinge vornimmt, und im Begriffe, die Elbphilharmonie anzustreben, bis man rein zufällig von der distinguierten Pressechefin erfährt, immerhin um 15.56 Uhr, dass die „Hamburger Camerata“ natürlich in der Laeiszhalle musizieren wird – Kritikerschicksal, wohl etwas überlastet – einziger Trost, ich bin immer früh an der Philharmonie, und hätte es in jedem Falle noch zur Musikhalle geschafft – also sofort meinen Gast umgeleitet, und nun kann der Abend beginnen.

Breitengrad 53.555454 | Längengrad : 9.979431 / 20.00 Uhr

Das kleine, feine Orchester, etabliert seit 1965, spielt auf, man eröffnet mit Felix Mendelsson-Bartholdys Sommernachtstraum, aber eigentlich da sind wir des Posaunisten wegen:

Ist er doch das Glanzstück auf der Bühne, Kris Garfitt, mit dem im Programm viertelseitigen Resümee, dem Programmheft, das einige beeindruckende Einschätzungen und Einleitungen verschiedener Kollegen abgedruckt sieht – kurzum der junge Virtuose, der Henri Tomasis, jener eben in Marseilles geboren, Konzert für Posaune und Orchester derart geradezu klingen lässt, dass man mit aufgerissenen Ohren wie Augen gar nicht fassen kann, wie jemand diesem güldenen Instrument solche Töne entlocken kann.

Das Werk selbst ist intensiv, ohne anstrengend, zerbrechlich zuweilen, und voller Verve an anderer Stelle – besonders beeindruckend die leisen Töne dank schnell eingedrehtem, schwarzen Schalldämpfer, und der seltsame Gesichtsausdruck des Posaunisten, wenn er Puste holt, und in stupender Geschwindigkeit den dritten Satz nimmt – nichts anderes ja als die vollends-exakte Verkürzung und Verlängerung eines metallenen, variierenden Blasrohres aus gleissendem Messing, in Sekunden.

Trompeten, Hörner, Posaunen, Pauken – solches durften die Prinzen des Absolutismus erlernen, der Repräsentation und des Ranges wegen, etwas weniger bombastisch die Flötenkonzerte Friedrichs des Großen, das so exakt-beschreibend niemand anderer als Adolph Menzel so entzückend-dunkel in eine Rokoko-Soiree verwandelt und auf Leinwand aufgetragen hat, nun denn: Hier herrscht der junge Kriss Garfitt absolut – wir werden seine Karriere mit Interesse verfolgen.

Wie die des Maestro, Simon Gaudenz, er ein Reisende unter anderem zwischen Staatskapelle Dresden und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (fast ein Widerspruch in sich), der uns Hanseaten heute Abend sehr beglückt, bis auf, bis auf, doch dazu kommen wir noch.

Simon Gaudenz © Lucia Hunziker

Hervorzuheben die bezaubernde Konzertmeisterin, Lisa Schumann, man hat ihr ein kleines Podest gebaut, die die 1. Streichersymphonie des Mendelssohn in manchen Soli stützt, die Themen setzen sich dann über Desheng Chen, 2. Violine, die Bratsche Eytan Edri, das Cello des Pirkko Langer, zur Kontrabassistin Julia Vötig fort, glanzvoll solistisch, nicht immer in solcher Reihenfolge, durchsetzt von der von den Nazis verfehmten Eleganz des Mendelson Bartholdy.

Lisa Maria Schumann © Hamburger Camerata

Man muss wissen, Darius Milhaud und Jacques Ibert waren Exilanten der Vichy-Regierung,  Teil einer kleinen Runde, man findet am Tisch der Marseiller Mäzenin Lily Pastré auf dem Chateau de Montrenoch südlich der Hafenstadt, einem Hafen der Förderung und Toleranz, den Cellisten Pablo Casals (er wird einst von Jackie Kennedy ins Weisse Haus geladen werden), die Tänzerin Josephine Baker, den Schriftsteller Paul Valéry und die Pianistin Monique Haas. Wie gerne wäre man dort zu Gast gewesen!

Allein:

Man kann ja verstehen, dass die Städtepartnerschaft zu Marseilles, 65 Jahre Ville Jumelage, manchen zu originellen Konzept-Ideen bringt, Konzepter wahrscheinlich, aber diesen Abend der Blauen Hamburger Nächte geht das Konzept nicht auf. Es ist, wie mit dem Geschmack: Man hat ihn, oder man hat ihn nicht. Doch dazu kommen wir noch.

Warum, um der Musen willen, wird die Symphonie, der Sommernachtstraum zerhackt, 1/3/2/4 etc.? von durchaus eigenständigen Kompositionen des Darius Milhaud, im Falle des Traumes der „Suite élaisabéthaine“ des Jacques Ibert – meiner Neuentdeckung – warum wird so schmerzhaft gegengeschnitten?

Für einen Intellektuellen ist es immer grausam, als konservativ zu gelten, der Kritiker wird gern der Vorgestrigkeit bezichtigt – ob allen Respektes vor den Musikern, die dieses in Salami-Scheiben je zweier völlig unterschiedlicher Partituren bewältigen kann, noch einmal eine Verneigung vor der Camerata, die nunmehr auch seit 35 Jahren das Musikleben Hamburgs mitträgt und international verteidigt. Aber das war wirklich unnötig.

Der Verschnitt war meines Erachtens ein Kardinalfehler – man kann auch anderer Ansicht sein, aber dann hat man halt nicht recht.

Versöhnlich, mittig, die Zugabe des Blasinstruments, ein jazziges Melée des an anderer Stelle gewirkt habenden Posaunisten Enrique Crespo.

„Eiapopeia“, der Gesang der Feenkönigin fehlt eben, dafür den Hochzeitsmarsch, den jeder kennt, und erstmals zur Heirat Königin Victorias zu Prinzgemahl Albert von Sachsen-Coburg intoniert, das Finale des Abends.

Manchmal macht Entgegenschneiden keinen Sinn, so modern man zwischen Deutschland und Frankreich, Hamburg und Marseilles vermitteln will.

Ein Abend also im Gesamten, fast wie die Marseillaise, interessant jedenfalls, durchaus interessant.

Harald Nicolas Stazol, 15. Juni 2023,  für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Kinderkonzert Hamburger Camerata, Streicherensemble und Rhythmikgruppe der Staatlichen Jugendmusikschule Hamburg, Laeiszhalle Hamburg, Großer Saal

Hamburger Camerata, Krypta Konzert, St. Michaelis, Hamburg

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