Graphik: © Herzog de Meuron Bloomimages Quelle: https://www.elbphilharmonie.de/de/elbphilharmonie
Morgen, am 11. Januar 2020, feiert die Elbphilharmonie Hamburg ihren dritten Geburtstag. Anlass für unseren Autoren, das von den Baukosten her teuerste Konzerthaus der Welt ausführlich unter die Lupe zu nehmen.
von Dr. Holger Voigt (Text und 2 Fotos)
Am 11. Januar 2017 wurde in Hamburg die Elbphilharmonie (ElPhi) eröffnet. Zeit und Gelegenheit also, auf die ersten drei Jahre kritisch zurückzublicken. Dabei soll nicht etwa angedeutet werden, dass es vieles zu bemängeln gibt. Vielmehr geht es um Ansatzpunkte für mögliche Verbesserungen, damit das neue Wahrzeichen Hamburgs als Erfolgsprojekt zukunftssicher weiterentwickelt werden kann. Alle nachfolgenden Hinweise gründen auf eigenen, persönlichen und damit höchst subjektiven Erfahrungen der letzten drei Jahre.
Anzahl der Sitzplätze im Vergleich (jeweils „Großer Saal“) –
ausgewählte Häuser (Quelle: Wikipedia, Google)
Elbphilharmonie Hamburg: 2.100
Laeiszhalle Hamburg: 2.025
Hamburgische Staatsoper: 1.690
Philharmonie Berlin: 2.250
Philharmonie München: 2.572
Prinzregententheater, München: 1.029
Royal Albert Hall, London: 7.000 + 2.500 Stehplätze
Concertgebouw, Amsterdam: 1.962
Musikverein, Großer Musikvereinssaal, Wien: 1.700
Wiener Konzerthaus, Wien: 1.865
Wiener Staatsoper, Wien: 1.709
Nationaltheater, München (Bayerische Staatsoper) 1.732
Walt Disney Concert Hall, Los Angeles: 2.265
Karten und Kartenmanagement
Die Kartennachfrage ist unverändert hoch. Sobald der Vorverkauf für eine Saison freigegeben ist, sind die attraktivsten Termine innerhalb kürzester Zeit bereits ausverkauft. Dieses liegt daran, dass die Elbphilharmonie noch immer den Reiz des „Neuen“ hat. Viele Besucher bemühen sich nicht um Karten, weil sie ein bestimmtes Konzert oder einen bestimmten Künstler sehen wollen, sondern weil sie einmal in der Elbphilharmonie gewesen sein wollen. Karten für diese Interessenten gelangen zumeist über Drittanbieter in den Verkauf (Reiseveranstalter etc.), wobei autorisierte Kartenvorverkaufsstellen Besucher beider Kategorien (also auch die, die ein spezielles Musikereignis oder einen bestimmten Künstler sehen und hören wollen) bedienen.
Der offizielle Online-Vorverkauf über die Gemeinschaftsplattform Elbphilharmonie/Laeiszhalle (www.elbphilharmonie.de) klappt hervorragend und ist übersichtlich strukturiert. Wer in der Lage ist, langfristig vorzuplanen, kann hier fündig werden. Restkarten gibt es stets auch an der Abendkasse, doch ist anzumerken, dass es sich bei attraktiven Konzerten oft nur um eine Handvoll Karten handelt (z.T. weniger als 10). Das kommt dann auf einen Versuch an.
Um den illegalen Online-Handel durch Wiederverkäufer einzudämmen, besteht die Elbphilharmonie auf Personalisierung der Karten: Der Käufername muss bei Drittanbietern angegeben werden.
Programmauswahl
In der Elbphilharmonie gibt es vorwiegend klassische Konzerte – aber eben nicht nur. Das Spektrum ist weit gefächert und reicht (sowohl im Kleinen als auch im Großen Saal) von klassischer Musik, Jazz, Rock, Pop, Musical, Chor etc. bis hin zu größeren Sonder-Events. So fanden in der Elbphilharmonie das Sinfoniekonzert zum G20-Gipfel am 7. Juli 2017 statt (Beethovens Neunte unter Kent Nagano) als auch Karl Lagerfelds letzte Hamburger Chanel-Präsentation (Fashion-Show, 7. Dezember 2017). Die breite Programmauswahl sichert der Elbphilharmonie die angestrebten Erträgnisse.
Anfahrt und Erreichbarkeit
Die Elbphilharmonie Hamburg befindet sich in der Hafencity Hamburg und ist gut erreichbar. Wer in Hamburg wohnt oder sich als Gast in ihr aufhält, kann sie mit dem Auto ansteuern und den PKW direkt im eigenen Elphi-Parkhaus abstellen. Oder halt mit dem Taxi anfahren.
Da Hamburg über ein hervorragendes Netz des öffentlichen Nahverkehrs (HVV = Hamburger Verkehrsverbund) verfügt, liegt dessen Nutzung nahe. Die Verbindungen sind pünktlich und preislich angemessen. Über mögliche Betriebsstörungen unterrichtet zuverlässig eine eigene App per Push-Messaging (alternativ Twitter). Konzerttickets in Hamburg enthalten zumeist freie An- und Abfahrt zum Konzertbesuch, kenntlich an einem aufgedruckten HVV-Logo.
Mit der U-Bahn der Linie U3 (Kennzeichnungsschilder mit weißer Schrift auf gelbem Grund „U3“) fährt man direkt bis zur Haltestelle „Baumwall“ und hat dann noch etwa 400 m Fußweg zur beim Aussteigen bereits sichtbaren Elbphilharmonie zurückzulegen.
Sehr verwunderlich erscheint mir, dass Hamburg zwar sehr stolz auf seine Elbphilharmonie ist, deren Existenz aber im Stadtzentrum fast vollständig verschweigt. Dazu muss man wissen, dass das Stadtzentrum Hamburgs doch schon ein gutes Stück von der Hafencity entfernt ist, in der sich die Elbphilharmonie befindet. Zwar kann man den ganzen Weg durchaus zu Fuß bewältigen, benötigt dazu aber Insiderkenntnisse über den kürzesten Fußweg und doch so einige Zeit und Kondition.
Hält man sich als Gast oder Tourist im Stadtzentrum auf – also in Nähe von Alster, Rathaus, Jungfernstieg und Staatsoper, wird man entsprechende Hinweisschilder zur ElPhi vergeblich suchen. Diese müssten eigentlich – ähnlich einer Messebeschilderung – fast überall stehen und ins Auge fallen, aber es gibt sie offenbar gar nicht. Der Besucher muss dann schon wissen – oder mühselig erfragen –, dass es auf dem Rathausmarkt zwei Zugänge (Abwärtstreppen) zur U-Bahn gibt, von denen nur einer das gelbe U3-Zeichen aufweist. Hat er dann den Zugang gefunden, wäre es hilfreich zu wissen, in welche Richtung man einsteigen/fahren muss. Da kann man sich rasch vertun! Die reine Fahrtzeit vom Rathausmarkt beträgt nur 6 Minuten – das ist nahezu konkurrenzlos gut! Warum verschweigt man dieses dem Besucher? Mein Vorschlag wäre: Große Hinweisschilder in hellem Pink, und das in reichlicher Anzahl, insbesondere auch an den Einfallsstraßen. Das würde Hamburg auch international als ElPhi-Stadt markieren!
Trotz hervorragender Anbindung über den HVV (Hamburger Verkehrsverbund) gibt es leider Engpässe für Besucher aus den Pendlerbereichen der Hansestadt. Sie müssen sich nach einem Konzertbesuch sputen, um ihre Spätverbindungen noch zu erreichen. Da ist dann keine Zeit mehr für einen entspannten Drink nach einem wunderbaren Konzert. Wie schade, insbesondere im Sommer an lauen Abenden.
Das Gebäude
Das Gebäude der Elbphilharmonie ist baulich, architektonisch und technisch ein faktisches Wunder! Man schaue sich nur die entsprechenden Videos der Baugeschichte auf YouTube an!
Die Elbphilharmonie ist – einem Wahrzeichen gleich – bereits von Weitem zu erkennen. Damit hat das bisherige Wahrzeichen Hamburgs, die Kirche St. Michaelis, „Michel“, Verstärkung erhalten. Wer sich in der warmen Sommerzeit eine zusätzliche Freude bereiten möchte, nähert sich der Elbphilharmonie am besten zu Fuß in einem ruhigen Spaziergang, und zwar von den „Landungsbrücken“ aus (eigene U3-Bahn-Station gleichen Namens). Die Hansestadt hat hier eine neue Elbpromenade, „Hafenplanke“ genannt, erschaffen, die direkt entlang der Elbe bis hin zur Hafencity führt (etwa 1 km). Die Elbphilharmonie ist bereits von Weitem erkennbar und wird beim Näherkommen immer kleiner, bis sie dann beinahe völlig verschwindet! Biegt man dann für die letzten 150 m rechts in den „Kaiserkai“ ein, steht einem urplötzlich ein wuchtiges Riesengebäude gegenüber, dessen wahre Dimensionen (Höhe 110 m) man sich so nicht hat vorstellen können! Ein begeisterndes Erlebnis!
Die „Tube“
Nach Angaben der finnischen Firma Kone ist die zweispurige, konvex gebogene Rolltreppe „die längste Rolltreppe Westeuropas und die weltweit einzige, die einen Bogen beschreibt“. Auf der „Tube“ strömen die Besucher nach der Einlasskontrolle in die Elbphilharmonie hinein. Die „Tube“-Fahrt beträgt zweieinhalb Minuten und führt zur Ebene/Etage 8, auf der sich die „Plaza“ (oberhalb des früheren Speichers und jetzigen Parkhauses) befindet. Auf dem Fahrweg nach oben sieht man fast ausschließlich in erwartungsfrohe Gesichter, die aus dem Staunen nicht mehr herauszukommen scheinen. Auf der Gegenspur verlassen die Besucher die Elbphilharmonie wieder. Hier gibt es von mir einen dezidierten Kritikpunkt: Nach den Konzerten strömen die Besucher in großer Zahl hier zusammen, um die „Tube“ zur Abfahrt zu entern. Nicht auszudenken, was hier passieren könnte, falls es aus irgendeinem Grund eine Panik geben sollte (wobei noch nicht einmal real etwas passiert müsste). Alternative Wege durch (oft überfüllte) Fahrstühle sind im Ernstfall nicht direkt in der Nähe, und wo die Treppenabgänge sind, weiß dann auch keiner. Hier erscheint es mir dringend geboten, an diesem Nadelöhr nachzubessern, z.B. durch eine Zugangssteuerung bereits vor Erreichen der „Tube“.
Die „Plaza“
Die „Plaza“ ist die Ebene/Etage 8. Sie beherbergt die Aussichtsplattform mit einem phantastischen Blick über den Hafen, die Hafencity und die Innenstadt. Zur „Plaza“ haben alle Zutritt, die über ein Ticket verfügen und die Einlasskontrolle passiert haben. Das Ticket muss gesondert gelöst werden oder ist im Ticket für einen Konzertbesuch enthalten. Die „Plaza“ umfasst die Gesamtfläche des Innenraumes, an dessen Seiten sich die Zugänge zu Shop und Restaurantbetrieben und die Zugänge zum kleinen und großen Saal befinden. Letztere haben für den Konzertbesuch eine weitere eigene Eingangskontrolle. An den Außenseiten der „Plaza“ befinden sich die Türen zum Außen-Rundgang, der einen herrlichen Ausblick in alle Richtungen eröffnet.
Zur „Plaza“ sind aus meiner Sicht einige kritische Anmerkungen zu machen: Die große Innenfläche erscheint mir eher dunkel und wenig freundlich belichtet. Es gibt für Besucher praktisch keine Sitzmöglichkeiten, falls sich ein Besucher einmal setzen will oder gar muss. Der gesamte Innenraum ist nicht beheizt. Durch die sich ständig öffnenden und schließenden Türen zum Außenbereich zieht es dort bisweilen „wie Hechtsuppe“. Hohe Erkältungsgefahr ist vorprogrammiert! Im Sommer kann man darüber gelassen hinwegsehen, aber Hamburg ist nun einmal nicht Rimini! Bezeichnenderweise tragen die ElPhi-MitarbeiterInnen der Konzertsaal-Einlasskontrolle im Winter selbst dicke Wintermäntel bei ihrer Tätigkeit. Dann ist von der schicken Personaluniform auch gar nichts mehr zu sehen. Hat man die Einlasskontrolle zum Saal erfolgreich überwunden und ist einige Stufen nach oben gestiegen, strömt einem dann (endlich!) warme Luft entgegen.
Ich verstehe nicht, warum man den Besuchern der Elbphilharmonie so etwas zumutet. Möge man doch den Ticketpreis um einige Eurocent erhöhen und dafür die „Plaza“ beheizen!
Toiletten
Toiletten gibt es tatsächlich – man muss sie nur finden! Es lohnt sich, sich über ihre Positionen zeitig in Kenntnis zu setzen. Hat man sie gefunden, kann man konstatieren, dass sie sehr schön und sauber sind. Sie haben nur einen entscheidenden Nachteil: Sie sind zu klein! Hier habe ich zum ersten Mal erlebt, dass es nicht nur vor den Damen-Toiletten, sondern auch vor den Herren-Toiletten Schlangenbildungen gibt!
Innenbereich
Der in Holz und Holzparkett eingefasste Innenbereich besteht – neben den beiden Konzertsälen – aus den Zugangstreppen zu diesen sowie Ebenen, in denen Snacks und Getränke verzehrt werden können. Hier finden sich z.T. auch Toilettenzugänge.
Die zentrale Garderobe für den Großen Saal befindet sich in der Ebene/Etage 11 (für den kleinen Saal in Ebene/Etage 10). Das sollte man wissen, denn die Treppenwege sind außerordentlich lang und verwunden. Aus der Ebene/Etage 16 wieder zurück in Ebene/Etage 11 zu marschieren, nur weil man das nicht wusste, bedeutet ja auch, wieder von der Ebene/Etage 11 nach 16 aufsteigen zu müssen. Hier ist dann tatsächlich körperliche Fitness erforderlich.
Die parkettierten Treppenstufen haben eine zur durchschnittlichen Schrittlänge nicht natürlich passende Tiefe. Das bedeutet, dass man nicht flüssig nach oben aufsteigen kann und ständig die Schrittlänge variieren muss, um die Stufen nicht zu verfehlen. Für Gehbehinderte wahrlich keine Freude – sie merken es als erste. Zwar gibt es Fahrstühle; sie sind aber oft besetzt, zu klein und kommen nicht zügig.
Ein entscheidender Nachteil des gesamten Innenraums ist, dass der Besucher leicht die Orientierung seines Standortes verlieren kann, da alle Bereiche gleich aussehen und vor allem keine Durchblickmöglichkeiten eröffnen. Wer sich also mit jemandem treffen will, der seinen Platz in einem anderen Bereich hat, wird unter Umständen lange Zeit herumirren. Es gibt eben kein eigentliches Atrium oder Foyer, in welchem jeder jeden sehen und wiederfinden kann.
In den einzelnen Bereichen gibt es keinerlei Raumschmuck oder atmosphärisch wirkende Innengestaltung. Sieht man von einzelnen im Glas eingestellten Dekorationsblumen (Plastik?) innerhalb der Snack-Bereiche ab, habe ich keinerlei Blumenschmuck entdeckt. Es herrscht die nüchterne Atmosphäre eines Kongresszentrums. Als ich das Personal nach einem Abfallkcontainer fragte, weil ich ein kleines Stückchen Papier loswerden wollte, teilte man mir mit, es gebe so etwas nicht – ich möge das Papierstückchen übergeben, es würde dann gesammelt, um es dann später gemeinsam zu entsorgen. Da kam dann bei mir spontan das Gefühl auf, ich wäre nicht in der Elbphilharmonie, sonder direkt in Jacque Tatis Film „Playtime“ gelandet.
In den Bereichen des Konzertsaal-Zutritts werden verschiedene Zuschauer-„Inseln“ zusammengeführt. Dieses Konzept ist recht gut gelungen: Der eigene Platz wird durch 4 Kürzel eindeutig bestimmt, beispielsweise: Etage 16, Bereich K, Reihe 2, Platz 5. Direkt auf dem Sitz steht dann deutlich lesbar: 16 – K – 2 – 5.
Das Personal
Das Personal ist sachkundig, hilfsbereit und freundlich. Ob die Ringelpullis der Herren unter dem Jackett international wirklich einen guten Eindruck hinterlassen – sie sollen wohl maritimes Flair verbreiten – möchte ich mal mit einem Fragezeichen versehen.
Der (Große) Saal
Betritt man zum ersten Mal den großen Saal der Elbphilharmonie, ist man unmittelbar überwältigt. Das ändert sich allerdings mit jedem weiteren Besuch – er wird dann scheinbar immer kleiner. Das ist aber ein allgemeingültiges Phänomen und nicht Elphi-spezifisch. Wer einmal in der Elbphilharmonie gesessen hat, wird die Berliner Philharmonie als reichlich klein empfinden. Doch das ist oft aber eine Trugwahrnehmung.
Die Plätze bieten selbst auf niedrigpreisigen Positionen sehr gute Sicht und noch bessere Akustik. Wer also nur noch die „letzte“ oder „schlechteste“ Karte erstanden hat, braucht nicht wirklich traurig zu sein!
Die digitalisierte Beleuchtungssteuerung erlaubt die Erzeugung einer spezifischen Ausleuchtung, die zum jeweiligen Konzert passen soll. Gleichwohl erscheinen mir bei selbst besuchten Konzerten fast alle Konzerte gleichermaßen ausgeleuchtet gewesen zu sein. Und das bedeutet: Zu hell! Dabei wären intimere, auch dynamischere Aussteuerungen technisch ohne weiteres realisierbar. Wer aus der Laeiszhalle Hamburg kommt, wird in der Elbphilharmonie das Gefühl haben, sich in einem Kongresszentrum zu befinden. Da auch alle Zuschauerinseln satt ausgeleuchtet sind und bleiben, überträgt sich die dadurch vermittelte visuelle Unruhe zuweilen nachteilig auf das Konzertgeschehen. Man muss es wohl hinnehmen, doch musste ich bei mir und in meinem Bekanntenkreis feststellen, dass nahezu alle einen Besuch in der Laiszhalle Hamburg schon aus diesem Grund vorziehen würden. Die Laeiszhalle Hamburg strahlt von selbst Wärme aus, um die die Elbphilharmonie noch erst ringen muss.
Die Akustik
Professor Yasuhisa Toyota, der geniale ausführende Ingenieur der Raumakustik, hat alle Register technischer Möglichkeiten akustischer Klangkalibrierung gezogen. Es gibt praktisch nichts, das nicht von ihm auf den Prüfstand gestellt wurde. Von der Schallausbreitung innerhalb der Sitzpolster bei unterschiedlichen Zuschauerzahlen bis hin zum Raumklang, der durch die „weiße Haut“ – einer Art Wabenstruktur der Wandauskleidung – gebündelt wird, alles ist akribisch geplant, konstruiert und installiert worden. Das Ergebnis ist eine Klangakustik der Spitzenklasse. Damit spielt die Elbphilharmonie in der allerersten Liga heutiger Klangtempel. Gleichwohl gab und gibt es Kritik, nicht nur von Zuhörern, sondern auch von ausführenden Musikern. Hier mussten erst Erfahrungen gesammelt und ausgewertet werden. So macht es bei einer derart sensiblen Akustik einen erheblichen Unterschied aus, wo und wie Instrumente platziert werden oder wo sich SängerInnen aufstellen sollten. Zudem ist die Klangglocke so undurchlässig und beherrschend, dass sich kleinste Geräusche im Saal unmittelbar verbreiten. Und das in jede Richtung! Ein Umblättern einer Programmseite wird von allen Besuchern gehört, und viel schlimmer ist ein Räuspern, Husten oder Reden. Der Klang ist überall und immer vollständig zu hören!
Man kann der Akustik der Elbphilharmonie bescheinigen, dass sie eine kristallklare Transparenz hat, die jedes Instrument in allen Details hörbar macht. Doch denke ich bei dem Ausdruck „kristallklar“ zunächst an Eiskristalle und assoziiere mithin eine Qualität von Kälte. Nicht nur ich habe oft den Eindruck, als klinge es in der Elbphilharmonie zuweilen zu „steril“. Wenn ich dann den Klang vergleiche, fällt mir der doch deutliche Unterschied zum Concertgebouw in Amsterdam oder zum „Goldenen Saal“ des Wiener Musikvereins ein, in denen nichts, aber auch gar nichts an Transparenz zu vermissen ist, die aber warm und samtig klingen. Beide Konzerthäuser, die ja noch ohne digitalisiertes Klangdesign erbaut wurden, würde ich persönlich der Elbphilharmonie bei einem Konzertbesuch vorziehen. Doch das ist alles höchst subjektiv in der persönlichen Wahrnehmung.
Das Publikum
Ein „Dauerbrenner“ erhitzter Diskussionen in der jüngsten Vergangenheit. Kein Besucher einer Bibliothek – selbst wenn er/sie gar nicht lesen könnte – würde sich erlauben, in den Räumlichkeiten laut zu sprechen oder anderweitige Störgeräusche zu machen. Kein Musiker auf dem Podium würde Gleiches wagen. Auch Räuspern und Husten muss nicht unbedingt sein, schon gar nicht an den sensibelsten Stellen eines Konzertes. Rücksichtnahme, Respekt und Selbsterziehung hatten früher mehr Bedeutung als heute. Störungen durch Räusperer und Huster in Konzerten gab es in früheren Jahren seltener, obwohl ja damals viel mehr Menschen geraucht haben.
Aber in der Elbphilharmonie gab es auch ganz andere Störungsmuster: So strömten in einem von mir besuchten Konzert des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg scharenweise Zuschauer nach draußen, während der Dirigent, Kent Nagano, gerade erst das Podium betrat, um den verdienten Applaus für sein Orchester und sich entgegenzunehmen. Aberwitzig dabei die Optik: Kent Nagano auf dem Podium in Richtung Mitte, Zuschauer – nur 2 Meter von ihm entfernt, aber halt eben unten – in Gegenrichtung unterwegs, den Dirigenten noch nicht einmal eines Blickes würdigend. Das macht fassungslos!
Hier muss dringend etwas passieren; zumindest dieser Bereich vor dem Podium sollte optisch durch Absperrungen geschützt werden. Beim Konzert des Chicago Symphony Orchestra unter Riccardo Muti kamen zahlreiche Besucher nach der Pause erst so spät zurück an ihre Plätze, dass der schon längst wieder dirigierende Maestro sich umdrehen musste, um einen strafenden Blick auf die Nachzügler zu werfen. Erst viel später erklärte er, dass er gedenke, künftig keine Konzerte mehr in der Elbphilharmonie geben zu wollen. Jonas Kaufmann und andere taten ihm es nach. Wenn sich hier das Publikumsverhalten nicht bessern lassen sollte, wird die Elbphilharmonie künftig Gefahr laufen, in den Agenturen unvorteilhaft taxiert zu werden. Das wäre tatsächlich sehr bedauernswert.
Fazit
Die Elbphilharmonie Hamburg ist bereits in den ersten drei Jahren ein Juwel unter den Konzerthäusern der Welt geworden. Sie hat gezeigt, dass sie ihre Zielvorgaben einlösen kann. Die Zukunft wird zeigen, ob sie der weiteren Entwicklung des Konzertbetriebes bei immer höher werdenden Standards und künstlerischen Ansprüchen wird gerecht werden können. Die Chancen stehen sehr gut, doch wird man wohl nicht ohne die eine oder andere Nachbesserung dieses ambitionierte Ziel erreichen können.
Dr. Holger Voigt, 10. Januar 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Ergänzend zu den guten Hinweisen in punkto Anfahrt: Von der erwähnten U- und S-Bahn-Station „Landungsbrücken“ aus kann man alternativ auch per Hafenfähre (HVV-Tarif, also üblicherweise im Ticketpreis enthalten) direkt zur Elbphilharmonie schippern. Das verschafft dann auch einen schönen Panoramablick aufs Gebäude.
Guido Marquardt