Il Trovatore © Brinkhoff-Mögenburg
Die Premiere vor zwei Wochen scheint ja in Buh-Rufen untergegangen zu sein, wie auf diesen Seiten zu lesen war. Grund genug für mich, der Sache auf den Grund zu gehen…
Il Trovatore
Musik von Giuseppe Verdi
Libretto von Salvadore Cammarano nach Antonio García Gutiérrez
Staatsoper Hamburg, 23. März 2024
von Harald Nicolas Stazol
…und in Nullkommanix stellt mir die Direktion dankenswerterweise und meine Neugier befriedigend ein Ticket zur Verfügung. Nichts also, wie ab, in die dritte Vorstellung, was soll man sich an einem Samstag-Abend schon Sinnvolleres vornehmen, her mit dem Anzug, raus mit dem Hemd, rum die Krawatte, ab in den Bus und also: Vorhang auf! Staatsoper Hamburg, Verdis, „Il Trovatore“.
„Die Oper ist eher holzschnittartig“, sagt mir der junge Mann, der es sich im Schneidersitz auf der Fensterbank oben im Foyer bequem gemacht hat samt seiner Freundin. Schneidersitz? Holzschnittartig? Unerhört! Aber jetzt bin ich wirklich gespannt wie ein Flitzebogen. Und schon gehts los!
Die Handlung ist derart verwirrend, dass ich fast erleichtert bin, als ein Herr hinter mir in Reihe 17 sagt, „was für ein (Kraftausdruck) Plot!“ Ich verliere schon in der Vorbereitung den Überblick, bleibe aber tapfer. Eine Art „Killing Fields“, ziemlich früh, Blut, Boden, Rache, zwei Männer, eine Frau, das kennt man ja. Man kommt vor verbrannten, verwechselten Kindern und sich gegenseitig Umbringenden echt kaum mit, muss ich gestehen. Also muss ich das Ganze – was bleibt mir übrig? – als Gesamteindruck sehen.
Nach 78 Minuten vor der Pause sehe ich noch immer keinen Grund zu Buhen, im Hinstreben ins Foyer höre ich zwei Damen, „Ach, ganz neu“ – „Ja, sehr erfrischend!“ – da bin ich beruhigt.
„Unsere Oper, unser Chor muss sich vor niemandem verstecken!“ klärt mich der Gentleman mit der Clubkrawatte vor dem linken Eingang in der Pause auf, offenbar kennt er sich aus, ich habe ihm mit Feuer ausgeholfen (wie passend? Dazu gleich), weil er in einer Hand sein Champagnerglas hält, Gentlemen und Opernkenner helfen sich eben gegenseitig:
„Die Münchner laden halt größere Namen ein und machen mehr Wind! Aber die lupenreine Sicherheit des Chores heute, finden Sie nicht?“ – „Doch, das ist mir auch aufgefallen!“ versetze ich, „der Chor der Zigeuner war makellos und feurig!“, die Melodie ist ja auch hochberühmt – und da haben wir es schon, das Kennzeichen dieser Inszenierung, die heute zum dritten Male gegeben wird: Flammen, Flammen allüberall. Schließlich ist Krieg in Spanien, dass gerade keinen König hat, da sind zwei sich bekriegende Fraktionen, Brüder, die nichts voneinander wissen, und deswegen Todfeinde sind.
Ein brennendes Hausmädchen, ein flammender, später verkohlter Kinderwagen, ein Tisch, der sich entzündet, zwei Scheiterhaufen, die allerdings in der Teichoskopie, der Mauerschau, dem Zuschauer verborgen sind, „Seht doch, seht!“, eine Erfindung des griechischen Dramas. Geraucht wird eh in dem Visconti-Interieur des Bühnenbildes (Alex Eales), eines Palastes aus dem 19. Jahrhundert, aus dessen Epoche auch die Kostüme sind (Herbert Barz-Murauer) – beim Bild fällt allerdings auf, von der reinen Architektur, dass die Kulisse, etwas umdekoriert, Empore oben links, weite Treppe hinab rechts herab, Saalebene unten, bis auf die Stufen im Plan der der „Lucia di Lammermoor“ von neulich Abend gleicht… aber Recycling ist ja in? Oder ist Palazzo gleich Palazzo?
Ohnegleichen die Leonora, Guanqun Yu, von deren Hin- und Hergerissenheit zwischen zwei Männern man hingerissen ist, „diese Höhen!!!“ notiere ich. Folgerichtig bekommt sie jedes Mal Zwischenapplaus, ein wenig schleierhaft bleibt mir nur, wie sie sich in den recht beleibten Troubadour (Gwyn Hughes Jones) verlieben kann, aber singen kann er, bis zur Saaldecke so volltönend, das steht schon mal fest!
Nur Azucena (Elena Maximova), die Zigeunerin, die in ihrer Rachsucht die Kinder verwechselt hat beim Verbrennen, scheint mir nicht recht bei Stimme. So jedenfalls höre ich es.
Aber ich bin ja ahnungslos. Einzig beunruhigend der Zusatz auf der Besetzungsliste, ganz unten rechts, wieder ein Beweis der heutzutage vorherrschenden Cancel Culture scheint mir: „Wir machen darauf aufmerksam, dass der Text von Il trovatore diskriminierende Sprache enthält, und die Inszenierung körperliche und sexualisierte Gewalt darstellt“ – und ja, ein Hausmädchen, nein zwei, werden vom Grafen – Ius prima noctis lässt grüßen – auf dem Tisch vergewaltigt, zwei Schergen halten sie fest – das geschieht auch heute in den gerade tobenden Kriegsgebieten!
Der „New York Times“ entnehme ich gerade, dass die MET „Turandot“ absetzen will, „because of the Stereotypes on China“ – na Prost Mahlzeit, da können bei „Aida“ ja auch die alten Ägypter klagen? Sinnlos, unnötig, ja, idiotisch. So jedenfalls sehe ich es.
„Wonderful, just wonderful!“ schwärmt die Dame aus Helsingborg gerade, „we only have an Opera in Malmö…“, als ich sie frage, wie ihr der Inszenierung gefällt, „have you seen it often?“ – „No“, sage ich, „never“, zum ersten Mal, gestehe ich, das Werk, zu dem Enrico Caruso sagte, zu deren Aufführung brauchte man nichts anderes, „als die vier besten Sänger der Welt“.
Da Hamburg das Tor zur Welt ist, und Caruso lange unter der Erde, haben wir hier also folgerichtig schon mal die vier besten Stimmen versammelt, die gegenwärtig in der Hanse zur Verfügung stehen. So jedenfalls höre ich.
Wo ist eigentlich mein Lieblingsitaliener Rocco, wenn man ihn braucht? Und wieso kann ich eigentlich kein Italienisch? Aber es gibt ja die Übertitel: „Der Glanz ihres Lächelns lässt die Sterne verblassen“ – na, wenn das keine Liebe ist? – „Vergeblich stellt sich ein neidischer Gott meiner Liebe entgegen“ – kommt mir auch sehr bekannt vor! – „Flieh, wenn Du kannst!“ – lieber Giuseppe, dafür sehe ich gerade gar keinen Grund! Das Publikum auch nicht, allenthalben ist man amüsiert bis ergriffen, kein Buh-Ruf, nirgends!
Als beinahe alle tot sind, und der Palazzo ganz verkohlt, rauschender Applaus, zu Recht auch dem Orchester und dem Dirigenten Giampaolo Bisanti, dreimal kommen die Künstler auf die Bühne – und dann, schon auf dem Heimweg an der Haltestelle, eine ehrwürdige, langhaarige, exzentrische Dame, ganz in lila, samt Lippen und Schal und Brillengestell:
„Das war jetzt mein dritter Troubadour. Heute kann man die Sänger ja nicht mehr auseinanderhalten? Haben Sie gesehen, wer heute da war? Sehen Sie die Reisebusse? Da kennt sich doch niemand aus!“ – „Ich auch nicht, Gnädigste. Aber irgendwann, irgendwo muss man ja mal anfangen? Hauptsache, die Leute gehen hin, oder?“ – „Da mögen Sie recht haben…“
Habe ich.
Der erste Bus fährt los. Und da kommt schon der meine.
So jedenfalls sah ich es.
Harald Nicolas Stazol, 26. März 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Giuseppe Verdi, Il Trovatore Staatsoper Hamburg, 17. März 2024 PREMIERE
Giuseppe Verdi, Il Trovatore Staatsoper Hamburg, 17. März 2024
Giuseppe Verdi, Il Trovatore Staatsoper Hamburg, 17. März 2024 PREMIERE
Na ja, ich habe mich am meisten über die sängerischen Leistungen einschließlich Dirigenten geärgert… Das war wohl eher Klein-Pöseldorf als Weltklasse-Oper.
Und, wenn man es sich recht überlegt: warum sollte eine derartige Vergewaltigungsszene gezeigt werden? Nach meiner Meinung: völlig unnötig und mehr auf St.Pauli als in der Staatsoper angebracht.
Oder ist der Regisseur vielleicht dazu veranlagt, solche Verbrechen zu zeigen oder hegt er (unbewusst?) derartige Fantasien?
Jedenfalls hat er es geschafft, dass ich mir diese Inszenierung nie wieder ansehen werde, obwohl ich die Musik von Verdi für überragend gut halte und stets gerne auf CD höre (nach dem Motto: „“Il Trovatore” ist ganz leicht zu inszenieren: man braucht nur die 4 besten Sänger der Welt“) – jedoch hier war nichts wirklich Spitzenklasse…
Karl Wolfarth