Warum lieben wir Oper? Weil Bild und Musik und Text und Bewegung zusammenkommen. Schön ist das.
Foto: Durch ein Wohnzimmer auf der ElPhi-Treppe zum Großen Saal…
Elbphilharmonie, Hamburg, Rolltreppe © Michael Zapf
von Sandra Grohmann
Wenn aber Bild und Musik und Text und Bewegung und dann auch noch ironischer Unsinn fein abgestimmt zusammenkommen, ist Perfektion erreicht. So bei Patricia Kopatchinskajas „Phantasmagorien“, die im Rahmen des Internationalen Musikfests Hamburg Digital am 28. Mai 2021 zum ersten Mal aus dem heimischen Monitor schauten (nachzusehen auf https://youtu.be/4H4_Zf1I0hs ). Ein Fest wahrhaftig, das sich da um Kurt Schwitters „Ursonate“ lautmalt. Laut malt. So wunderbarsamgroßunartig, dass ich es gleich noch einmal anschauen musste. MUSSTE! Denn dies war das Intelligenteste, was ich im Angebot dieser an Digitalem nicht eben armen Monate wahrgenommen habe. Ich bin verliebt! Warum nur?
Erstens: Hier wird nicht einfach abgefilmt. Hier wird in Szene gesetzt. Schon der erste Konzertauftritt des Duos Patricia Kopatchinskaja (Violine)/Reto Bieri (Klarinette) ist umwerfend, im Wortsinn.
Zweitens: Das Hochamt der Ironie. Das ist kompletter Unsinn, aber Ironie ohne Intelligenz funktioniert nicht. Also hat es doch wieder Sinn. Dada? Alles spiegelt sich. Mattscheibe auf der Mattscheibe. Kunstton im Kunstton. Selbstvor- und –rückbezüglichkeit auf allen Leveln. Das funkelt.
Drittens: Zwei atemberaubende Musiker spielen hochkonzentriert miteinander. Spielen und spielen. Musik und Spiele. Jeu. Vom elften Jahrhundert bis heute – bis zu PatKop. Was hecken sie für die nächste Szene aus?
Viertens: Das reißt mit. Auch weil die Kamera ganz nah dran ist. Das ist nicht live minus live. Das war live so nah dran, wie es live gar nicht ginge.
Fünftens: Auf das „E“ vor der Musik können wir getrost verzichten. Und auf das „U“? Who cares, wenn ein oder gar zwei „Da“ in der Nähe sind. Ich bekenne: Da-Musik is it!
Sechstens: Wir reisen durch guggenheimeske Parkhäuser, in denen Mönche spielen (schon wieder Spiel). Durch WCs, in denen „es kommt“. Durch ein Wohnzimmer auf der ElPhi-Treppe zum Großen Saal. Ach, Bach! Wo sonst kommen diese Welten einander so nah?
Siebtens: Kopatchinskajas eigener Ton, leicht rauchig, immer erzählend, überträgt sich auch über das Netz. Violine ist Stimme ist Klarinette ist Stimme ist Violine. Klangrede, Redeklang. Intensiv oder pianissimo. So viel zu erzählen. Atem anhalten, um zu hören.
Und überhaupt, aber nicht letztens: Fümms bö wö tää zää uu. Schwitters, der Maler, der Dichter, sagte ich Lautmaler? Viel mehr: der Lautundleisymphoniker. Für alle, die den ursprünglichen Film sehen möchten: Der ist von der ElPhi auch ins Netz gestellt (https://youtu.be/C6-rVq4jF74). Ursonate? Das ist, wie man sieht, mindestens ein Quartett. Eigentlich eine Kammersymphonie. Unwiderstehlich.
Sandra Grohmann, 30. Mai 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Brava, liebe Sandra!
Andreas Schmidt, Herausgeber