"Die Emotionen der Zuschauer gehören zum Gesamtwerk"

Interview am Donnerstag 12: Stephen Gould, Tenor

Foto: © 2009 | Daniel Bruengger

Interview am Donnerstag 12: Wagnertenor Stephen Gould (Bayreuther Festspiele 2019)

von Jolanta Lada-Zielke 

Stephen Gould ist Heldentenor, kommt aus Virginia und studierte am New England Conservatory of Music in Boston. 2015 wurde er zum Österreichischen Kammersänger ernannt. In Bayreuth debütierte er 2004 als Tannhäuser, danach sang er 2006 – 2008 Siegfried im „Ring des Nibelungen“ unter der Regie von Tankred Dorst. 2019 sang er wieder die Titelrolle in Katharina Wagners Inszenierung von „Tristan und Isolde“.

klassik-begeistert.de-Autorin Jolanta Lada-Zielke, Kulturjournalistin und -reporterin aus Polen, Korrespondentin der Musikfachzeitschrift „Ruch Muzyczny“ sowie der Theaterzeitung „Didaskalia“ hat Stephen Gould schon zum dritten Mal in Bayreuth getroffen. Diesmal hat sie mit ihm über Wagners „Tristan und Isolde“ gesprochen.

Sie singen Tristan in den Staatsoper in Hamburg, Wien und Berlin. Wie fühlt sich das an, diese Partie im Festspielhaus in Bayreuth zu singen?

Natürlich muss man sich das bewusst machen. In diesem Gebäude ist der kleinste Ton definitiv präsent. Und das macht die Vorstellung manchmal schwierig. Du kannst nicht wissen, wie viel von deiner Stimme zum Publikum durchkommt. Aber das gibt dir die Gelegenheit, „Tristan und Isolde“ weniger als eine große, sondern mehr als eine Kammeroper zu erleben. Ich glaube, das Publikum ist in dem Stück mehr involviert und für „Tristan und Isolde“ funktioniert das gut. Als ich das Werk studiert habe, haben mir viele gesagt: „Vergiss nicht, dass das fast ein symphonisches Stück ist und die Stimmen ein Teil vom Orchesterklang sind.“ Zwar stimme ich da zu, aber ich gehe noch weiter. Ich denke, im emotionalen Sinne soll das Publikum ein Teil der Vorstellung werden, egal ob es mit der Interpretation einverstanden ist. Die Emotionen, die die Zuschauer mitbringen, gehören auch zu diesem Gesamtwerk.

In Bayreuth ist es oft sehr heiß. Für die ganze Besetzung des „Tristan“ war das wirklich schwierig, weil sie auf der Bühne dicke Kostüme trägt …

Stephen Gould (Tristan) © Bayreuther Festpiele / Enrico Nawrath

Da ich bereits früher in Bayreuth war, bin ich daran gewöhnt, dass wir hier immer ein paar Tage eine heftige Hitze haben. Und das Theater darf nicht klimatisiert werden, sonst könnte das alte Holz zerplatzen. Für so ein wunderschönes Theater mit so einer wunderbaren Akustik wäre das sehr gefährlich. 2015, als der „Tristan“ seine Premiere hatte, gab es drei Wochen lang eine starke Hitze, ganz ungewöhnlich. Am schlimmsten war das, als der „Tristan“ im Fernsehen übertragen wurde. Das war der heißeste Tag, etwa 36 Grad draußen und auf der Bühne über 40! Und wir alle in dicken Kostümen… Ich sagte mir, na wunderbar, jetzt sehen alle im Fernsehen, dass ich so sehr schwitze…  Aber im Orchestergraben war es noch schlimmer und für das Publikum mehr als unangenehm. Aber man muss mit solchen Dingen klarkommen und einfach hoffen, dass es eine Abkühlung gibt. Jetzt fühlen wir uns auf der Bühne viel besser.

 „Tristan und Isolde“ ist eine sehr ernsthafte Oper. Ist trotzdem mal während der Proben oder sogar der Vorstellung etwas Unerwartetes oder Lustiges passiert?

In der ersten Saison haben wir ein paar lustige Sachen erlebt, die am häufigsten mit technischen Problemen zu tun hatten. Im zweiten Akt haben wir mit einem speziellen Gerät zu tun, das ich „Schmerzmaschine“ nenne, weil es zum Foltern da ist. Isolde und ich, wir schnitten damit in unsere Unterarme, eine Art der Selbstverletzung, und natürlich sollte dort Blut rauskommen. Manchmal hat das Gerät aber auch von alleine funktioniert und zwar während der Vorstellung. Das Blut ist entweder in Strömen rausgespritzt oder es war zu wenig davon da. Bei einer Vorstellung konnten wir die Behälter mit dem Blut nicht richtig aufkriegen, wir probierten es wieder und wieder und letztendlich haben wir uns beim Singen geprügelt. Also haben wir auch Spaß dabei, das ist aber ganz normal. Man muss einfach mögen, was man macht.

In einem Brief an Mathilde Wesendonck schrieb Richard Wagner, dass „Tristan und Isolde“ eine hysterische Oper sei und so sein müsse. Wie verstehen Sie das?    

Um verstehen zu können, was er damit sagen wollte, muss man das im Kontext seiner Zeit platzieren. Als Richard Wagner „Tristan und Isolde“ sowie die Wesendonck-Lieder komponierte, befand er sich unter dem Einfluss von Schopenhauers Philosophie. Damals war das revolutionär. Wir sollten nicht vergessen, dass die Wiener Staatsoper die Premiere des „Tristan“ ablehnte. Sie behauptete, das Werk sei unspielbar und nicht szenisch. Ich glaube, Wagner meinte mit „hysterisch“ die damaligen radikalen Ideen, die das Publikum nicht verstehen konnte. „Mittelmäßig“ heißt nicht, dass man schlecht singt und spielt und dadurch kann der Autor des Stücks gerettet werden. In Wagners Zeit konnten die Zuschauer auf ein Stück emotionaler reagieren als heute. Du kannst dich selbst finden, wenn du für extreme Emotionen offen bist. Es ist fast Wahnsinn, wenn der „Tristan“ zu Ende geht. Du könntest deine Stimme verlieren, aber du musst dich vom extremen Charakter der Musik im “Tristan” ein bisschen distanzieren, sonst könntest du als Schauspieler die Kontrolle verlieren.

Und dasselbe betrifft auch Isolde, besonders im ersten Akt. Ihr dämonischer Zorn ist so stark, dass sie, wenn sie sich in die Rolle zu sehr hineinsteigern würde, an einen Punkt käme, ab dem sie nicht mehr singen könnte. Also denke ich, es geht nicht darum, dass ich als Sänger eine „mittelmäßige“  Vorstellung leisten könnte. Es geht darum, sich von dem Werk ein bisschen zu distanzieren, eben weil es so intensiv und emotional ist.

Stephen Gould (Tristan) und Petra Lang (Isolde) © Bayreuther Festpiele / Enrico Nawrath

Christian Thielemann schrieb in seinem Buch „Mein Leben mit Wagner“, dass der dritte Akt des „Tristan“ schwieriger als der zweite sei, weil es für die Sänger ständig „forte“ gebe.  

Ich stimme mit ihm überein, aber das alles ist sehr relativ. Wie alle Heldentenöre, habe ich auch das Problem, in einigen Passagen „soft“ zu singen. Mein Gesangslehrer sagte aber, dass alles relativ ist. Manchmal sollst du eine entsprechende „Farbe“ finden, um die Illusion eines Pianissimo zu schaffen. Das Problem bei Wagner ist, dass du immer stärker sein und gegen das Orchester singen musst, obwohl, um ehrlich zu sein, im zweiten Akt die Orchestrierung stärker ist als im dritten. Aber ich stimme zu, dass die Musik im „Tristan“ voll von Traurigkeit und verschiedenen Farben ist. Sie korrespondiert sehr gut mit Tristans Visionen, mit seinem Wahnsinn, seinem Fieber, ehe er stirbt. Er sieht verschiedene Abschnitte seines Lebens. Erst im dritten Akt lernen wir das alles über Tristan.

Ich mag Katharina Wagners Idee mit den Dreiecken, in denen verschiedene Isolden in verschiedenen Stellungen erscheinen. Das symbolisiert, dass Tristan und Isolde immer in eine Ecke getrieben werden. In den Visionen erscheint Isolde immer im Licht, befindet sich aber doch in der Ecke. Ich versuche, ein Teil ihrer Welt zu werden, das ist aber nur eine Illusion. Ich glaube, das Symbol des Dreiecks bezieht sich auf den ersten Akt, als wir uns alle in einer Ecke befinden und danach im Schatten verschwinden.

Ich glaube, das korrespondiert gut mit meinen Visionen: Liebe, Hass, Hingabe, die Welt von Tag und Nacht… ich war kurz in der Welt des Todes, jetzt bin ich zurück und spreche von meiner Kindheit, von meiner Mutter, die ich nicht gekannt habe, von meinem Vater, der starb, ehe ich geboren wurde… Und wir sehen den leidenden Tristan, der sich nach dem Tod sehnt und darin eine Erlösung sieht.

Sie singen wieder „Tannhäuser“. Er zählt zu  Wagners Choropern. Singen Sie gerne mit dem Festspielchor zusammen?

Foto: © Bayreuther Festspiele /Enrico Nawrath

Ich liebe es, mit Chören oder mit meinen Kollegen in Ensembles zusammen singen zu können. Bei Wagner gibt es Probleme, wenn ein Solist mit dem Chor zusammen singt, weil der Chor manchmal zu laut ist. In „Tannhäuser“ wird ein Teil vom Chor häufig „gestrichen“, damit der Tenor besser zu hören ist, z. B. bei dem Stück „Erbarm dich mein“. Ich habe das außerhalb von Bayreuth gemacht und es funktioniert, wenn meine Kollegen und ein Teil des Chores pianissimo singen. Ansonsten bist du nicht zu hören, egal wie stark deine Stimme ist. Die andere Gefahr besteht darin, dass du dich selbst nicht hören kannst. Aber hier in Bayreuth klingt das alles wunderschön, weil der Festspielchor natürlich einer der besten Wagnerchöre der Welt ist.

Wenn unter so vielen Stimmen jede einzige so klar und leicht hinter dir singt, fühlt sich das wie eine Welle an, die deiner Stimme hilft. Ich habe schon in anderen Opernhäusern erlebt, dass der Chor hinter mir bei den Proben immer pianissimo gesungen hat und während der Vorstellung unerwartet losgebrüllt hat und zwar so laut, wie er nur konnte. Dann habe ich gesagt, dass ich das nicht mehr mitmache! Wagner-Chöre sind ziemlich diszipliniert, weil es nicht darum geht, dass man so laut wie möglich singt. Wenn du unter so vielen Stimmen jede einzelne hören kannst, dann weißt du, dass sie wirklich auf hohem Niveau zusammen singen.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Jolanta Lada-Zielke, 11. August 2019, für
klassik-begeistert.de

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