„Für mich ist jede Oper ein Schauspiel mit Musik“: Interview mit Brigitte Fassbaender, Teil 3

Interview mit Brigitte Fassbaender – Teil 3  klassik-begeistert.de, 23. Dezember 2023

Brigitte Fassbaender © Foto Larl

Dr. Regina und Dr. Andreas Ströbl führten ein Interview in drei Teilen mit der legendären Mezzosopranistin und Regisseurin Brigitte Fassbaender am 12. Dezember 2023 in Lübeck.

Lesen Sie heute den letzten Teil dieses Interviews aktuell bei uns:

klassik-begeistert: Edna Prochnik (Klytemnästra) und Lena Kutzner (Chrysothemis) haben uns begeistert von der Arbeit mit Ihnen berichtet.

Dabei haben sie vor allem die Kollegialität und Harmonie in der Probenarbeit unterstrichen. Das sogenannte Regietheater ist aber längst nicht ausgestorben und befreundete Sängerinnen und Sänger klagen vermehrt über egomane, tyrannische, ja übergriffige Regisseure, bei denen man sich manchmal vorkommt wie in Becketts „Katastrophe“.  Ist das eine Mentalität, die sich wieder breitmacht, weil Typen wie Trump, Putin, Erdoğan oder Bolsonaro (die Reihe lässt sich leider fortsetzen) vormachen, dass Selbstsucht und Rücksichtslosigkeit sich auszahlen?

Und was ist für Sie auch in der Lübecker „Elektra“-Produktion das Wichtigste in der Regiearbeit?

Brigitte Fassbaender: Das ist ja nicht nur eine Frage, darin sind zehn Fragen versteckt (lacht). Also ich glaube, dass das weniger mit Trump oder Putin zu tun hat. Kommen wir mal kurz auf das sogenannte Regietheater: Ich finde den Begriff schon so merkwürdig, darüber lässt sich lange diskutieren, was das denn überhaupt ist.

Ich meine, dass junge Regisseure sehr oft ein Stück inszenieren, mit dem sie gar nichts anfangen können, das sie kaum kennen, weil sie sich nicht richtig vorbereiten.

Ich kann das nie glauben, aber die Kollegen erzählen mir das und es scheint so zu sein. Ich glaube, dass die Exzentrik, die Regisseure oft vermitteln, durch die Kritiker begründet ist. Ich denke, dass die Kritiker, die so 4–5-mal in der Woche in die Oper gehen müssen, nur noch auf etwas abfahren, was sie noch nicht gesehen haben. Daher der Zwang für Regisseure, etwas machen zu wollen, was für die Kritiker für den Augenblick neu ist. Dann inszeniert man eben für die „Opernwelt“ oder was weiß ich für welches Blatt. Das ist eine Triebfeder für Regisseure, die sich verzweifelt etwas ausdenken müssen und oft etwas an den Haaren herbeiziehen, damit sie interessant sind.

Wenn man noch einen gewissen Respekt vor den Komponisten und Librettisten zeigt und glaubt, dass das nicht alles Idioten waren, sondern versucht, das Stück wenigstens wiedererkennbar zu inszenieren, wird man als konventionell oder traditionell abgetan.

Allerdings glaube ich, dass es legitim ist, dass man als junger Regisseur seiner Phantasie freien Lauf lässt. Man denkt immer, man muss die Oper neu erfinden, wenn man anfängt. Aber das schleift sich ab. Man erkennt dann, es ist sowieso schon alles mal dagewesen. Eine Elektra z.B. kann man eigentlich gar nicht fassen, das ist so gewaltig von Strauss und Hofmannsthal. Da kann man sowieso nur eine Lesart, Nuancen oder Aspekte einbringen, die aus einer ganz persönlichen Sicht erwachsen.

Diese Individualität fordere ich auch von den Sängern, den singenden Darstellern. Sie sollen nicht etwas Übliches abziehen, was sie hundertmal gesehen oder gemacht haben, sondern wir müssen in uns hineinschauen und in uns hineinhorchen, was sagt uns denn dieser Text eigentlich? Sind wir uns denn dieses Textes bewusst, der ja in dem Fall genau so groß ist, wie die Musik? Und was löst denn dieser Text, was lösen denn diese ungeheuren Bilder, die durch den Text entstehen, in uns aus?

Und das dann durch die Musik überhöht, wie können wir das zusammenschmelzen und unseren Beitrag ganz persönlich dazu leisten, es für die Bühne zum Leben zu erwecken? Das ist ein spannender Vorgang. Für mich ist jede Oper ein Schauspiel mit Musik. Wir haben hier angefangen, nur den Text zu sprechen, ohne Musik, was natürlich sehr schwer ist für die Sänger, weil die sofort den musikalischen Duktus mitdenken. Den Text, die Aussage so natürlich und selbstverständlich wie möglich gestalten, das kommt der Musik zugute…

klassik-begeistert: Dann geht es gleich in die nächste, gesamtkunstwerkliche Frage. Sie malen ja auch selbst und empfinden die Malerei als „regenerierende Kreativität“. Inwieweit fließen Ihre ästhetischen Kenntnisse von Zeichnung und Malerei in die Arbeit mit Bühnenbildnern ein, auch in der aktuellen Elektra?

Brigitte Fassbaender: Gar nicht. Das Einzige, was ich glaube zu haben, ist ein proportionales Denken und Fühlen auf der Bühne, aber die Arbeit am Bühnenbild entsteht immer gemeinsam und die erste Hand für die Ideen hat der Bühnenbildner.

Ich habe nur einmal in meinem Leben Bühnenbildvorschläge gemacht – es war eine sehr bunte Zauberflöte – und sie sind ein bisschen umgesetzt worden. Aber sonst würde ich das nie wagen. Ich brauche die Zusammenarbeit, auch das Hinterfragen mit dem Bühnenbildner und die Auseinandersetzung beim Entstehen des sogenannten Konzeptes. Ich möchte niemals alles alleine machen, das könnte ich nicht. Das sind zwei Welten, das muss durch gemeinsames Erarbeiten zusammenwachsen. Da dürfen auch manchmal Kontroversen entstehen, so dass sich eine gewisse Spannung aus der Arbeit ergibt.

Mit dem einen Bühnenbildner geht es schneller, z.B. mit Johannes Leiacker, da braucht man ein Gespräch, dann weiß er, wo es langgeht; mit anderen brauche ich länger. Das ist ganz verschieden, das ist eben ein Weg des Abenteuers. Jede Inszenierung ist und bleibt eine Herausforderung, bis zum Schluss. Für alle Beteiligten.

klassik-begeistert: In Lübeck inszenieren Sie nicht nur die Elektra, Sie werden mit unserem GMD Stefan Vladar auch einen Abend bestreiten, der außer einem Künstlergespräch die Aufführung von Richard Strauss’ „Enoch Arden“ beinhaltet. Wie kam es zu dieser Zusammenstellung und was erwartet den Besucher dieses Abends mit diesem eher selten zu erlebenden Stück?

Brigitte Fassbaender: Ja, das weiß ich auch nicht! Ich weiß nur, dass der Stefan Vladar mich gefragt hat, ob ich das mit ihm machen würde. Und ich habe ‚Ja‘ gesagt. Ich war nur von einem Künstlergespräch ausgegangen, das mach’ ich öfter. Und dann kam er mit dem Plan „Enoch Arden“ und damit, dass es eine gestrichene Fassung sein muss, das hab’ ich bis jetzt noch nicht gemacht. Aber die Gesamtfassung ist in Verbindung mit dem Künstlergespräch zu lang. Ich hoffe, meine Strichfassung gefällt ihm (lacht).

klassik-begeistert: Es ist ja wirklich ein ganz selten zu erlebendes Stück.

Brigitte Fassbaender: Aber ich finde es wunderschön. Es ist eine berührende Ballade, ein Melodram, ich liebe es.

klassik-begeistert: Also ich kenne nur die Oper von Ottmar Gerster, die ist auch außergewöhnlich.

Brigitte Fassbaender: Die kenne ich nun wieder überhaupt nicht. Den Namen kenne ich, der hat einen Enoch Arden geschrieben? Interessant! Basierend auf dem Text von Alfred Lord Tennyson hat der junge Strauss das dem damals berühmten Schauspieler und Theaterleiter Ernst von Possart auf den Leib geschrieben. Mit diesem großen Melodram sind beide durch die Lande getingelt, von Possart hat rezitiert und Strauss hat mit der Begleitung ein bisschen Geld verdient. Wenn man das strichlos macht, dauert es ca. 87 Minuten und das ist natürlich für den Anlass in Lübeck zu lang. Die Sprache, der Übersetzung ist sehr schön, sehr poetisch.

klassik-begeistert: Sie schreiben in Ihrer Autobiographie „Komm’ aus dem Staunen nicht heraus“, die ich vor Jahren begeistert rezensiert habe, dass Sie Caruso, Shakespeare, Mozart und Schubert gerne „im Himmel treffen“ würden. Ich überlege mir immer, ob, wenn ich dort Wagner träfe, ich ihm erst eine ’reinhauen und ihn dann umarmen würde oder umgekehrt. Was würden Sie ihm sagen, wenn er im Jenseits zwischen Caruso und Schubert stände und sie erwartungsfroh ansähe?

Brigitte Fassbaender: Ich würde ihm sagen, „es ist sehr schwer, Sie zu lieben“. Man muss den Menschen von seinem Werk trennen – Paradebeispiel Wagner. Wenn man Wagner wirklich beim Wort nehmen müsste oder würde, dann dürfte man ihn nicht spielen. Es ist schlimm, was er alles von sich gegeben hat. Beim „Judentum in der Musik“ wird einem übel, das ist schon grotesk. Aber der Zeitgeist hat es zugelassen und Cosima hat das dann noch gefördert. Wagner war ein riesiger Opportunist und Egomane, also er hatte eigentlich sehr wenig liebenswerte Charakterzüge an sich, aber er war ein Genie.

klassik-begeistert: Ich meine, er hat ja sehr viel relativiert, gerade in seinen letzten Tagebucheinträgen, aber warum hat er nicht gesagt, Leute, ich habe hier Murks geschrieben, ich nehme es laut zurück!

Brigitte Fassbaender: Nein, er hat ja sogar eine zweite Auflage vom „Judentum in der Musik“ verfasst und verlegen lassen! Ein übles Machwerk.

klassik-begeistert: Das sowieso, aber ganz spät hat er geschrieben, ich würde das heute so nicht mehr schreiben, die Rassen haben ausgespielt etc. – warum macht er das dann nicht laut?

Brigitte Fassbaender: Ja, und wie hat er den armen König Ludwig ausgenommen, belogen und betrogen! Und die Meyerbeer-Affäre…

klassik-begeistert: In seinen frühen Briefen an Meyerbeer schreibt er „Ich muß Ihr Sklave werden“, anbiedernd, peinlich. Er war einfach nur sehr neidisch auf Meyerbeer und Mendelssohn, bei dem hat er ja auch geklaut.

Brigitte Fassbaender: Und wie er geklaut hat! Von Liszt hat er den Tristanakkord! In einem Lisztlied kommt der wortwörtlich vor, der berühmte Tristanakkord. Also, Wagner ist schon eine sehr, sehr zweifelhafte Angelegenheit, aber seine Musik macht unter Umständen süchtig. Wagner, der Revolutionär, ist revolutionär in seiner Musik. Ob der da in Dresden 1848 auf die Barrikaden gegangen ist oder sich dahinter versteckt hat und mal einen Stein geworfen hat, das ist mir vollkommen egal. Seine Musik ist das revolutionäre, der Aufbruch in eine vollkommen neue Wahrnehmung der Oper. Das ist seine Großtat und der Aufbruch in die Moderne. Deswegen muss man bei ihm nur das Werk sehen.

klassik-begeistert: Kommen wir mit der letzten Frage noch zu einer positiven Wendung, Sie schreiben ebenfalls in Ihren Memoiren über Ihre kindliche bzw. jugendliche Schüchternheit. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass das Theaterspielen und Singen eine echte Therapie für komplexbehaftete Kinder sein können. Unsere Schul-Theatergruppe hatte so gut wie kein Geld und nur eingeschränkte Probenmöglichkeiten in kalten Klassenzimmern. Wäre es nicht wunderbar, wenn man Musik- und Theaterprojekte an Schulen fördern und fest in den Lehrplan übernehmen würde?

Brigitte Fassbaender:  Absolut! Das war so an meinem Gymnasium in Berlin. Da wurden regelmäßig Theateraufführungen erarbeitet, und da war ich natürlich immer vorne dran. Naja, ich hatte sowieso nichts anderes im Kopf als mich pausenlos zu verkleiden. Ich hatte Vaters Schminkkoffer, alte Kostümteile, Bärte und Perücken gefunden. Damals hatten die Sänger, die viel gereist sind, ihre eigenen Kostüme und zum Teil die eigenen Perücken.

Mein Vater hatte sein eigenes Rigoletto- und Figaro-Kostüm und damit gastierte er überall. Ich habe natürlich die Schminke und die Bärte ausprobiert. Das Theater ist für Kinder sehr faszinierend. Ich habe schon oft Kinder in Produktionen eingebunden, sie sind immer begeistert dabei, Und was sie natürlich auch merkwürdigerweise schon kapieren, ist die Disziplin, die man beim Theater lernt. Das bekommen Kinder natürlich auch mit, dass es da wirklich pünktlich anfängt und aufhört. Kinder und Jugendliche einzubinden, gelingt heutzutage z.B. sehr gut über Musicals; da kann man Barrieren abbauen, die die Oper komischerweise immer noch mit sich bringt.

Das Kinder- und Jugendtheater ist eine eigenständige, wichtige Sparte geworden. Kinder ins Theater zu ziehen, das ist eine ganz, ganz wichtige Aufgabe für alle Theaterleiter. Es ist gut, wenn die Kinder – neben der Faszination, die das Bühnengeschehen auslöst – mitbekommen, dass im Theater hart gearbeitet wird, damit es am Ende selbstverständlich und spielerisch aussieht.

klassik-begeistert: Ganz herzlichen, lieben Dank für das Gespräch!

Brigitte Fassbaender: Ich danke Ihnen!

Weitere Informationen:

Elektra
Musikdrama in einem Aufzug von Richard Strauss

Einführungsabend und öffentliche Probe: 15. Januar 2024, 18.00 Uhr
Premiere: 27. Januar 2024, 19.30 Uhr


Brigitte Fassbaender & Stefan Vladar
Sonderkonzert und Künstlergespräch

Richard Strauss: Enoch Arden

Termin 24/01/24 · 19.30 Uhr · Großes Haus

Wir werden von allen Veranstaltungen berichten!

Interview mit Brigitte Fassbaender – Teil 1 klassik-begeistert.de, 20. Dezember 2023

Interview mit Brigitte Fassbaender – Teil 2 klassik-begeistert.de, 21. Dezember 2023

 

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