© SF / Marco Borrelli
Christian Thielemann triumphiert mit dem Brahms-Requiem in Salzburg
Kurzum, dieser Brahms verströmte alles, was diese Musik ausmacht: Erhabenheit, Andächtigkeit, Beseeltheit, Trost und inneren Frieden. Wie schön, dass es in aller Stille ausklingen konnte, dass das Publikum nicht nach dem letzten Ton gleich wild losklatschte. Alles wartete, bis der Thielemann seine Arme sinken ließ. Dann war kein Halten mehr. Jubel, Ovationen.
Großes Festspielhaus, Salzburg, 30. Juli 2023
Johannes Brahms
Ein deutsches Requiem
Wiener Philharmoniker
Wiener Singverein
Elsa Dreisig, Sopran
Michael Volle, Bariton
Leitung: Christian Thielemann
von Kirsten Liese
Wenn ich mich zwischen zwei Konzertkarten für das Brahms- und Verdi-Requiem entscheiden müsste, käme ich wohl arg in die Bredouille. Beide Werke sind von der ersten bis zur letzten Note einfach nur herrliche Musik. Nur beim Hören hat sich für mich etwas verändert, seit ich vor nicht allzu langer Zeit Riccardo Mutis Analyse vernommen habe: Die deutschen romantischen Requien – das von Robert Schumann wird seltsamerweise so selten aufgeführt, dass ich es noch nie gehört habe – dienen dem Trost im Diesseits, sind entsprechend getragen vom tiefen Glauben. Dagegen bringt Verdi Angst vor dem Tod, Skepsis und Zweifel in sein opernnahes Werk ein.
In Christian Thielemanns berührender Wiedergabe mit den Wiener Philharmonikern und dem Wiener Singverein im ausverkauften Großen Festspielhaus habe ich diese Erkenntnis erstmals mit vollem Bewusstsein wahrgenommen. Bei aller Dramatik, die den Chorsatz „Denn alles Fleisch, es ist wie Gras“ bestimmt, dem Thielemann und die Wiener die gebührende Wucht geben, wenn der Vers zum zweiten Mal auf einem lang gezogenen Crescendo einsetzt, überwiegen Zuversicht und Hoffnung. Entsprechend ist der Höhepunkt in dieser Interpretation auf dem Wort Kraft erreicht, mit dem der Chorsatz „Denn wir haben hie keine bleibende Stadt“ endet. Das ist der Moment, wo Thielemanns Rechte zu einer Kralle wird, die ungeheure Energie der Musik fast wie zu einer Faust ballt.
Es ist längere Zeit her, dass ich den Dirigenten zuletzt mit dem Brahms-Requiem gehört habe. Zuletzt 2015 mit den Berliner Philharmonikern und dem Berliner Rundfunkchor. Der Eindruck ist ähnlich wie damals: Die Musik kommt im idealen Zeitmaß daher, das „Selig sind“ zu Beginn und alle lyrischen Stellen tönen zärtlich leise. Dynamisch bis in die Spitzen und farblich ist alles präzise ausgearbeitet, die Stimmen wirken perfekt ausbalanciert, Holzbläser-Akkorde am Schluss der Sätze klingen in aller Ruhe aus. Dazu singen der Wiener Singverein und die Solisten mit vorbildlicher Textverständlichkeit, empfindsam und beseelt. Besser kann man es nicht machen.
Aktuell ist mir kein anderer Dirigent außer Thielemann bekannt, der das Requiem auswendig zu dirigieren vermag wie einst Sergiu Celibidache. Unabhängig von der enormen Leistung, eine solch groß angelegte Partitur mit so vielen Stimmen aus dem Kopf abrufen zu können, kommt das der subtilen Kommunikation beim Musizieren zugute, bis zum letzten Mann und den letzten Pulten hat er alles bestens im Visier. Dabei sind es überwiegend kleine Bewegungen, mit denen er nachreguliert, mehr braucht es nicht, die Wiener, die gerne und viel mit ihm musizieren, reagieren seismografisch auf feinste Regungen im kleinen Finger. Wie immer bei Werken, in denen der Chor viel beschäftigt ist, dirigiert Thielemann ohne Taktstock, so kann er die Sänger plastischer formen.
Man kann den Dirigenten mögen oder auch nicht, einen solch unwiderstehlich guten Brahms macht ihm keiner so schnell nach. Der Ton des Lieblichen lässt sich nicht treffender einfangen, in die lichten, von zärtlicher Wärme durchfluteten Wohnungen des Herrn Zebaoth möchte man sofort einziehen. Da fühlt man sich geborgen wie in Abrahams Schoß.
Aber bei solch einem musikalischen Fest lässt sich am Ende schwer sagen, welcher Satz, welche Stelle, welcher Moment wohl der magischste war. Aber eines weiß ich genau: Das Sopransolo „Ihr habt nun Traurigkeit“ habe ich seit Gundula Janowitz nicht mehr derart engelsgleich erstrahlen hören wie nun von Elsa Dreisig. Christian Thielemann bereitet ihr dafür in traumhaften Piani atmosphärisch den Boden.
Der Solopart des Bariton ist mit Michael Volle ebenso glänzend besetzt, mit wunderschönem Legato singt er seine Verse, die sogar meine Sitznachbarin versteht, die das Stück zum ersten Mal hört. Bei mir werden Erinnerungen an einen ganz Großen wie Fischer-Dieskau wach.
Kurzum, dieser Brahms verströmte alles, was diese Musik ausmacht: Erhabenheit, Andächtigkeit, Beseeltheit, Trost und inneren Frieden. Wie schön, dass es in aller Stille ausklingen konnte, dass das Publikum nicht nach dem letzten Ton gleich wild losklatschte. Alles wartete, bis der Thielemann seine Arme sinken ließ. Dann war kein Halten Mehr. Jubel, Ovationen.
Kirsten Liese, 31. Juli 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Johannes Brahms, Ein deutsches Requiem, op. 45, Goldener Saal des Musikvereins, 4. April 2022
„Tod, Tod, wo ist Dein Stachel – wo ist Dein Ziel, wo ist Dein Ziel“ – my Compliments, mylady.
Best, Harald Nicolas Stazol
Wo ist dein SIEG!!!
Christine Kuntscher
Auch die Cappella St. Stephan in Würzburg mit ihrem Kirchenmusikdirektor Christian Heidecker beherrscht das Werk – idR auswendig. Selbst ich als Chorsängerin könnte selbst die Orchestrierung „mitsingen“, so oft sang ich das Werk bereits.
Das nächste mal im November.
Ulrike Kohl