Kommentar von Dr. Ralf Wegner zur Nachfolge Demis Volpis' als neuer Ballettdirektor in Hamburg

John Neumeier verlängert seinen Vertrag beim Hamburg Ballett bis 2024  Hamburgische Staatsoper, 22. Oktober

Foto: Demis Volpi © Hamburg Ballett

Kommentar von Dr. Ralf Wegner, Hamburg

John Neumeier verlängert seinen Vertrag beim Hamburg Ballett bis 2024

Die Gazetten berichteten, manchmal süffisant, manchmal bösartig und manchmal nur ironisch, häufig aber auch nur als Übernahme von der deutschen Presseagentur: Der 36-jährige derzeitige Ballettdirektor in Düsseldorf, Demis Volpi, wurde gestern vom Hamburger Kultursenator als Nachfolger John Neumeiers bekannt gegeben. Er  tritt sein Amt aber erst 2024 an. Das ist erst einmal eine gute Nachricht, zunächst wegen der um ein Jahr verlängerten Intendanz Neumeiers, zum anderen ehrt es den Nachfolger, dass er seinen bestehenden Vertrag erfüllen will.

Carsten Brosda, der Hamburger Kultursenator, hat es fein erklärt, es solle keinen Bruch geben, sondern Kontinuität, mit ein bisschen Evolution. Genau das brauchen wir, nämlich Kontinuität in der Entwicklung des wunderbaren Hamburger Ballettensembles und eine weitere Pflege des immensen choreographischen Repertoires Neumeiers. Hierfür wird erfreulicherweise auch Lloyd Riggins zuständig sein, der seinen Vertreterposten des Intendanten auch unter Volpi weiter wahrnehmen und zudem zusätzlich als Kurator des umfangreichen Werkes des jetzigen Intendanten fungieren wird.

Über Demis Volpi vermag ich wenig zu kommentieren, außer dass er noch jung ist, zwar etwas älter als Neumeier zu Beginn seiner Ballettleitung in Hamburg, aber jung genug, um sich mit Hilfe der Hamburger Truppe weiter zu entwickeln. Ein Stück, Salome, sahen wir von vor einigen Jahren in Stuttgart. Hier meine damalige Rezension:

„Da die Kritiken zu diesem neuen Ballett sehr unter­schied­­­lich waren, hatte ich mich mit den Details der Aufführung vorher extra nicht beschäftigt (auch nicht mit der Vorlage von Wilde, wenngleich mir die Oper von Strauss natürlich bekannt ist) und wartete gespannt auf die Lösung der Frage, wie der ambivalente Cha­rak­ter der Salome choreographisch umgesetzt wird.

Volpi löste das Problem, so interpretiere ich es, durch Auf­spal­tung in eine weiße, ätherisch-unnahbare, wie von einem anderen Stern stammende und eine schwar­ze, vulgäre, sehr diesseitige Salome. Beide Figuren er­gän­zen sich, auch beim schwer zu ertragenden Schluss des Stücks. Der Anfang ist beeindruckend, auf einer ho­­hen Freitreppe ruht Salome (im Programmheft „der Mond“ genannt), weiß verschleiert, höchst eindrucks­voll von der langgliedrigen, sich wie eine weiße Lilie im Wind bewegenden Rocío Alemán getanzt. Dass der junge syrische Hauptmann (Matteo Miccini) seine Au­gen nicht von ihr lassen kann, verwundert nicht (cho­re­ographisch sehr schön gelöst in den Szenen mit dem Pagen (Fabio Adorisio), dessen Umarmungen sich der Hauptmann immer wieder entwindet). Als schließlich die vulgär-maskuline, in dunkles Leder gewandete schwar­ze Salome (Paula Rezende) auf der Bühne er­scheint, wendet sich der Hauptmann ihr zu und lässt Jochanaan (Pablo von Sternenfels) aus seinem unter­irdischen Verließ holen.

Ich springe in der Handlung zu Herodes, dessen Rolle Vol­­pi stärker in den Mittelpunkt stellt. Herodes, im Roll­stuhl sitzend (sehr charakterstark von Roman Novitz­ky dargestellt), offenbar dem Tode nahe, saugt das Le­ben wie ein Ertrinkender ein. Nur das Orgiastische, die Drogen-Sucht vermag ihn noch von seinen Todesah­nun­­gen zu befreien (das erklärt sein Erschrecken beim Er­blicken der Leiche des suizidierten Hauptmanns). Die einsetzende, durchaus überzeugend choreographierte Orgie (die vieles andeutet und manches offen lässt, und an der sich Salome nicht beteiligen will) lenkt Herodes nicht mehr genügend von seinen Leiden und wohl auch Verfehlungen ab. Er will Salome tanzen sehen, die Rein­heit, die Unschuld sehen (dann hätte eigentlich die wei­ße Salome tanzen müssen). Es tanzt aber die schwar­ze Salome für ihn (allerdings nur kurz, fast zu überse­hen), erhält den blutigen Kopf des Jochanaan, und nutzt diesen als eine Art Lustgegenstand, an dem sie sich bis zum Orgasmus erregt. Herodes erkennt den Betrug (das Reine ist nicht rein, sondern noch abarti­ger als die Welt um ihn herum) und schreit, immer lauter werdend, während er im Rollstuhl die Treppe hochgetragen wird „Tötet dieses Weib“. Salome blei­ben noch einige Minuten mit Liebkosungen (sie trägt den abgeschlagenen Kopf fast wie eine Mutter ihr Kind), bis auch sie von Todesengeln umstellt und getötet wird.

Von der der jungen Paula Rezende als schwarze Salo­me hätte ich mir noch mehr Ausdruck vorstellen kön­nen, die Tänzer und Tänzerinnen des Stuttgarter En­sembles waren insgesamt aber großartig und auch in den kleinen Nebenrollen überzeugend. Die Musik zum Stück (es werden 6 Komponisten angeführt) passte zur Dramatik des Stücks und wurde glanzvoll vom Staats­or­chester Stuttgart unter der Leitung von James Tuggle gespielt. Die Begeisterung beim Publikum blieb aller­dings aus, der Beifall war freundlich, aber nicht über­schwänglich.

Zusammengefasst hatte uns Volpis Salome beeindruckt und auch gefesselt. Im Nachhinein erscheint mir seine Choreographie auch tiefsinniger als die jüngste Hamburger Produktion von Christopher Wheeldons Wintermärchen.“

Also beglückwünschen wir den Kultursenator für seine Wahl, genießen noch zwei Jahre Neumeiers Intendanz und wünschen Demis Volpi alles Gute und vor allem Gelingen für die Jahre ab 2024. Denn die Fußstapfen, die John Neumeier hinterlässt, sind wahrlich groß.

Dr. Ralf Wegner, 22. Oktober 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

 

Salome tanz, Eyal Dadon, Uraufführung, Gärtnerplatztheater München, 28. Februar 2020

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