Notfallkonzerte in Notfallzeiten

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Das Orchester im Treppenhaus überträgt, angesichts der aktuellen Entwicklungen rund um die Corona-Krise, eine Reihe ihrer „Persönlichen Notfallkonzerte“ regelmäßig im Livestream. Ein äußerst gelungenes Konzertformat, gespielt von einem Ensemble von dem man gerne mehr hören möchte.

Foto: © Matthew Farley

von Johannes K. Fischer

“Was kann klassische Musik heute?” Mit diesen Worten stellt sich das Orchester im Treppenhaus seinem Publikum vor; es wirkt fast, als wäre dies das Motto, das Leitmotiv dieser MusikerInnen. Wenngleich diese Frage vermutlich eine Anspielung auf die recht kreativen und ungewöhnlichen Konzertformate dieses Ensembles ist, so hat sie doch in Zeiten der Corona-Krise sicherlich eine ganz neue Bedeutung hinzugewonnen.

Corona-Krise zum trotz finden Thomas Posth (Cello, sowie Gründer und Chefdirigent des Orchesters) und seine KollegInnen Moritz Ter-Nedden (Violine), Jette Otto (Violine), und Maria Pache (Viola) immer noch einen Weg, den Geist dieses Orchesters und dieser Musik aufrecht zu erhalten. Statt wie gewöhnlich im Sprengel Museum in Hannover finden die „Persönlichen Notfallkonzerte,“ wie das Orchester sie nennt, einfach im Internet mittels eines Facebook-Livestreams statt.

Ich besuchte, zusammen mit etwa 70 anderen ZuhörerInnen, eines dieser „Notfallkonzerte,“ und kann berichten: Von diesen MusikerInnen und von diesem Ensemble möchte man gerne mehr hören, ganz gleich ob während oder nach der Corona-Krise. Sie schaffen es eine in diesen Tagen selten vorkommende Freude zu kommunizieren – auf musikalische Weise. Das Musizieren dieser MusikerInnen bringt dem Publikum in diesen Zeiten einfach nur eines: Freude.

Als „Präludium“ des Konzertes fungierte der 3. Satz des Streichquartetts op. 44/1 von Felix Mendelssohn Bartholdy. Gleich von Beginn an waren die Bachschen Züge dieses Satzes sehr offensichtlich, inmitten eines zauberhaften Klangs, der wie ein sanfter Fluss von den Instrumenten in meine Ohren floss (ausnahmsweise mit einem kleinen Umweg über das Internet). Wie ein Stück in h-moll so einen beruhigenden und tröstenden Effekt haben kann, ist mir unklar – es kann einfach nur die Magie dieser Musik, vor allem aber der MusikerInnen und deren Instrumente sein.

Nach diesem „Begrüßungsstück“ ging es mit dem eigentlichen Programm los. Das Konzept dabei: Die ZuhörerInnen teilen den MusikerInnen (in der Regel persönlich, heute natürlich per Internet) einen persönlichen Notfall mit, worauf die MusikerInnen dann versuchen diesen Notfall mit einem Musikstück zu heilen. In der Regel wird bei jedem Notfall erst ein kurzer improvisatorischer Teil dargeboten, gefolgt von einem (klassischem) Musikstück.

Gespielt wurden an diesem Nachmittag Streichquartettsätze von Mozart und Schubert, aber auch andere Sachen wie Volkslieder („Der Mond ist aufgegangen“), Ausschnitte aus „Peter und der Wolf“ von Prokofiev und ein Choral aus dem Weihnachtsoratorium von Bach. Alles natürlich in Streichquartettfassung.

Die Improvisationen brachten nochmal ein gewisses Maß an musikalischer Vielfalt in das Programm. Einige lebten von dissonanten Klängen die schon fast an die zweite Wiener Schule erinnerten, bei anderen war ein Hauch vom letzten Satz der zweiten Symphonie von Gustav Mahler zu hören („Oh Glaube, mein Herz, oh Glaube“). Das Allerschönste dabei: jeder einzelne improvisatorische Abschnitt schien immer einen ganz bewussten Gegensatz, einen Kontrapunkt, zu dem darauffolgenden Musikstück darzustellen. Es wirkte fast, als ob die Improvisationen eine Art Übergang zwischen dem eigentlichen Notfall und der heilenden Musik darstellten. Eine ganz große musikalische Leistung der MusikerInnen!

Trotz des recht spontanen und individuell angepassten Programms wurde im Laufe des Konzerts immer ein gewisser musikalischer „Roter Faden“ aufrechterhalten. Auf den Mendelssohn Quartettsatz folgte der Bach Choral, danach ein fröhliches, spielerisches Pizzicato von Gluck. Es folgten noch zehn weitere, meist kurze, Stücke, und obwohl dies ja eine ungewöhnlich große Menge an verschiedenen Darbietungen innerhalb nur einer Stunde darstellt, war immer eine eindeutige musikalische Linie zwischen den Stücken zu verfolgen. Umso größer ist die Gesamtwirkung des Konzerts, gleich ob zum Ausgleich der tagesaktuellen Nachrichten oder als Maßnahme gegen Langeweile in der Quarantäne.

Viele Notfälle können in diesen Krisenzeiten einfach nicht ohne medizinisches Fachpersonal geheilt werden. Aber gerade doch in diesen Krisenzeiten gibt es mehr Leute denn je, die unter Verunsicherung, Langeweile oder Einsamkeit leiden, und gerade für diese Leute ist der heilende Effekt dieser Musik sicherlich besonders wirksam. Aber egal wie man mit den aktuellen Einschränkungen umgeht und klar kommt, der aufmunternde und beruhigende Effekt dieser Musik ist trotzdem einfach unvergleichlich schön.

Fazit: Ein recht ungewöhnliches Konzertformat bekommt in diesen Krisenzeiten eine ganz besondere Bedeutung. Die hervorragende musikalische Leistung der MusikerInnen und das gelungene Programm übertragen ein in diesen Zeiten selten vorkommendes Gefühl der Freude und Hoffnung. Von diesem Ensemble möchte man, gleich wann und in welcher Form das denn auch möglich sein wird, gerne mehr hören!

 Johannes K. Fischer, 25. März 2020 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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