Oslo Philharmonic, Truls Mørk, Klaus Mäkelä © Sophie Wolter
Klaus Mäkelä, Dirigent
Truls Mørk, Violoncello
Oslo Philharmonic
Piotr I. Tschaikowsky (1840–1893)
Der Sturm / Sinfonische Fantasie nach William Shakespeare op. 18 (1873)
Henri Dutilleux (1916–2013)
Konzert für Violoncello und Orchester »Tout un monde lointain…« (1967–1970)
Nikolai Rimski-Korsakow (1844–1908)
Scheherazade / Sinfonische Suite op. 35 (1888)
Elbphilharmonie, 1. Februar 2024
von Harald Nicolas Stazol
Alarm! Da ist ein Riss in der Elphi, unter der Treppe, Ebene 12 A, gegenüber des Notausgangs, auf Kopfhöhe, drei Meter entfernt gegenüber der Bar, sehen Sie selbst nach, ein Haarriss nur, aber ich hoffe, nur in der Farbe – wer den wohl verursacht hat?
Mit ziemlicher Sicherheit Klaus Mäkelä, 28 – wie er da aufstampft bei Tschaikowsky und dessen „Sturm“, wie er den natürlich sehr langen Taktstock rechts hinten über den Rücken wirft, mehrmals, der König tanzt, und ich denke noch, da schrieb ich genau vor einem Jahr, „Junge, komm bald wieder“. Jetzt ist er da, kritikerwunschgemäß, halt ein Jahr älter, und ich möchte sagen, „Junge, komm ma runter.“ Denn anfangs denke ich noch, er überzieht.
„Geradezu affektiert“, notiere ich. Aber je mehr ich mich auf seinen „Sturm“ einlasse, und dieses Orchester aus Oslo, alle wieder eingepackt, und vornan Elise Båtnes, die Konzertmeisterin, die bei „Scheherazade“… aber wir greifen vor!
Ich habe mich in dem einen oder anderen Nachrichtenmagazin – den Link führe ich ganz unten an –, dort, wo er hingehört, schon einmal höchst euphorisch geäußert (vor einem Jahr kam er mit dem Orchestre de Paris), ich habe ihn auf diesen Seiten den ganzen Sibelius feiern lassen, ich habe die Osloer mit ihm schon erlebt, und die Osloer mit IHM – aber diesen Donnerstagabend, in der Kathedrale an der Elbe, nun, da bittet er zum Hochamt. Messianisch.
33 Jahre ist Pjotr Iljitsch Tschaikowsky jung, als er, wie so viele, sich mit Shakespeare auseinandersetzt, seine „Romeo und Julia“-Phantasie ist wesentlich bekannter. Und eben mit des großen Barden „Tempest“, samt Prospero – unvergessen Sir John Gielgud in der Verfilmung von Peter Greenaway – und Seegang und Wind und Zaubersprüchen, und Ariel, die man, während der Twen ebenso hin- und herwogt, und die atemberaubenden fortissimi und sturmartig dahinfliegenden Tempi der einfach immer fortrasenden Osloer nicht bändigt, sondern beflügelt, nun ist er der Zauberer Prospero in jung, und es reißt mich, nein, uns alle dahin, und fortissimo hier schon das erste Aufbranden von kraftvoller Ovation des ganzen Rundes.
Man hört sehr viel Skandinavisch schon beim Einfädeln in die Stuhlreihen, und ich komme neben einem stattlichen Herrn zu sitzen, der mit deutlichem, nordischem Akzent schon genervt darauf reagiert, „ENTSCHULDIGUNG?“ – als ich gedankenverloren sein Programmheft in der Hand halte, da er es ja auf meinen hochgeklappten Platz abgelegt hat.
Zum Glück erspähe ich zwei leere Plätze am Gang gegenüber, und nutze den Umbau, ich nehme nun das Heft in die Hand, denn nun kommt Dutilleux, sein Cellokonzert, auf dass ich mich diesmal wirklich sehr freue, da ist es schön, wenn man ein wenig Beinfreiheit und Luft neben sich hat.
Man kann nicht Britten lieben und Dutilleux nicht. Man kann nicht das Cellokonzert des Briten mit Rafael Walfisch mögen, und den wirklich großen, großen Künstler am volltönenden Instrument und dem weiten Bogen: Den Spezialisten für Werke des 20. und 21. Jahrhunderts – Truls Mørk.
„Der gefeierte Künstler tritt mit den bedeutendsten Orchestern auf, darunter die Berliner Philharmoniker, die Wiener Philharmoniker, das Royal Concertgebouw Orchestra und das London Philharmonic Orchestra. In Nordamerika war er mit den Orchestern von Philadelphia und Cleveland, dem Boston Symphony Orchestra und dem Los Angeles Philharmonic zu erleben. Zu den Dirigenten, mit denen er zusammenarbeitet, gehören Esa-Pekka Salonen, Sir Simon Rattle, Kent Nagano und Christoph Eschenbach.“
Steht stolz im Programm – man ahnt also schon, welches Kaliber der Mann hat.
Und wieder der programmatische Bezug zur Literatur, „Les Fleurs du mal“, hier sind es die Gedichte von Baudelaire, und so ist etwa der dritte Satz dieser Klänge, neu und entdeckenswert, die Beschreibung des Haares einer Geliebten des Dichters, konzentriert muss man da hören, und es steht die Frage im Raum, – Mäkelä, nun ganz überraschend, zurückhaltend und zart, ob Dutilleux einen höheren Schwierigkeitsgrad hat als die bald folgende Tondichtung?
Kein Zweifel aber, man merkt es auch an den innigen Blicken vom Maestro zum Meister Truls Mørk, Mäkelä ist ja auch Cellist, und gar kein Schlechter!
Das Werk ist eine Klangreise mit großer Besetzung, auf die uns die beiden mitnehmen, und der französische Avantgardist, der dieses Tonwerk für Mstislav Rostropovitch geschrieben hat, und man wünschte sich bei der Uraufführung anwesend gewesen zu sein, aber weit von hier und heute wird sie nicht entfernt gewesen sein! Der Komponist selbst sagte: „Nachdem ich der Sinfonie Gewalt angetan habe, schicke ich mich nun an, dem Konzert dasselbe anzutun.“ Aber gewaltig!
„Man merkt ihm“ – dem Jungen – „seine Leidenschaft an“, sagen die einen in der Pause, andere haben auch mit dem Modernen kein Problem, und zwar, je jünger die Gesprächspartner sind im Foyer – und ich kann inzwischen auch das Violinkonzert „Der Baum der Träume“ des Henri Dutilleux jedem ans Herz und an die Ohren legen.
Und nun schlägt die Stunde der Konzertmeisterin Elise Båtnes, die mit den Soloparts in Scheherazade, nein ALS Scheherazade, alles überglänzt, was bei dem glänzenden Orchester unter dem strahlenden Jungfinnen nicht einfach ist, aber die Erzählung der Kurtisane vor dem Sultan blättert sich auf, wie eben nur bei Rimski-Korsakow, es gibt zu der gerade donnernden Komposition und zu dieser Interpretation einfach wohl lange noch nichts Vergleichbares.
Herr Mäkelä – Chapeau!
Harald Nicolas Stazol, 3. Februar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Klaus Mäkelä, Dirigent, Truls Mørk, Violoncello Oslo Philharmonic Elbphilharmonie, 1. Februar 2024
Oslo Philharmonic, Klaus Mäkelä,Jean Sibelius Sinfonien Nr.3 und 5 Elbphilharmonie, 1. Juni 2022
Oslo Philharmonic, Klaus Mäkelä, Jean Sibelius: Sinfonien Nr. 2 & 4 Elbphilharmonie, 31. Mai 2022
Oslo Philharmonic Klaus Mäkelä,Jean Sibelius Elbphilharmonie, 30. Mai 2022