Klein beleuchtet kurz Nr 30: Im Kräutergarten der Percussion

Klein beleuchtet kurz Nr 30: Im Kräutergarten der Percussion  klassik-begeistert.de, 25. April 2024

Bergen Philharmonic Orchestra; Alexej Gerassimez; Edward Gardner © Patrik Klein

Alexej Gerassimez wirbelt ohne falsch abzubiegen durch das Labyrinth der Taktwechsel

Auf dem übervollen Podium hatte man bereits das groß besetzte Orchester aus dem hohen Norden, das Bergen Philharmonic Orchestra platziert. Davor noch bis zum Zuschauerrand in der ersten Reihe ein Reigen der unterschiedlichsten Schlaginstrumente.

Ein sehr ungewöhnlicher Konzertabend stand auf dem Programm der restlos ausverkauften Elbphilharmonie Hamburg. Der südfinnische Komponist Kalevi Aho kreierte das im Zentrum des Abends stehende Werk Sieidi im Jahre 2010, das wie auf den Leib geschnitten schien für einen der weltbesten Schlagwerker.
Alexej Gerassimez musste in diesem vierzigminütigen Werk mit unzähligen komplexen Taktwechseln durch seinen Kräutergarten der aufgestellten Instrumente wandeln. Zudem erschwerte das fantastische Orchester im Wechselspiel der Streicher, Bläser und eigenen Schlagwerker im Dialog mit dem Solisten durch weitere komplexe Phrasen das gemeinsame Werk ins nahezu übermenschliche. Hierbei falsch abzubiegen wäre für den Mann an der Percussion musikalisch tödlich gewesen. Aber keine Sorge: Orchester und Solist bestanden mit Bravour und raubten dem Publikum nahezu den Atem. Ein schamanisches, magisches und archaisches Ritual der Opferung war Kern von Sieidi. Harte Trommelschläge eröffneten das Stück, welches mit vielen verschiedenen Rhythmen aus indischer, chinesischer und arabischer Musik gespickt war. Wuchtig bis sanft und beinahe unhörbar drangen die Geräusche eines Regenmachers an die gebannt lauschenden Ohren. Pure Energie und Tiefe lagen in dem so ziemlich als das schwerste in diesem Konzertrepertoire geltenden Werk. Rasender Jubel bereits zur Pause.

Bergen Philharmonic Orchestra; Alexej Gerassimez; Edward Gardner © Patrik Klein

Davor zeigte noch das norwegische Spitzenorchester unter seinem Chefdirigenten Edward Gardner, wie man Filmmusik, Zeichentrick und Klamauk aus eine Ballade von Johann Wolfgang von Goethe zum Klingen bringt, indem man Paul Dukas’ Zauberlehrling mit impressionistischem Feinschliff farbenreich servierte.

Einen Gipfelpunkt der Sinfonik erklomm das Bergen Philharmonic Orchestra dann auch in der zweiten Konzerthälfte: Antonín Dvořáks neunte Sinfonie gehört seit ihrer umjubelten Uraufführung 1893 in New York zu den absoluten Publikumslieblingen des sinfonischen Repertoires. „Aus der Neuen Welt“ war geprägt durch des Komponisten Erfahrungen bei seiner Amerikareise. Beschwingte amerikanischer Folklore, moderne Rhythmen, Harmonien und breitbandige Orchesterfarben prägten das Werk. Überaus dynamisch, eruptiv, aber auch pathetisch, zart, leidenschaftlich, melancholisch und feierlich erklang es vom Podium. Das Orchester spielte äußerst präzise, die einzelnen Gruppen wirkten wie nur ein einziges Instrument. Die Solisten im Bereich der Klarinetten, Oboen und Querflöten spielten schlicht und ergreifend Weltklasse.

Als Zugabe gab es dann noch für das begeisterte Publikum von Sibelius den Valse triste.

Patrik Klein, 25. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Bergen Philharmonic Orchestra
Alexej Gerassimez, Schlagwerk
Dirigent: Edward Gardner

Paul Dukas:
„L’apprenti sorcier“ (Der Zauberlehrling)
Kalevi Aho:
Konzert für Schlagwerk und Orchester „Sieidi“
Zugabe Gerassimez: Israel Kamakawiwo’ole „Somewhere over the rainbow“
Antonín Dvořák:
Sinfonie Nr. 9 e-Moll op. 95 „Aus der Neuen Welt“
Zugabe des Orchesters: Sibelius: „Valse triste“

 

(c) Patrik Klein

Der klassik-begeistert-Autor Patrik Klein ist ein leidenschaftlicher Konzert- und Opernfreak, der bereits über 300 Konzerte (Eröffnungskonzert inklusive) in der Elbphilharmonie Hamburg verbrachte, hunderte Male in Opern- und Konzerthäusern in Europa verweilte und ein großes Kommunikationsnetz zu vielen Künstlern pflegt. Meist lauscht und schaut er privat, zwanglos und mit offenen Augen und Ohren. Die daraus entstehenden meist emotional noch hoch aufgeladenen Posts in den Sozialen Medien folgen hier nun auch regelmäßig bei klassik-begeistert – voller Leidenschaft, ohne Anspruch auf Vollständigkeit… aber immer mit großem Herzen!

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