NDR Barock, Dorothee Oberlinger, Hansjörg Albrecht; Foto Patrik Klein
Schon wieder Klein beleuchtet kurz? Von wegen – seine holde Göttergattin und häufige Konzertbegleiterin meldet sich als Block- und Querflötenenthusiastin zu Wort – denn wenn die Königin der Flöte zu Gast in der Elbphilharmonie Hamburg ist, dann muss man doch einmal die Gelegenheit nutzen, oder?
von Simone Schumacher und Patrik Klein
Zwei Fragen des Hansjörg Albrecht, besonders in Hamburg tätiger Dirigent, Organist, Cembalist und Künstlerischer Leiter des Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chores Hamburg standen für dieses Konzert-„Experiment“ im Raum:
Kann eine, von der historischen Aufführungspraxis abweichende Darbietungsform der Kompositionen von C.P.E. Bach – Blockflöte anstelle der Traversflöte – mich als Zuhörerin berühren?
Und im Sinne eines Spiegelkabinetts für diese Aufführungsreihe zu C.P.E. Bach, d.h. der Gegenüberstellung mit anderen Komponisten – wie spiegeln sich Kompositionstechnik und aufklärerischer Zeitgeist in den Werken von Vivaldi und Bach?
Wie viel Bach steckt in Vivaldi und wie viel Vivaldi steckt in Bach?
Eingestimmt wurden beide Teile des Abends mit zwei Sinfonien aus den Sechs Sinfonien für den Baron von Swieten: der A-Dur und h-Moll Sinfonie. Den Kompositionswunsch Swietens, sich „ganz gehen zu lassen, ohne auf die Schwierigkeiten die daraus für die Musiker entstanden Rücksicht zu nehmen“, meisterte das Barockensemble des NDR eindrucksvoll. Humorvoll, „keck“ und berührend artikulierten sie „den Gang musikalischer Ideen“.
Mit dem Quartett D-Dur für Flöte, Viola, Cembalo und Basso continuo, entstanden im letzten Lebensjahr von C.P.E. Bach, startete Dorothee Oberlinger ihr Experiment, Werke von C.P.E. Bach auf der Blockflöte zu interpretieren. (Als lernende Traversflötenspielerin weiß ich natürlich, dass D-Dur Grund- und ideale Lage für die Traversflöte darstellt).
Warme, weiche Klänge standen virtuosen Partien gegenüber, solistisches Spiel einem harmonischen und präzisen Miteinander im Ensemble mit dem Barockorchester des NDR und dem Cembalisten Hansjörg Albrecht.
Vivaldis c-moll Concerto für Blockflöte ist von seiner Tonart ja eher traurig oder träumerisch. So nahm uns die Blockflöte mit in eine Traumwelt, voller Ver- und Entwirrungen, voll Empfindsamkeit, voll Hoffnung und Freude auf den neuen Tag. Vivaldi komponierte dieses Stück bereits im empfindsamen Stil – als eine Hommage an den „deutschen galanten Stil“. Durch all diese teilweise konträren Empfindungen wurde das Publikum von Blockflöte und gesamtem Ensemble musikalisch an die Hand genommen. Dorothee Oberlinger blieb selbst bei den rasantesten Läufen und vertracktesten Verzierungen in ihrer Artikulation glasklar. Die unfassbare Virtuosität war nicht Selbstzweck, sondern gestaltete musikalische Empfindungen und Aufbruchsstimmung.
Ein weiteres Experiment von Frau Oberlinger war es, nicht die gesamte a-Moll Sonate von C.P.E. Bach zu spielen, sondern auch hier zwei weitere Komponisten gegenüberzustellen. Johann Sebastian Bach mit „Solo pour la flute traversière“ und ein Menuett von J.J. Quantz (geschrieben für Friedrich den Großen); dazwischen C.P.E. Bach mit dem Poco Adagio aus der a-Moll Sonate. C.P.E. Bach grenzte sich in seinen Kompositionen von diesen „Konkurrenten“ ab und stand doch tief in ihrem Einfluss. Die Unterschiedlichkeit der Kompositionsstile wurde in der Interpretation durch die Blockflöte transportiert.
Als krönenden Abschluss des Konzerts von der „Königin der Blockflöte“ erklang dann das D-Dur Konzert für Flöte, Streicher und Basso continuo.
Zurück zur ersten Frage: Auch wenn es der damaligen Praxis entsprach, es mit der Instrumentierung flexibel zu gestalten, so möchte ich doch hier ein Plädoyer für die Traversflöte aussprechen, die C.P.E. Bachs Leben vor allem in seiner Zeit als Cembalist bei Friedrich dem Großen geprägt hat. Das Klangbild einer Blockflöte ist ein völlig anderes als das Klangbild einer Traversflöte und verändert so den Charakter einer Komposition. So wünsche ich mir eine „Mehr“ dieses Traversflötenklangs für die Kompositionen Bachs und weniger unseren Hörgewohnheiten angepasste Klangbilder.

Soll ich nun am Ende die Frage beantworten, ob mich Frau Oberlingers Interpretation der Bach’schen Werke mit der Blockflöte berührt hat, so kann ich diese nur mit „Ja“ beantworten. Sie hat mich mitgenommen auf eine musikalisch emotionale Zeitreise, die noch lange nachwirken wird.
Patrik Klein, 18. April 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
NDR Barock
Dorothee Oberlinger, Blockflöten
Hansjörg Albrecht, Cembalo
Carl Philipp Emanuel Bach
Sinfonie für Streicher und Basso continuo A-Dur Wq 182/4 »Hamburger Sinfonie Nr. 4«
Quartett für Flöte, Viola, Violoncello und Klavier D-Dur Wq 94
Antonio Vivaldi
Concerto für Flöte, Streicher und Basso continuo c-Moll RV 441
Carl Philipp Emanuel Bach
Sinfonie für Streicher und Basso continuo h-Moll Wq 182/5 »Hamburger Sinfonie Nr. 5«
Sonate für Flöte solo a-Moll Wq 132 (Johann Sebastian Bach, Carl Philipp Emanuel Bach, Johann Joachim Quantz)
Konzert für Flöte, Streicher und Basso continuo D-Dur Wq 13

Der klassik-begeistert-Autor Patrik Klein ist ein leidenschaftlicher Konzert- und Opernfreak, der bereits über 300 Konzerte (Eröffnungskonzert inklusive) in der Elbphilharmonie Hamburg verbrachte, hunderte Male in Opern- und Konzerthäusern in Europa verweilte und ein großes Kommunikationsnetz zu vielen Künstlern pflegt. Meist lauscht und schaut er privat, zwanglos und mit offenen Augen und Ohren. Die daraus entstehenden meist emotional noch hoch aufgeladenen Posts in den Sozialen Medien folgen hier nun auch regelmäßig bei klassik-begeistert – voller Leidenschaft, ohne Anspruch auf Vollständigkeit… aber immer mit großem Herzen!
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