John Neumeier und Demis Volpi, dazwischen das Ballettzentrum (Fotos: Internetauftritt Hamburg Ballett, mittleres Foto: Google Earth)
Wie soll es weiter gehen? Wenn dem Hamburger Kultursenator der Ruf des Hamburger Balletts und damit der Hamburger Spitzenkultur am Herzen liegt, und das wäre derzeit seine hehrste Aufgabe, muss er die Führung auswechseln und Demis Volpi notfalls abfinden.
Ein Meinungsbeitrag von Dr. Ralf Wegner
In den Medien und vor allem von Seiten der Kulturbehörde wird das angeblich toxische Arbeitsklima breit thematisiert und eine Mediation bzw. ein Aufeinanderzugehen empfohlen. Wie der Erste Solist Alexandr Trusch aber zu recht dem NDR sagte, habe man in der Truppe untereinander kein Problem, sondern mit dem Chef. Und Trusch geht weiter, indem er Volpi mangelnde choreographische Qualitäten, handwerkliche Schwächen und offenbar auch fehlendes Interesse an den Stärken der Ensemblemitglieder vorhält. Und das wiegt aus Zuschauersicht schwerer als ein möglicherweise reparables Verhältnis zwischen dem Intendanten und seinen Tänzerinnen und Tänzern.
Denn die Probleme betreffen unmittelbar das tänzerisch-technische sowie das künstlerische Potential der Hamburger Tänzerinnen und Tänzer. Wenn Demis Volpi auf das positive Zuschauerecho bei seinen bisher auf die Bühne gebrachten Mehrteilern hinweist, ist dieses wohl eher auf die hohe Leistungsfähigkeit des Hamburger Ensembles als auf die choreographischen Meriten der vorgestellten Stücke zurückzuführen.
Was jetzt abläuft, ist ein Trauerspiel in bislang 7 Akten:
1. Es begann alles mit dem Herauswurf von John Neumeier aus dem Ballettzentrum, anders vermag ich es nachträglich nicht zu benennen. Neumeier war sichtlich angefasst, als er während seiner letzten Nijinsky Gala berichtete, dass er mit dem Bundesjugendballett nicht mehr die Ballettsäle der Schule nutzen dürfe und dort auch nicht mehr über ein eigenes Büro verfüge. Offenbar wurde Neumeier vor vollendete, mit der Kulturbehörde wohl abgestimmte Tatsachen gestellt. Neumeier erhielt stattdessen zwar Räume im Opernhaus, wurde damit aber von der Ballettschule und von dem Ensemble getrennt, aus jetzt nachvollziehbaren Gründen.
2. Die Choreographien von John Neumeier wurden in der ersten Saison bereits erheblich gekürzt und nehmen in der vorgesehenen zweiten Spielzeit einen noch geringeren, unter der Hälfte der Aufführungen liegenden Anteil ein. Ersetzt wurden sie bisher durch insgesamt 6 Kurzchoreographien, von denen kaum eine auch nur annähernd die Qualität irgendeines Neumeier-Balletts erreicht. Ein weiterer Mehrteiler kommt in der nächsten Saison dazu.
3. Bereits der Vorschau zur Spielzeit 2025/26 war zu entnehmen, dass zwei der besten Ensemblemitglieder, Madoka Sugai und Alessandro Frola, nicht mehr beim Hamburg Ballett bleiben wollen. Die Gründe werden jetzt klar.
4. Schließlich wurde vor 6 Wochen bekannt, dass auch weitere Erste Solisten wie Alexandr Trusch, Christopher Evans und Jacopo Bellussi ihre Kündigung einreichten, was beim Abgang von nahezu der Hälfte des Spitzenpersonals als mittlere Katastrophe zu bezeichnen ist.
5. Insgesamt 36 Tänzerinnen und Tänzer des Hamburger Balletts, darunter auch die Vorgenannten, entschlossen sich schließlich, mit einem Schreiben über mangelnde choreographische Kompetenz des Intendanten und ein zur Ballettführung zerrüttetes Verhältnis an die Öffentlichkeit zu gehen. Dabei handelt es sich wohl um einen nicht nur in der Ballettwelt einmaligen Vorgang, dass sich mehr als die Hälfte des tänzerischen Personals gegen die Ballettführung wendet, selbst auf die Gefahr hin, den Arbeitsplatz zu verlieren.
6. Vom Ballett am Rhein, dem vormaligen Wirkungsort von Demis Volpi, werden ebenfalls Querelen bekannt. Dessen Betriebsratsvorsitzender René Lozynski berichtete von ähnlicher Kritik der dortigen Tänzerinnen und Tänzer an dem ehemaligen Chef, wie auch die Westdeutsche Zeitung am 9. Mai schrieb.
7. Schließen schreiben 17 aktuelle und ehemalige Mitglieder des Balletts am Rhein einen Brief an den Hamburger Kultursenator, in dem sie die von Alexandr Trusch wortführend geäußerten Vorwürfe auch für Volpis Zeit in Düsseldorf bzw. Duisburg voll bestätigen. Es muss sich auch dort ein erheblicher, auch nach Volpis Abgang bleibender psychischer Druck aufgebaut haben, um die Hamburger Kolleginnen und Kollegen so aktiv zu unterstützen. Auch dabei handelt es sich wohl um einen weltweit einmaligen Vorgang.
Wie soll es weiter gehen? Wenn dem Hamburger Kultursenator der Ruf des Hamburger Balletts und damit der Hamburger Spitzenkultur am Herzen liegt, und das wäre derzeit seine hehrste Aufgabe, muss er die Führung auswechseln und Demis Volpi notfalls abfinden. Denn nichts wird sich an der Kasse stärker bemerkbar machen, als ein zukünftig nachlassendes Interesse an den Aufführungen des Hamburger Balletts. Und wenn die Spitzentänzerinnen und -tänzer das Haus verlassen, erlischt auch die Publikumsnachfrage.
Von der fatalen Außenwirkung einer Schädigung des Neumeier-Erbes würde sich das Hamburger Ballett und damit der Ruf der Hamburger Kultur zudem nicht mehr erholen. Und wollen wir wirklich ein Allerwelts-Ballett vermischt mit Tanztheater auf der Hamburger Bühne sehen? Ich glaube nicht.
Vielleicht wechseln wir zukünftig häufiger von der Oper ins Volksparkstadion, denn zumindest der HSV spielt wieder erstklassig. Und Fußball hat ja auch irgendetwas Choreographisches.
Dr. Ralf Wegner, 15. Mai 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Kommentar zur aktuellen Situation beim Hamburg Ballett Hamburgische Staatsoper, 6. Mai 2025
Report: Hamburger Ballett Saison 25/26 Staatsoper Hamburg, 6. März 2025