Titelbild: ©Annelies van der Vegt
La serva padrona, Konzerthaus Freiburg, 6. März 2018
Unico Wilhelm Graf van Wassernaer
Concerto armonico Nr. 5 f-Moll
Giovanni Battista Pergolesi
Concerto für Violine B-Dur
Salve Regina c-Moll
La serva padrona
Freiburger Barockorchester
Sunhae Im (Serpina), Sopran
Furio Zanasi (Umberto), Bariton
Tristan Braun (Vespone), Pantomime/Regie
Gottfried von der Goltz , Violine und Leitung
von Leah Biebert
In den Hallen des Konzerthauses erklang im Abendprogramm des Freiburger Barockorchesters die Musik Giovanni Battista Pergolesis – dem „maestro angelico“, wie ihn Vincenzo Bellini einst nannte. Doch nicht das vielgespielte Stabat Mater, sondern La serva padrona, ein zweiteiliges Intermezzo, das eine ganz eigene Erfolgsgeschichte feierte: Entstanden war es im Zuge der Oper Il prigioniero superbo, einer Komposition zum Geburtstag von Elisabeth Christine. Begeistert von der situationskomischen, simplen Geschichte nahmen italienische Wandergruppen das Stück mit auf ihre Gastspielreisen. Losgelöst von der eigentlichen, tragischen Hauptoper befeuert sie den „Buffonistenstreit“: den Konflikt zwischen der italienischen opera buffa und der französischen, ernsten Oper.
Drei Jahrhunderte später ist La serva padrona immer noch in der Lage, das Publikum zu amüsieren. Das Freiburger Barockorchester bot eine simple, aber voll und ganz gelungene Inszenierung des Intermezzos. Ihm vorangestellt waren Pergolesis Salve Regina und das Concerto für Violine sowie das Concerto armonico des niederländischen Diplomaten und Komponisten Unico Wilhelm Graf van Wassernaer. Seine Concerti amorici waren anonym in Den Haag erschienen und zunächst Pergolesi als Autor zugeschrieben worden – bis in der Mitte des 20. Jahrhunderts ein Manuskript entdeckt wurde, das Wassernaer als Komponist identifizierte.
Mit dem fünften der Concerti amorici begann das vielfach ausgezeichnete Barockorchester sein Programm – die Streicher im Stehen. Gottfried von der Goltz an der Geige erwies sich von Anfang an als fachmännischer Leiter: Über routinierte, gezielte Blicke in das Halbrund der Musiker gelang eine einwandfreie Kommunikation und ein Zusammenspiel, das vorbildlicher nicht hätte sein können. Der italienische Ton der Komposition mit galanten, aber einfachen Elementen wechselte dabei von Melancholie zu Heiterkeit – ohne Pause ging das Orchester vom Adagio ins Da Cappella über. Die barocke Lebensfreude schwang dabei in jeder Note mit und spiegelte sich auch in Körperhaltung und Mimik der Musiker: Der Cellist Stefan Mühleisen strahlte über das ganze Gesicht. Bei hohen Akzenten schienen die Violinisten ebenfalls ein klein wenig in die Höhe zu springen.
Auch in Pergolesis Concerto für Violine, das auf den Wassernaer folgte, spielten die Musiker im wortwörtlichen Sinne zusammen. Jedes staccato saß punktgenau an der richtigen Stelle, Tonartwechsel von Dur nach Moll wurden behutsam gemeinsam vollzogen. In ihren Soli waren die Violinisten niemals allein; stets konnten sie sich auf die Unterstützung des ganzen Orchesters verlassen.
Dann betrat Sunhae Im für das Salve Regina die Bühne. Die Stimme der aus Südkorea stammenden Sopranistin schien zunächst etwas dünn, die Phrasenöffnungen nicht kraftvoll genug; die Instrumentalisten waren nicht übermäßig laut, im Grunde sogar genau angemessen, aber aufgrund der dichten Bestuhlung gab der Saal nicht allzu viel Klangraum her. Ihr starkes Timbre jedoch harmonierte wunderbar mit der Klangfarbe der Musik, die das Orchester auf gekonnte Weise intonierte.
Der Höhepunkt des Abends jedoch war das komische Intermezzo, La serva padrona. So simpel, wie der Inhalt des Stücks war auch die Inszenierung des Barockorchesters: Vor den Musikern stand lediglich ein helles Sofa als Requisite auf der Bühne, darauf eine Kaffeetasse. Mehr brauchte es aber auch gar nicht, um der Geschichte den nötigen Rahmen und dem Publikum etwas zum Lachen zu geben.
Die Geschichte, als Zwischenspiel für das wartende Opernpulikum gedacht, ist auf erfrischende Weise zugespitzt: Die ‚serva padrona‘, die listige Dienerin Serpina, wurde vom alten Junggesellen Umberto als Mädchen aufgenommen. Nun aber fängt sie an, mit ihm zu spielen und wird aufmüpfig. Umberto beauftragt den Diener Vespone, ihm eine neue Magd, eine Braut zu besorgen. Daraufhin will Serpina ihn eifersüchtig machen, indem sie vorgibt, ebenfalls einen Bräutigam zu haben. Dieser ist in Wirklichkeit der als Soldat verkleidete Vespone. Mit der List hat sie Erfolg, denn Umberto weiß, dass er sie vermissen wird, sollte sie wirklich gehen. Um Ärger mit dem Soldaten aus dem Weg zu gehen, verspricht Umberto schließlich, Serpina zu heiraten.
Für Pergolesis Version des schlauen Dieners und des dummen Herren nahmen an diesem Abend Sunhae Im (Sopran) und Furio Zanasi (Bariton) die beiden Hauptrollen ein. Ihre herausragenden Leistungen wurden zusätzlich aufgewertet durch das starke Spiel Tristan Brauns als Vespone. Der junge Münchener, der derzeit Musiktheaterregie in Berlin studiert, war darüber hinaus für die künstlerische Leitung des Stücks verantwortlich.
Und auch die Instrumentalisten spielten mit. Beatrix Hülsemann musste zwischendurch ihre Geige beiseitelegen, um als Umbertos Verlobte an seine Seite zu kommen. Alle Orchestermitglieder warfen mitten im einstimmigen Gesang die eine oder andere Phrase ein, um das Geschehen zu kommentieren. Dass alle in das Stück mit einbezogen waren, machte nicht nur ein ganz besonderes humoristisches Element aus. Es war auch ein Zeichen dafür, dass die Musiker als ein geschlossenes Ganzes auftraten. Die Darsteller waren nicht getrennt von den Instrumentalisten; genauso wenig, wie die Handlung unabhängig von der Musik war – und andersherum.
So waren auch die Gesten der Darsteller eins zu eins an die Musik angepasst. Sie nahmen deren Figuren auf und ahmten sie nach. Vor allem Sunhae Im war im Intermezzo wesentlich besser als noch zuvor im Salve Regina. Sie begeisterte durch ihr ausdrucksstarkes Spiel als niemals unterlegene Dienerin; durch eine bestimmte Akzentgebung wirkte auch ihr Gesang an sich frech. Besonders toll, wie sie die gespielte Verzweiflung ihrer Figur übertrug: In übertriebenen Schluchzern plärrte sie erst in Richtung Umberto, dann zu Vespone hin: „Ah! poverina.“ Um sich dann im nächsten Moment verstohlen, aber höchsterfreut ans Publikum zu wenden: „Er scheint mir schon leis, ganz leise sich beginnen zu erweichen.“ Sie vermochte es, extremste Gefühle mit ihrer Stimme auszudrücken, ohne dass auch nur ein einziger Ton an der falschen Stelle saß.
Zwar nicht ganz so extrem, aber dennoch von unerschütterlichem Humor war das Spiel des Italieners Furio Zanasi. Zunächst noch von autoritärer Ruhe bestimmt, schlich sich schließlich die Verwirrung nicht nur in seine Worte, sondern auch in seine Stimme: Manche Phrasen sang er gar nicht mehr aus, sondern brummelte sie vielmehr vor sich hin.
Die Inszenierung fand einen angenehmen Weg zwischen altbekanntem Sujet und moderner Interpretation. Erinnerte das Kleid Sunhae Ims doch tatsächlich noch an den Stil barocker Mode, so gab sich Vespone in der Rolle des Bräutigams nicht mehr als Soldat aus, sondern als angetrunkener Wüterich, der in Unterhemd und Jogginghose, mit Sonnenbrille, Basecap und Tattoo mit Gewalt droht. An dieser Stelle brach auch die Laute aus der vorgeschriebenen Musik Pergolesis aus und ging in einen Akkordschlag aus der Popmusik über.
So machte gerade die Aktualisierung des Stücks, ein humorvolles Spiel mit den Klischees der heutigen Zeit, dieses genauso amüsant für ein modernes Publikum, wie es zur Zeit Pergolesis und (wegen seines frühen Tods) auch noch danach der Fall war. Dass das Freiburger Barockorchester auch während der Instrumentalstücke stets als geschlossenes Ganzes auftrat, lässt die Gründe erahnen, warum es in seinem Jubiläumsjahr auf eine 30jährige Erfolgsgeschichte zurückblicken kann. Dazu gehört sicherlich auch die Spielfreude der Musiker, die an diesem Abend nicht zu kurz kam und ohne Frage dazu beitrug, dass das Publikum in einer so heiteren Stimmung nach Hause gehen durfte.
Leah Biebert, 10. März 2018
für klassik-begeistert.de
Titelbild: ©Annelies van der Vegt