CD/Blu-ray-Rezension:
München hat nun wieder eine großartige „Fledermaus“, die den Zeitgeist so witzig wiedergibt, als sie ihn gleichzeitig karikiert. Chapeau!
Johann Strauß, Die Fledermaus
Diana Damrau
Georg Nigl
Vladimir Jurowski
Barrie Kosky
Bayerische Staatsoper
Recordings LC96744
von Peter Sommeregger
Johann Strauß’ bekannteste Operette auf die Bühne zu bringen, ist keine leichte Aufgabe. Die Erwartungshaltung des Publikums ist bei diesem Stück besonders hoch, geht ihm doch der Ruf voraus, umwerfend komisch zu sein. Darüber hinaus kann man die Komödie um Menschen, die alle behaupten, jemand ganz anderer zu sein, als Abgesang auf die sterbende Donaumonarchie deuten. So gesehen liegt die Latte für den Regisseur ungewöhnlich hoch.
Erfolgsregisseur Barrie Kosky geht einen eigenwilligen Weg, indem er den Plot schon mit der hinreißend choreographierten Ouvertüre grotesk übersteuert. Die Hauptfigur Eisenstein wird in einem Alptraum von einem Fledermausballett zum Mittanzen gezwungen, was die Tänzer und der Bariton Georg Nigl daraus machen, setzt bereits ein erstes Ausrufezeichen.
Kosky mischt das etwas altbackene Libretto kräftig auf und zieht die Handlung von Beginn an deutlich ins grotesk Irreale. Das große Fest beim Prinzen Orlofsky lässt er in einer begehbaren Stahlkonstruktion spielen, es scheint Träger für eine nur äußerlich prunkvolle Fassade zu sein. Die Ballgesellschaft ist ein buntes Häuflein reichlich schriller Vertreter aller nur erdenklicher Spielarten der heutigen Geschlechtervielfalt. Der bewährte Choreograph Koskys, Otto Pichler, heizt die Stimmung kräftig an. Dass in einem solchen Ambiente der Prinz als Drag Queen mit üppigem Federbusch auftritt, versteht sich beinahe von selbst.
Viele Fledermaus-Inszenierungen scheitern im dritten Akt, der äußerst dialoglastig ist, und einen wirklich überzeugenden Komiker als Gefängniswärter Frosch benötigt. Kosky verteilt die Rolle auf sechs Frösche, deren erster, Max Pollak zu Beginn eine gekonnte Stepptanz-Einlage bietet. Eisenstein und Gefängnisdirektor Frank tragen auf einmal groteske Verkleidungen und scheinen auf einem ganz absonderlichen Trip zu sein. Am Ende rauschendes Champagner-Finale. Vladimir Jurowski am Pult gibt dem Affen den nötigen Zucker, verliert bei aller Champagner-Seligkeit nie den Überblick über die anspruchsvolle Partitur.
Koskys anspruchsvoller Ansatz bedarf spielfreudiger Sänger, die sich bis zur Selbstverleugnung verbiegen können, solche stehen ihm auch zur Verfügung. Allen voran Bariton Georg Nigl, der Eisensteins Horror-Nacht zur Charakterstudie eines wild gewordenen Spießers macht, ihn aber gleichzeitig mit wohlklingendem Bariton ausstattet.
Seine Gattin Rosalinde gibt Diana Damrau, lange Jahre die Adele vom Dienst, üppig im Spiel, ein wenig überreif im Gesang. Aus dem Gefängnisdirektor Frank macht Martin Winkler eine Charakterstudie, die im dritten Akt bis weit über die Schmerzgrenze gehen muss. Markus Brück ist ein sonorer Dr. Falke, Sean Panikkar bringt für den Alfred einen strahlenden Tenor mit. Miriam Neumaier spielt eine witzige Ida, die leider nichts zu singen hat. Den Vogel schießt aber Katharina Konradi als Adele ab, die selbstbewusst mit perfekten Spitzentönen ihrer Arbeitgeberin Rosalinde kräftige Konkurrenz macht. Eine Enttäuschung ist der Orlofsky von Andrew Watts. Dem Countertenor liegt die Partie ganz eindeutig zu hoch und unbequem, das kann auch sein originelles Auftreten nicht wettmachen.
München hat nun wieder eine großartige „Fledermaus“, die den Zeitgeist so witzig wiedergibt, als sie ihn gleichzeitig karikiert. Chapeau!
Peter Sommeregger, 28. Oktober 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
CD/Blu-ray Besprechung: Carl Maria von Weber, Der Freischütz klassik-begeistert.de, 5. Oktober 2024
Wohl wahr, lieber Herr Sommeregger, „viele Fledermaus-Inszenierungen scheitern im dritten Akt“, schreiben Sie. Ein besonders krasses Beispiel erlebte ich im letzten Jahr an der Komischen Oper. „Die Rache der Fledermaus“ war ein Schweizer Import und bis zum „Feuerstrom der Reben“, zum Ende des 2. Aktes, auch ein amüsantes Spektakel, denn der Mythos „Fledermaus“ wurde kräftig entzuckert und durch die „Rache“ im Titel rückte auch die eigentliche Vorgeschichte der Operette mehr in den Fokus als üblich. Und um Christoph Marti von den Geschwistern Pfister als Rosalinde zu sehen, hätte ich auch glatt das Doppelte an Eintritt bezahlt!
Aber dann kam dieser 3. Akt. Viele olle Stühle standen auf der Bühne. So ein Typ älterer Hausmeister warf mit Halbsätzen nach dem Publikum, aber keiner lachte und warf zurück. Und letztlich sang Herr „Frosch“ noch in Schweizer Mundart ein Lied über einen Kiosk. Das war so simpel und schrecklich, zeigte mir aber, dass man selbst bei Operette nie vor Überraschungen sicher sein kann.
Aber das waren wir mit Barrie Kosky in Berlin ja sowieso nie.
Ralf Krüger