Ladas Klassikwelt 112: „Die Gottbegnadeten“ musizierten unter den Verfluchten – Teil 1

Ladas Klassikwelt 112: Wagners Musik im von den Nazis besetzten Krakau – Teil 1  klassik-begeistert.de, 18. Dezember 2023

Foto: Ankündigung des Sonderkonzerts des Philharmonischen Orchesters des Generalgouvernements – Nachdruck im Buch von Stanisław Lachowicz „Muzyka w okupowanym Krakowie 1939-1945“

Richard Wagners Musik im von den Nazis besetzten Krakau – Teil 1

von Jolanta Łada-Zielke

Im Mai 1944 fand in Krakau ein Konzert mit drei deutschen Wagner-Sängern unter der Leitung von Hans Swarowsky statt. Es war eines der 12 Sonderkonzerte der Philharmonie des Generalgouvernements [1] in der Saison 1943/44.

Die dramatische Sopranistin Gertrude Grob (später Grob-Prandl) gab ihr Debüt 1940 an der Volksoper Wien, 1943 trat sie auch in Dresden und München auf. Nach dem Krieg schloss sie sich dem Ensemble der Wiener Staatsoper an und machte eine weltweite Karriere. 1952 erhielt sie den Titel einer Kammersängerin.
Diese Auszeichnung besaß bereits 1944 ihre achtzehn Jahre ältere Berliner Kollegin Gertrude Rünger. Der Laufbahn dieser Sängerin ist insofern interessant, weil sie als Alt begann und sich dann zum dramatischen Sopran entwickelte.

Sie war als weltberühmte Interpretin von Wagner-Partien bekannt. Von 1930-1935 gehörte sie zum Ensemble der Wiener Staatsoper. Von 1936 bis 1937 war sie an der Metropolitan Opera in New York engagiert, wo sie Brünnhilde, Fricka und Ortrud sang. Der Name Rünger befand sich seit 1944 auf der sogenannten Gottbegnadeten-Liste des Reichministeriums für Volkserklärung und Propaganda. Die „Gottbegnadeten“ Künstler standen unter besonderem Schutz, man durfte sie weder an die Front schicken, noch zum Hilfsdienst einziehen.

Gertrude Rünger, Quelle: https://archive.org

Über den Bass Fritz Zöllner, Solist der Oper in Königsberg und der Staatsoper München, liegen keine Informationen vor, außer der Erwähnung, dass er 1942 an der Griechischen Nationaloper in der Aufführung von Strauss’ „Elektra“ auftrat.

Ich habe über die Philharmonie des Generalgouvernements auf KB bereits geschrieben. Es war das einzige Ensemble im besetzten Krakau, das aus polnischen Musikern bestand (mit Ausnahme des Konzertmeisters). Im Orchester der Krakauer Oper und Operette waren hingegen Deutsche in der überwiegenden Mehrheit.

In Krakau fanden auch Gastspiele von Orchestern aus Breslau, Wien, Stuttgart, Köln, Dresden, Leipzig, München, Frankfurt am Main, Kattowitz und Berlin statt. Die Einheimischen organisierten heimliche Hauskonzerte, bei denen man die vom Besatzer verbotene polnische Musik aufführte. Selbst im Krakauer Ghetto gab es ein eigenes musikalisches Leben, allerdings beschränkte es sich auf Kammerauftritte in Cafés oder privaten Wohnungen.

Das Musikleben der Hauptstadt des Generalgouvernements dokumentierte und beschrieb in seinem Buch „Muzyka w okupowanym Krakowie 1939-1945“ Stanisław Lachowicz, ein Sänger der Krakauer Oper, Regisseur und Musikwissenschaftler. Ich muss hinzufügen, dass Krakau erst seit 2006 über ein eigenes Opernhaus verfügt. Früher gab es dort nur eine Operette, und Opernvorstellungen fanden im Stadttheater (heute Słowacki-Theater) statt. Für die Aufführung von Wagners Werk waren die dortigen Bühnenbedingungen nicht ausreichend.

Als Galizien noch zu Österreich-Ungarn gehörte, war nicht Krakau, sondern Lemberg (Lviv, Lwów) ein wirkliches Opernzentrum. Dort sah das polnische Publikum auch zum ersten Mal die Opern Wagners. Im deutschen Theater in Lemberg brachte man 1867 „Tannhäuser“ zur Aufführung, und 1877 präsentierte das polnische Musiktheater den „Lohengrin“. In den Jahren 1907-1911 inszenierte man dort den ersten und bis heute einzigen Ring-Zyklus in polnischer Sprache. Wagner führte man ebenfalls in Warschau und Posen, und nach dem Zweiten Weltkrieg auch in Breslau auf. In Krakau inszenierte man zum ersten Mal eine Oper Wagners erst im Jahre 2015, und zwar „Tannhäuser“.

Während der NS-Besatzung von Krakau erschienen nur Ouvertüren und Vorspiele zu Werken Wagners, oder einzelne Arien sowie Duette aus seinen Opern in den Konzertprogrammen der GG-Philharmonie. Die Gastsolisten aus dem Reich nahmen an diesen Aufführungen teil, ebenso wie die drei oben genannten Künstler.

Am ersten Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs – dem 1. September 1940 –benannte man das Krakauer Stadttheater in „Staatstheater des Generalgouvernements“ um. Von da an spielten dort nur deutsche Schauspieler. Die Oper und Operette nahmen ihren Betrieb in der Saison 1941/42 auf. Aus dem Reich holte man die Orchestermusiker, zunächst 33. Ein Jahr später erweiterte man das Ensemble auf 57 Personen.

Zuerst spielten dort sieben polnische Musiker, dann zehn. Ihre Namen befanden sich am Ende der Gehaltsliste, jedoch ohne Angabe der Nationalität. Der Opernchor bestand aus 26 Sängern. Bei den Frauenstimmen gab es nur deutsche Sängerinnen, unter Männerstimmen fand man einige polnische Nachnamen. Zum Ballett gehörten 15 bis 21 Tänzer.

Das technische Personal des Theaters bestand hingegen ausschließlich aus Polen. Sie waren Bühnentechniker, Lichtarbeiter, Elektriker und Garderobefrauen. Diese Beschäftigung schützte sie vor der Deportation zur Zwangsarbeit ins Reich. Die im Stadttheater angestellten Krakauer erinnerten sich gut an ihre deutschen Kollegen Künstler, von denen sie keine Anzeichen von Feindseligkeit oder Dominanz verspürten.

Das ehemalige Stadttheater Krakau, heute Juliusz-Słowacki-Theater, Foto: Kgbo

Am 15. August 1940 spielte das Opernorchester während einer NSDAP-Versammlung im Theatergebäude die Ouvertüre zu „Die Meistersinger“. Es dirigierte Hans Antolitsch, der zum künstlerischen Leiter der Krakauer Oper wurde. Kurt Steuernagel übernahm das Dirigat der Operetten. In den Jahren 1940-1944 fanden in Krakau insgesamt 203 Opern- und 289 Operettenaufführungen statt, darunter am häufigsten: Verdis „Otello“, Mascagnis „Cavalleria rusticana“ und Leoncavallos „Pagliacci“ (jeweils 29-mal) sowie Puccinis „Tosca“ – 24-mal. Darüber hinaus gehörten zum Repertoire Beethovens „Fidelio“, Glucks „Iphigenie in Aulis“, Händels „Julius Cäsar“, Mozarts „Figaros Hochzeit” und „Der Schauspieldirektor”, Pfitzners „Das Christ-Elflein“, Richard Strauss’ „Ariadne auf Naxos”, Webers „Freischütz“ und Verdis „Maskenball”. Von den Operetten präsentierte man Dostals „Ungarische Hochzeit“, „Clivia“ und „Manina“; Lehárs „Die lustige Witwe“, „Das Land des Lächelns“ und „Der Graf von Luxemburg“; Künnekes „Der Vetter aus Dingsda“, Raymonds „Maske in Blau“, Schultzes „Schwarzer Peter”, sowie „Wiener Blut“ und „Die Fledermaus“ von Johann Strauß.

Am 9. September 1944 wurde das Operntheater des GG geschlossen und deutsche Mitarbeiter fuhren in den Urlaub ins Deutsche Reich, von wo aus sie zur nächsten Spielzeit zurückkehren sollten. Dazu kam es jedoch nicht mehr.

Jolanta Łada-Zielke, 18. Dezember 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Quellen:

  1. Lachowicz, „Muzyka w okupowanym Krakowie 1939-1945“, Wydawnictwo Literackie, Krakow 1988, ISBN 83-08-01796-7
  2. Musioł, Wagner und Polen, Mühl’scher Universitätsverlag Bayreuth, Herausgeber: Herbert Barth, 1980, ISBN 3 921733 219

Blog „Niemiecki Krakow“

[1] Der Name der von den Nazis besetzten Gebiete Polens zwischen 1939 und 1945. Krakau war die Hauptstadt des Generalgouvernements.

Jolanta Łada-Zielke, Jahrgang 1971, kam in Krakau zur Welt, hat an der Jagiellonen-Universität Polnische Sprache und Literatur studiert und danach das Journalistik-Studium an der Päpstlichen Universität Krakau abgeschlossen. Gleichzeitig absolvierte sie ein Gesangsdiplom in der Musikoberschule Władysław Żeleński in Krakau. Als Journalistin war Jolanta zehn Jahre beim Akademischen Radiorundfunksender Krakau angestellt, arbeitete auch mit Radio RMF Classic, und Radio ART anläßlich der Bayreuther Festspiele zusammen. 2003 bekam sie ein Stipendium vom Goethe-Institut Krakau. Für ihre  journalistische Arbeit wurde sie 2007 mit der Jubiläumsmedaille von 25 Jahren der Päpstlichen Universität ausgezeichnet. 2009 ist sie der Liebe wegen nach Deutschland gezogen, zunächst nach München, seit 2013 lebt sie in Hamburg, wo sie als freiberufliche Journalistin tätig ist. „Ihre Artikel erscheinen in der polnischen Musikfachzeitschrift „Ruch Muzyczny“, auf dem Portal „Kurier Muzyczny“, in der Theaterzeitung „Didaskalia“, in der kulturellen Zeitschrift für Polen in Bayern und Baden-Württemberg „Moje Miasto“, sowie auf dem Online-Portal „Culture Avenue“ in den USA. Als ausgebildete Sängerin führt Jolanta eigene Musikprojekte durch und singt auch im Chor. Zu ihrem Solo-Repertoire gehören vor allem geistliche und künstlerische Lieder sowie Schlager aus den Zwanzigern. Sie ist seit 2019 Autorin für klassik-beigeistert.de.“

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