Foto: Bachology auf Youtube
„Trotz der Distanz zwischen den Sängern gelang es uns, einen schönen, gemeinsamen Klang zu erzeugen. Wir waren wirklich froh, dass wir wieder „analog“ zusammen üben konnten. Virtuelle Proben können dies nicht ersetzen.“
von Jolanta Lada-Zielke
Aus Sicherheitsgründen finden Chorproben zurzeit virtuell oder seit Kurzem bei Sommerwetter auch im Freien statt. Überall ist das nicht möglich. Die Verwaltung einiger Regionen erlaubt zum Beispiel das Training von Tai-Chi-Gruppen, aber kein gemeinsames Singen, das immer noch als Möglichkeit der Ausbreitung des Coronavirus angesehen wird.
Einige Schulen stellen den Ensembles ihre Höfe zur Verfügung, natürlich nur an schulfreien Tagen. Die Proben finden auch in Stadiontribünen statt. Da dort mehr Platz ist, ist es einfach, einen Abstand von zwei Metern voneinander einzuhalten. Ein weiterer wichtiger Vorteil dieser Aufstellung ist der, dass die Sänger während der Probe nicht tratschen, was den Chorleiter stören kann. Die Dauer der Proben wird auf maximal zwei Stunden reduziert.
Einige Chorleiter empfehlen eine FPP2-Maske zu tragen, die sich leicht am Gesicht befestigen lässt. Dank der zwei länglichen Löcher um die Nasenflügel, die mit dünner Baumwolle bedeckt sind, kann man freier atmen. Das Singen in einer Maske ist jedoch unangenehm, insbesondere wenn man den Mund weiter öffnen muss.
Im Internet finden sich Aufnahmen von Aufführungen des Ensembles Collegium 1704, das unter anderem „Jesu, meine Freude“ von Bach und „Lamento della Ninfa“ von Monteverdi aufführt. Die Filme zeigen ein rohes und leeres Innere einer Kirche, die Musiker singen in Stoffmasken, die mit barocken Blumenmotiven geschmückt sind. Auf der Aufnahme ist nicht zu hören, dass die Maske den Klang der Stimme dämpft, obwohl er einen leicht matten Ton hat.
Der Chor, in dem ich singe, probte aber nicht in Masken oder im Hof eines der Hamburger Gymnasien, sondern in einem Stadion in Altona. Alle anderen Sicherheitsbestimmungen wurden eingehalten. Außerdem musste jedes Chormitglied eine Erklärung abgeben, dass es an den Proben auf eigene Verantwortung teilnimmt. Wir durften jeden dritten Platz auf der Tribüne besetzen. In meinem Fall war es gerechtfertigt, denn auf einem der Stühle zwischen mir und meiner Mitsängerin war ein Fleck aus getrocknetem Schokoladeneis, und von dem anderen entfernte jemand grob etwas Vogelkot.
Und was das Singen betrifft; trotz der Distanz zwischen den Sängern gelang es uns, einen schönen, gemeinsamen Klang zu erzeugen. Wir waren wirklich froh, dass wir wieder „analog“ zusammen üben konnten. Virtuelle Proben können dies nicht ersetzen.
Was uns ein wenig störte, war der Wind, der die Noten durchblätterte. Am meisten bekam das der Dirigent zu spüren, der das Notenheft nicht in den Händen halten konnte. Glücklicherweise hatte eine Sopranistin eine Wäscheklammer dabei, mit deren Hilfe gelang es ihm, die Noten am Pult zu befestigen.
Ich erinnerte mich damals, wie ich im Mai 2006 in Krakau während des Besuchs von Papst Benedikt XVI sang. Der Gottesdienst fand wie gewohnt auf der riesigen Wiese namens Błonia statt. Drei verbundene Ensembles sangen während des Gottesdienstes: der Chor der Musikhochschule, der Krakauer Kammerchor und wir – die Kantorei St. Barbara. Alle Chöre wurden vom Orchester der Musikhochschule begleitet. Hinter dem Dirigentenpult stand der Rektor der Musikhochschule Professor Stanisław Krawczyński.
Alle Orchestermusiker befestigten ihre Noten mit Wäscheklammern, weil der Wind ziemlich stark war. Wir führten unter anderem das Stück „Tu es Petrus“ auf, das der Krakauer Komponist Juliusz Łuciuk speziell für diesen Anlass geschaffen hatte. Und außerdem die allgemein bekannten Hits: Mozarts „Ave Verum“ und Händels „Hallelujah“. Der Heilige Vater fand die musikalische Begleitung der Messe sehr schön und gab am Ende dem Orchester und dem Chor einen extra Segen. Der Teufel steckte aber – wie so häufig – im Detail. Während des Gottesdienstes blätterte der Wind ab und zu die Partitur des Dirigenten um, die zu dick war, um eine Wäscheklammer verwenden zu können.
Jolanta Lada-Zielke, 05. Juli 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Ladas Klassikwelt 38: Virtuell oder real, Hauptsache: international!
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Jolanta Lada-Zielke, 48, kam in Krakau zur Welt, hat an der Jagiellonen-Universität Polnische Sprache und Literatur studiert und danach das Journalistik-Studium an der Päpstlichen Universität Krakau abgeschlossen. Gleichzeitig absolvierte sie ein Gesangsdiplom in der Musikoberschule Władysław Żeleński in Krakau. Als Journalistin war Jolanta zehn Jahre beim Akademischen Radiorundfunksender Krakau angestellt, arbeitete auch mit Radio RMF Classic, und Radio ART anlässlich der Bayreuther Festspiele zusammen. 2003 bekam sie ein Stipendium vom Goethe-Institut Krakau. Für ihre journalistische Arbeit wurde sie 2007 mit der Jubiläumsmedaille von 25 Jahren der Päpstlichen Universität ausgezeichnet. 2009 ist sie der Liebe wegen nach Deutschland gezogen, zunächst nach München, seit 2013 lebt sie in Hamburg, wo sie als freiberufliche Journalistin tätig ist. Ihre Artikel erscheinen in der polnischen Musikfachzeitschrift „Ruch Muzyczny“, in der Theaterzeitung „Didaskalia“, in der kulturellen Zeitschrift für Polen in Bayern und Baden-Württemberg „Moje Miasto“ sowie auf dem Online-Portal „Culture Avenue“ in den USA. Jolanta ist eine leidenschaftliche Chor-und Solo-Sängerin. Zu ihrem Repertoire gehören vor allem geistliche und künstlerische Lieder sowie Schlager aus den Zwanzigern und Dreißigern. Sie ist seit 2019 Autorin für klassik-beigeistert.de.