Fotos: Klaudyna Schubert | klaudynaschubert.eu
V.l. Mateusz Kowalski (Tenor- und Bass-Viola da Gamba), Sylwia Heinrich, Agata Sanchez Martos und Rafał Gorczyński (Bass-Viola-da-Gamba- alle drei gebaut von Matthew Farley, mit dem ich ein Interview im Herbst 2019 für klassik-begeistert.de geführt habe).
von Jolanta Łada-Zielke
Am 21. März feiern wir den ersten Frühlingstag und auch den Geburtstag von Johann Sebastian Bach. Seit neun Jahren ist dieses Datum als Tag der Alten Musik (Early Music Day) bekannt. Das European Early Music Network REMA lädt an diesem Tag alle ein, mittelalterliche, Renaissance- und Barockmusik zu hören und zu feiern.
Das Osterfestival „Misteria Paschalia“, das seit 2004 in Krakau stattfindet, wurde dieses Jahr vom 1. bis 5. April geplant. Aufgrund des in Polen geltenden harten Lockdowns hat man alle Konzerte innerhalb dieser Veranstaltung früher aufgezeichnet und ins Netz zur Verfügung gestellt.
Das Konzert, das am Sonntagnachmittag des 21. März stattfand, war ein Präludium zu dem Festival. Dort trat ein außergewöhnliches Quartett auf: Consort der Viole da Gamba der Musikhochschule Krakau, bestehend aus Studenten und Absolventen der Klasse dieses Instruments. Der künstlerische Leiter des Ensembles ist Dr. Mateusz Kowalski[1], Gambist und Dozent an der Musikhochschule Krakau. Dazu gehören auch zwei Studenten der Viola da Gamba: Sylwia Heinrich und Rafał Gorczyński sowie die Absolventin dieser Fakultät Agata Sanchez Martos.
„Wir haben zum ersten Mal in dieser Besetzung gespielt“, sagt Mateusz Kowalski. „Die Organisatoren des Misteria-Paschalia-Festivals baten die Behörden unserer Fakultät, ein Konzert für den Tag der Alten Musik vorzubereiten. Also haben wir das Programm gewählt, das wir früher für die wegen COVID19 abgesagten Johann-Sebastian-Bach-Tage fertig hatten.“
Das Consort spielt die Musik des 16. und 17. Jahrhunderts auf Kopien alter Instrumente, die in polnischen und ausländischen Geigenbauwerkstätten hergestellt wurden. Die Hersteller dieser Instrumente sind Adam Bartosik aus Myślenice nahe Krakau, Matthew Farley, der unseren Lesern schon bekannt ist und die amerikanische Instrumentenbauerin Judith Kraft, die in Paris lebt.
Beim Zusehen der Aufnahme des Konzerts, genieße ich die Musik der Spätrenaissance und des Barocks. Vier gleichzeitig spielende Viole da Gamba erzeugen einen schönen, edlen gemeinsamen Klang und harmonieren perfekt miteinander. Im repräsentativen Innenraum des Potocki-Palastes in Krakau klingen selbst das Stimmen der Instrumente und das Rascheln der verschobenen Noten fast mystisch. Fast 53 Minuten sind mit wirklich großartiger und abwechslungsreicher Musik in Bezug auf Rhythmus und Harmonie gefüllt.
Später unterhalte ich mich mit Mateusz über das Konzertprogramm mit den Werken von zwei Komponisten: Orlando di Lasso (1532-1594) und David Funck (1648-1701). Es liegen hundert Jahre zwischen ihren Lebensläufen und ihrem Schaffen, aber beide schrieben für die Viola da Gamba. Mateusz betont, dass sich die Art und Weise, wie diese Instrumente gebaut werden, auch in so langer Zeit nicht grundlegend änderte:
„Die Viola da Gamba entwickelte sich zu Beginn des 16. Jahrhunderts und wurde in ihrer ursprünglichen Form weiter verwendet. Die Instrumentenbauer gaben Violen verschiedene, manchmal sehr phantasievolle Formen. Bei den Instrumenten aus der Geigenfamilie war das anders, weil die heutige Geige gleich wie ihr Prototyp vom Ende des 16. Jahrhunderts aussieht. Die Noten der Werke, die wir aufgeführt haben, sind öffentlich verfügbar, auch online, zum Beispiel die Suiten von Funck befinden sich in der Petrucci Music Library. Dort gibt es das Original, das Faksimile und die Transkriptionen. Das betrifft auch die Stücke von Orlando di Lasso.“
David Funck, Virtuose der Geige, Gambe, Gitarre und Tasteninstrumente, war eine sehr umstrittene Person. Er lebte und arbeitete in Schleswig-Holstein – Sonderburg-Norburg, in Reichenbach, Wunsiedel und Ilmenau, verlor jedoch oft seine Stelle aufgrund seines Verhaltens. 1686 wurde er wegen übermäßigen Alkoholkonsums angezeigt und 1699 endete seine Karriere auf schmachvolle Weise, als er seine Stelle aufgrund zahlreicher Anklagen verlassen musste. Er wurde des „Criminis Sodomiae“ (der sodomitischen Sünde) verdächtigt, als „böser Mensch“ bezeichnet und starb später bei einer Fußreise auf dem Weg nach Arnstadt den Erfrierungstod[2]. Das von Mateusz geleitete Ensemble bereitete die Stücke aus seiner einzigen erhaltenen Sammlung für das Konzert vor.
„Im Titel der Funck-Sammlung steht bereits: ‚für vier Viole da Gamba‘. Interessant, dass der Komponist das Werk für vier Bassinstrumente schrieb, anstatt für ein Consort, das aus Sopran-, Alt-, Tenor-, und Bass-Viola bestanden hätte. Funck erlaubte jedoch die Nutzungsmöglichkeit der Tenor-Viola für die höchste Stimme, und so haben wir es auch beim Konzert gemacht. Ich glaube, dass das seine ursprüngliche Voraussetzung für einige Stücke aus der Sammlung war, was man bei der höchsten Stelle des einzigen Tanzes in der G-Dur-Suite erkennen kann.“
Aus den Werken von Orlando di Lasso wählte das Quartett zwei Bicinien. Dies waren meist vokale Kompositionen für zwei Stimmen. Der Begriff Bicinium taucht erstmals 1540 in einem Aufsatz des polnischen Renaissance-Komponisten Jan z Lublina (Jan aus Lublin) auf.
„Die Bicinien waren polyphone Lehrstücke, die auch öffentlich aufgeführt wurden“, erklärt Mateusz. „Normalerweise sollten sie auf allen Arten von Instrumenten gespielt werden. Nach ihrer Skala ist es jedoch sehr wahrscheinlich, dass man sie vor allem für Viole da Gamba komponierte, obwohl auch andere Instrumente in Betracht gezogen werden könnten. Die Bicinien von Orlando di Lasso, von denen wir zwei für unser Programm ausgewählt haben, stammen aus den 1570er-Jahren. Zu dieser Zeit war das Schema der sechssaitigen Bass-Viola bereits entwickelt und sie war wie heute in Quart und großer Terz gestimmt.“
Und die Suite in d-Moll, die Du solo auf der Tenor-Viola gespielt hast?
Dieses interessante Manuskript wurde in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Brandenburg, wahrscheinlich in Berlin, verfasst. Im 19. Jahrhundert kaufte es die Bibliothèque Nationale de France in Paris, wo es noch heute aufbewahrt wird. Das Symbol FN steht für „France Nationale“ und RES steht für „reservé“. Außer dieser Suite gibt es in dieser Sammlung auch einige polnische Tänze, die in unserer Sprache sogar mit den Worten „taniec polski“( polnischer Tanz) gekennzeichnet sind. Dies sind sehr einfache Tänze, die aus einer Pavane und einer auf demselben melodischen Material basierten Gagliarde bestehen. Im 17. Jahrhundert waren sie sehr populär in Norddeutschland.“
Es wäre gut für dieses Quartett, nicht bei diesem einen Konzert zu bleiben, sondern auf verschiedenen Bühnen, auch außerhalb Krakaus, aufzutreten.
Die Aufnahme von dem Konzert ist auf Facebook unter diesem Link zu sehen:
https://www.facebook.com/MisteriaPaschalia/videos/265476991854793/
Das Programm:
David Funck, g-Moll-Suite (Stricturae viola di gambicae), Leipzig, 1677
Intrad – Allemande – Courant – Sarabande – Air – Ballo – Lamento – Gigue
Orlando di Lasso, Bicinum Nr.22 (Novae Cantiones Suavissime), München, 1577
Duet: Sylwia Heinrich, Rafał Gorczyński
d-Moll-Suite (Manuskript Parisier, Fn Res 1111, Brandenburg, Mitte des 17. Jahrhunderts)
Prelude – Allemande – Courante – Saraband – Gigue – Passalia
Solo: Mateusz Kowalski
Orlando di Lasso, Bicinum Nr. 24
David Funck, G-Dur-Suite
Sonatina – Almanda – Courant – Aria – Saraband – Bransle – Intrada – Volta
[1] Mateusz Kowalski studierte Viola da Gamba am Krakauer Witold-Lutosławski-Konservatorium und an der Musikhochschule Krakau, die er 2009 mit Auszeichnung absolvierte. Im November letzten Jahres verteidigte er seine Dissertation. Er setzte seine Ausbildung in dem Bereich am Königlichen Konservatorium in Haag fort. Er nahm an Meisterkursen bei weltberühmten Gambisten wie Paolo Pandolfo, Marianne Müller, Petr Wagner, Christine Plubeau, Mark Caudle sowie an Orchesterprojekten unter der Leitung von Jacques Ogg und Manfred Cordes teil.
Mateusz Kowalski ist Mitglied des auf Renaissance-Musik spezialisierten Ensembles „Floripari“, dessen Sitz das königliche Schloss Wawel in Krakau ist. Er tritt auch in mehreren anderen Formationen für Alte Musik in Polen auf, wie zum Beispiel im Consortium Sedinum, Camerata Cracovia, im internationalen Ensemble Barocum und im Brevis Consort in Vilnius. Er spielt mit diesen Gruppen regelmäßig in Polen und im Ausland (in den Niederlanden, Schottland, Bulgarien, Rumänien, Deutschland, Litauen, Spanien, Westaustralien). Zusammen mit dem Gambasada-Trio gewann er den ersten Preis beim Internationalen Kammermusikensemble-Wettbewerb für Alte Musik – Żory 2012. Er leitet das Vokalensemble Perfugium, dessen Schwerpunkt die religiöse Musik alter Epochen und die traditionellen polnischen geistlichen Lieder sind. Zusammen haben sie bereits fünf CDs aufgenommen.
[2] Die Quellen: Wikipedia und Musicalion.
Jolanta Łada-Zielke, 2. April 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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Jolanta Łada-Zielke, 49, kam in Krakau zur Welt, hat an der Jagiellonen-Universität Polnische Sprache und Literatur studiert und danach das Journalistik-Studium an der Päpstlichen Universität Krakau abgeschlossen. Gleichzeitig absolvierte sie ein Gesangsdiplom in der Musikoberschule Władysław Żeleński in Krakau. Als Journalistin war Jolanta zehn Jahre beim Akademischen Radiorundfunksender Krakau angestellt, arbeitete auch mit Radio RMF Classic, und Radio ART anlässlich der Bayreuther Festspiele zusammen. 2003 bekam sie ein Stipendium vom Goethe-Institut Krakau. Für ihre journalistische Arbeit wurde sie 2007 mit der Jubiläumsmedaille von 25 Jahren der Päpstlichen Universität ausgezeichnet. 2009 ist sie der Liebe wegen nach Deutschland gezogen, zunächst nach München, seit 2013 lebt sie in Hamburg, wo sie als freiberufliche Journalistin tätig ist. Ihre Artikel erscheinen in der polnischen Musikfachzeitschrift „Ruch Muzyczny“, in der Theaterzeitung „Didaskalia“, in der kulturellen Zeitschrift für Polen in Bayern und Baden-Württemberg „Moje Miasto“ sowie auf dem Online-Portal „Culture Avenue“ in den USA. Jolanta ist eine leidenschaftliche Chor-und Solo-Sängerin. Zu ihrem Repertoire gehören vor allem geistliche und künstlerische Lieder sowie Schlager aus den zwanziger und dreißiger Jahren. Sie ist seit 2019 Autorin für klassik-beigeistert.de.