Foto: Anna Netrebko © Kirk Edwards
Liederabend Anna Netrebko
Pavel Nebolsin
Serena Malfi
Staatsoper Berlin Unter den Linden, 8. Dezember 2025
von Peter Sommeregger
Aufregung schon vor dem Opernhaus: neben verzweifelten Kartensuchern eine kleine, aber lautstarke Gruppe ukrainischer Demonstranten, die gegen den Auftritt der regimefreundlichen Russin demonstrieren. Man kann deren Unmut verstehen, die Sängerin hat sich bisher höchst geschmeidig um eindeutige Distanzierung vom Ukraine-Krieg gedrückt.
Im Haus hört man sehr viel Russisch, ohne Zweifel hat Anna Netrebko in Berlin eine große Fangemeinde, auch unter Landsleuten. Auffällig der relativ hohe Altersdurchschnitt des Publikums, silbergrau ist die vorherrschende Haarfarbe, auch meint man den überwiegenden Teil des Publikums noch nie im Haus gesehen zu haben. Starauftritte haben immer ihr spezielles Publikum.
Anna Netrebko betritt die Bühne wie eine amtierende Regentin, schon der Auftrittsapplaus erreicht Orkanstärke, was sich den gesamten Abend nicht ändern wird. Schon nach den ersten gesungenen Tönen wird klar, die Künstlerin hat nichts von ihren stimmlichen Qualitäten verloren, bei einer Mittfünfzigerin nach langer Karriere keine Selbstverständlichkeit. Nach wie vor besticht sie mit ausladenden Phrasierungen, mühelosen Spitzentönen und einem kultivierten Piano.
Das Programm ist allerdings eine etwas willkürliche Zusammenstellung aus dem Repertoire der Sängerin. Da stehen Arien aus Cileas „Adriana Lecouvreur“, Rimsky-Korsakows „Schneeflöckchen“, Charpentiers „Louise“, neben Liedern von Tschaikowski, Richard Strauss und anderen.
Für zwei Duette von Delibes und Offenbachs unvermeidliche Barcarole, bittet Netrebko die junge italienische Mezzosopranistin Serena Malfi auf die Bühne. Den stärksten Eindruck hinterlässt die Arie der Louise, mit ihren Spitzentönen im Piano, da erlebt man hohe Gesangskultur. Gewagt die beiden Lieder von Strauss, das „Ständchen“ und die halsbrecherische „Cäcilie“, deren Schlusston als einziger des Abends misslingt.

Netrebko ist ein Bühnentier, es hält sie nicht neben dem Flügel, auf dem Pavel Nebolsin als sensibler Begleiter im Laufe des Abends auch zwei Soloauftritte zugestanden bekommt. Sie tänzelt über die gesamte Breite der Bühne und kommentiert mimisch die Texte. Bei einem Lied unterläuft ihr ein Fehler, sie unterbricht mit einer launigen Geste, geht zum Flügel, schaut in die Noten und beginnt von vorne.
Das hat Charme, vor allem Souveränität.
Das Haus zum Sieden bringt Netrebko aber endgültig mit den etwas bizarren Zugaben. Zusammen mit Serena Malfi singt und spielt sie die kurze Szene Susanna/Cherubin aus dem 2. Akt von Mozarts Figaro. Das hat Witz und Pepp, obwohl ich wetten könnte, dass das Publikum mehrheitlich keine Ahnung hatte, was es da hört.
Was dann folgt, ist ganz große Show. Franz Lehars „Meine Lippen, die küssen so heiß“ macht die Netrebko, bereits im dritten Kleid des Abends mit weit schwingendem Rock, zu einer Broadway-reifen Nummer. Sie tanzt, gurrt und girrt, und als sie spontan ihre Schuhe mit Schwung in die Ecke befördert, gerät das Publikum förmlich in Ekstase. Die ultimativ letzte Nummer, das kitschige „Vergissmeinicht“ mit Malfi gesungen, ist da nur noch ein Abklatsch.
Schon während des Konzerts beginnt man nachzudenken, was einem den ganzen Abend gefehlt hat. Erst auf dem Heimweg dämmert mir, dass ich zwar hervorragend und auf höchstem Niveau unterhalten wurde, dass ich eine blendend aussehende und singende Künstlerin erlebt habe, aber nichts wirklich ans Herz greifende dabei war.

Die Perfektion von Netrebkos Performance, die bestechende Professionalität ihres Auftretens lenken davon ab, dass ihren Interpretationen die emotionale Tiefe fehlt. So wunderbar ihr, wie von einem zarten Gazeschleier umflorter Sopran auch klingt, den Herzton trifft sie nicht. In der letzten Konsequenz wirkt alles auf Effekt kalkuliert, die Koketterie mit dem Publikum gelingt ihr besser, als intimere Saiten zum Klingen zu bringen.
Was soll’s, man hat bekommen, wofür man bezahlt hat.
Peter Sommeregger, 9. Dezember 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Classic Open Air Berlin, Anna Netrebko Berlin-Gendarmenmarkt, 22. Juli 2025
Giuseppe Verdi, Nabucco Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 2. Oktober 2024
Anna Netrebko, Sopran, Pavel Nebolsin, Klavier Wiener Staatsoper, 19. Oktober 2023
CD-Rezension: Anna Netrebkos CD „Amata dalle tenebre“, klassik-begeistert.de