Lieses Klassikwelt 37: Blockflöte

Lieses Klassikwelt 37: Blockflöte  klassik-begeistert.de

von Kirsten Liese
Foto: (c) pininterest

An diesem Freitag feiert die Blockflötenwelt den 90. Geburtstag von Hans-Martin Linde. Er war neben Frans Brüggen einer der größten Blockflötenvirtuosen seiner Zeit, unterrichtete an der renommierten Baseler Schola cantorum basiliensis  und schrieb zeitgenössische Werke, unter denen mir vor allem eines in Erinnerung blieb, das ich selber einmal gespielt habe: Music for a bird,  ein Stück, das tatsächlich tönt wie eine naturalistische Imitation eines Vogelgesangs.

Mit meinen Gedanken an Linde gehen für mich Erinnerungen an dieses Instrument einher, das ich zu Unrecht lange Zeit stiefmütterlich behandelte und über das ich bislang noch nicht einmal eine Zeile geschrieben habe. Nun wird es Zeit für eine Revision, dies auch in Erinnerung an die wunderbare Musikerin Jeanette Chemin-Petit, Tochter des Berliner Komponisten Hans Chemin-Petit, die zeitweise  meine Lehrerin war. Sie starb viel zu früh an Krebs.

Damals, in den 1980ern hielt sich noch das verbreitete, etwa auch von Theodor W. Adorno geteilte Vorurteil, dass die Blockflöte ein lapidares „Kinderinstrument“ sei, quasi nur eine Vorstufe für ein „richtiges“ Instrument.

Aber das war zu einer Zeit, wo Nikolaus Harnoncourt als Pionier der historischen Aufführungspraxis im damaligen West-Berlin noch hart für seine Überzeugungen kämpfen musste. Während in den Beneluxländern die Alte-Musik-Bewegung schon  fortgeschrittener war, gab man sich in Berlin noch rückständig. Für einen Workshop, der beschämend schlecht beworben wurde, stellte die Berliner Hochschule Harnoncourt nur ein bescheidenes Hinterzimmer zur Verfügung.

Der Flötist Hans-Martin Linde (c)

Aber mit dem gesteigerten Interesse an der Alten Musik und professionellen Barockorchestern, in denen Blockflöten ihren Platz haben, hat sich der Ruf des Instruments stetig verbessert.

Noch in den  1960er-, 70er- und frühen 80er-Jahren mussten Generationen von Kindern auf einer c-Flöte ein paar Grundgriffe lernen, um an Weihnachten im Kreise der Familie ein paar Liedchen zu spielen wie die Beimers in einer Fernsehfolge der  Lindenstraße in den frühen 1980er- Jahren. Oftmals tutete das ziemlich grässlich.

Paul Hindemith hatte schon 1959 klug bemerkt, dass sich zwar „das Anfangsstadium der Spielfertigkeit“ mit ebenso „bezaubernder wie trügerischer Leichtigkeit“ erlernen lässt, aber nur zur „Ausführung einfacher Stücke“. Den Weg des Fortschritts erschwere dagegen ein „unvorhergesehener, unverhältnismäßig steiler Anstieg“. Für einen guten Ton bedarf es schon einer versierten Zungentechnik.

Hinzu kam, dass damals sehr vielen Kindern schlechte, primitive Instrumente in deutscher Griffweise in die Hand gedrückt wurden, die keinen annähernd so schönen Klang hervorbrachten wie die historischen Nachbauten, auf denen professionelle Blockflötisten spielen.

Meine eigene musikalische Erziehung begann mit der Blockflöte, als ich sieben oder acht Jahre alt war, noch bevor das Klavier dazu kam. Ich brachte es sogar ziemlich weit und hatte auch lange Zeit Freude daran, bis ich meine große Liebe für das Cello entdeckte, mich zunehmend diesem Instrument und dem Klavier widmete und schließlich die Blockflöte ganz beiseite legte.

© Kirsten Liese

Was mich an der Flauto dolce, wie sie auch genannt wird, nicht befriedigte, war das eingeschränkte Repertoire. Es reduziert sich auf die Alte und Neue Musik. Aus der Klassik und Romantik gibt es Nichts, nichts von Mozart, Beethoven, Schubert, Brahms, Schumann, Bruckner, Strauss oder Mahler.

Gewiss, es muss nicht zwangsläufig immer Originalmusik sein, schon so manche pfiffige Arrangeure zeigten sich erfinderisch und haben bekannte Melodien, darunter auch Film- und Popmusik, für Blockflötenensembles bearbeitet. Meine Sache ist das nicht unbedingt. Aber wenn viele großen Spaß daran haben, warum nicht?

Die Blockflötenwelt ist eine ganz eigene Welt für sich. Sie ist im internationalen Musikleben weitgehend noch festgelegt auf Festivals der Alten Musik und spezielle Blockflötenevents, aber es gibt auch unglaublich viele kreative Köpfe und Individualisten, die stets neue spannende Ideen und Konzepte entwickeln. Die Blockflötenschule von Linde Höffer von Winterfeld, nach der ich noch lernte, ist längst passé.

Solche Entwicklungen zeigten sich besonders auch an Blockflötenorchestern, die vom höchsten Garkleinflötchen bis zum tiefsten Subbass sämtliche Instrumente der Familie in Chören umfassen. Eines der ersten gründete schon in meinen Jugendzeiten die im Januar verstorbene Pädagogin Ingrid Tietsch, eine Instanz der Berliner Blockflötenwelt, die sich bei der Arbeit mit ihrem Orchester Ganassi überwiegend noch auf Renaissancemusik festlegte.

Das Berliner Blockflötenorchester (BBO) und sein Schwesternensemble, das Blockflöten Orchester Berlin (BOB), beschreiten dagegen zunehmend kühnere Wege. In pfiffigen, gekonnten Arrangements spielen sie sich quer durch die Epochen, machen dabei auch vor Mozart, Beethoven, Rossini oder Verdi nicht halt.

Frans Brüggen, 1969, Foto: Eric Koch / Anefo (wikipedia.de)

Eine Sinfonie von Brahms, Bruckner oder Mahler kann ich mir allerdings nicht mit einem Blockflötenorchester vorstellen. Allein die große Formation des Blechs von Hörnern, Trompeten, Posaunen und Tuben beschert nun mal einen gänzlich anderen Klang.

Bachs viertes Brandenburgisches Konzert für zwei Blockflöten und Solovioline zählt nach wie vor für mich zu den schönsten und anspruchsvollsten Konzerten, die für Blockflöte geschrieben wurden.

Nachdem über einige Jahrzehnte die Dänin Michala Petri die einzige Virtuosin war, die als Blockflötenspielerin international Karriere machte, hat sich das Berufsbild unter wachsenden Anforderungen zunehmend geändert.

Wer heute höher hinaus will, beherrscht mindestens noch ein weiteres Instrument, sei es Traversflöte, Barockoboe oder Cembalo und empfiehlt sich zudem als Dirigent oder Ensembleleiter. Michael Schneider, Giovanni Antonini oder auch Dorothee Oberlinger stehen dafür beispielhaft.

Freilich gab es solche vielseitigen Künstler auch schon in früheren Zeiten. So kann unser heutiger Jubilar Hans-Martin Linde ebenfalls auf eine Karriere als Dirigent zurückblicken. Aus feierlichem Anlass höre ich mir heute seine Music for a bird  nochmal in jüngeren Aufnahmen an.

Kirsten Liese, 29. Mai 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

 

Lieses Klassikwelt 36: Eberhard und Lenchen,, klassik-begeistert.de

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Kirsten Liese

Die gebürtige Berlinerin Kirsten Liese (Jahrgang 1964) entdeckte ihre Liebe zur Oper im Alter von acht Jahren. In der damals noch geteilten Stadt war sie drei bis vier Mal pro Woche in der Deutschen Oper Berlin — die Da Ponte Opern Mozarts sowie die Musikdramen von Richard Strauss und Richard Wagner hatten es ihr besonders angetan. Weitere Lieblingskomponisten sind Bruckner, Beethoven, Brahms, Schubert und Verdi. Ihre Lieblingsopern wurden „Der Rosenkavalier“, „Die Meistersinger von Nürnberg“, „Tristan und Isolde“ und „Le nozze di Figaro“. Unvergessen ist zudem eine „Don Carlos“-Aufführung 1976 in Salzburg unter Herbert von Karajan mit Freni, Ghiaurov, Cossotto und Carreras. Später studierte sie Schulmusik und Germanistik und hospitierte in zahlreichen Radioredaktionen. Seit 1994 arbeitet sie freiberuflich als Opern-, Konzert- und Filmkritikerin für zahlreiche Hörfunk-Programme der ARD sowie Zeitungen und Zeitschriften wie „Das Orchester“, „Orpheus“, das „Ray Filmmagazin“ oder den Kölner Stadtanzeiger. Zahlreiche Berichte und auch Jurytätigkeiten führen Kirsten zunehmend ins Ausland (Osterfestspiele Salzburg, Salzburger Festspiele, Bayreuther Festspiele, Ravenna Festival, Luzern Festival, Riccardo Mutis Opernakademie in Ravenna, Mailänder Scala, Wiener Staatsoper). Als Journalistin konnte sie mit zahlreichen Sängergrößen und berühmten Dirigenten in teils sehr persönlichen, freundschaftlichen Gesprächen begegnen, darunter Dietrich Fischer-Dieskau, Elisabeth Schwarzkopf, Mirella Freni, Christa Ludwig, Catarina Ligendza, Sena Jurinac, Gundula Janowitz,  Edda Moser, Dame Gwyneth Jones, Christian Thielemann, Riccardo Muti, Piotr Beczala, Diana Damrau und Sonya Yoncheva. Kirstens Leuchttürme sind Wilhelm Furtwängler, Sergiu Celibidache, Riccardo Muti und Christian Thielemann. Kirsten ist seit 2018 Autorin für klassik-begeistert.de .

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