Monteverdi in Wien: Von der wirklich spannenden Geschichte bleibt nichts übrig

L’INCORONAZIONE DI POPPEA v. Claudio Monteverdi  PREMIERE WIENER STAATSOPER, 22. Mai 2021

Slávka Zámečníková und Ensemble. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

PREMIERE WIENER STAATSOPER, 22. Mai 2021
L’INCORONAZIONE DI POPPEA von Claudio Monteverdi

von Heinrich Schramm-Schiessl (onlinemerker.com)

Es war der 1. April 1963 als erstmals – wenn man dem Staatsopernarchiv vertraut – eine Oper von Claudio Monteverdi auf dem Spielplan des Hauses am Ring stand. Es war „L’incoronazione di Poppea“. Am Pult stand Herbert von Karajan, inszeniert hat Günther Rennert und Sena Jurinac sowie Gerhard Stolze waren Poppea und Nerone. Im Orchestergraben sass natürlich das Staatsopernorchester und man spielte das Werk in einer Fassung des Dirigenten und Musikwissenschaftler Erich Kraack. Die Produktion wurde ein Riesenerfolg, was man jederzeit auch auf einer CD nachhören kann.

Es gab bis zum 26.1.1970 insgesamt 20 Aufführungen dieser Produktion, danach verschwand nicht nur diese, sondern auch der Name Monteverdi vom Spielplan des Hauses. Dominique Meyer setzte ja in seiner „Frühwerkleiste“ nur auf Händel und Gluck und liess den Cremoneser Meister aussen vor, was ich an dieser Stelle mehrfach bedauerte.

Nun, heute würde es kein Operndirektor wagen, ein solches Werk in dieser Form aufzuführen, ein Shitstorm – um ein neudeutsches Wort zu verwenden – wäre die Folge. Dabei sollte man bei dieser Gelegenheit einmal festhalten, dass das, was heute als Originalklang gilt, letztlich auch nur auf wissenschaftlicher Basis fundierte Rekonstruktionen sind, da es aus dieser Zeit nur wenig originales Notenmaterial gibt, wobei die diesbezügliche Leistung der Wissenschaft sicher zu würdigen ist. Auch die Instrumente, die die zahlreichen Ensembles verwenden, sind – bis auf wenige Ausnahmen vielleicht – mit heutigen Mitteln erzeugte Rekonstruktionen. Ich erwähne dies deshalb, weil mich dieses fundamentalistische „nur mehr so“ schon lange stört und ich getraue mir durchaus zu behaupten, dass z.B. Monteverdi glücklich gewesen wäre, hätte er die heutigen Instrumentationsmöglichkeiten gekannt und Instrumente der heutigen Bauart zur Verfügung gehabt.

Die gegenständliche Produktion wurde auch nicht neu für Wien erarbeitet, sondern ist eine Coproduktion mit den Salzburger Festspielen, die dort 2018 Premiere hatte. Im Gegensatz zum sonstigen Einkaufsbummel des Direktors in der Inszenierungsboutique ist das vertretbar, denn die Kooperation zwischen Wien und Salzburg hat eine lange Tradition, die erst von Gérard Mortier mutwillig und ohne sachlichen Grund beendet wurde. Allerdings muss man auch dieser Inszenierung – wenn man so überhaupt dazu sagen kann – die Note ungenügend geben. Jan Lauwers, der auch für die Bühne verantwortlich zeichnet, hat natürlich auch nicht die Geschichte im Sinne des Librettos erzählt, sondern sich selbst irgend etwas einfallen lassen. Allerdings was das war, habe ich nicht erkannt. Dabei ist es mir völlig egal, was er in Interviews erzählt, denn ich möchte ohne „Gebrauchsanweisung“ sehen und verstehen was er meint.

Das beginnt diesmal schon bei der Bühne, die praktisch leer ist. Der Boden ist bedeckt mit einer Collage aus Gemälden von menschlichen Leibern, in dessen Zentrum sich ein rundes Podium befindet, auf dem sich den ganzen Abend über Ballettänzer/innen permanent um die eigene Achse drehen. Die Bedeutung dieser Aktion hat sich mir nicht erschlossen. Gelegentlich wird dann noch ein Luster heruntergelassen oder ein undefinierbares Versatzstück auf die Bühne gebracht. Hauptelement sind Balletttänzer und -tänzerinnen, die fast den ganzen Abend auf der Bühne herumrennen und Freiübungen machen, was mit der Zeit einigermaßen nervt. Die Sänger sind praktisch nicht geführt. Sie treten auf, absolvieren ihre jeweilige Nummer und treten wieder ab. Von dieser an sich wirklich spannenden Geschichte ist gar nichts übrig geblieben. Die Choreographie (?) war ebenfalls vom Regisseur sowie Paul Blackman, die zum Teil nicht unhübschen Kostüme von Lemm & Barkey.

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Kate Lindsey. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Kommen wir nun zum musikalischen Teil des Abends. Die Titelrolle sang Slávka Zámečníková, ein Neuengagement, und sie fiel primär durch eine relativ harte und scharfe Stimme auf. Sie differenzierte wenig und blieb auch als Figur blass, wobei das natürlich auch auf das Konto des Regisseurs geht. Kate Lindsey sang den Nerone mit ihrem an sich fülligen Mezzo, allerdings waren auch bei ihr einige Schärfen feststellbar. Darstellerisch versuchte sie einiges in Eigeninitiative. Der Counter Xavier Sabata (Ottone) machte auf mich einen durchaus positiven Eindruck, wobei ich zugeben muss, dass ich mit dieser Stimmart einfach ein Problem habe.

Die sängerisch beste Leistung bot für mich Willard White als Seneca. Mit seinem profunden und schön klingenden Baß machte er seine beiden Szenen zum Höhepunkt des Abends. Christina Bock (Ottavia) verfügt leider über keine allzu interessante Stimme, die zudem auch einige Schärfen aufweist, sodass ihr Solo „Addio Roma“ viel an Wirkung verlor. Vera Lotte Boecker zeigte als Drusilla Bühnenpräsenz und sang zufriedenstellend. Daniel Jenz und Thomas Ebenstein sangen die beiden Frauenrollen Nutrice und Arnalta sehr markant und wirkten auch darstellerisch lebendig. Isabelle Signoret liess als Valletto einen interessanten Mezzo hören. Den übrigen Mitwirkenden kann man pauschale Anerkennung zollen.

Pablo Heras-Casado dirigierte den Concentus Musicus, der damit erstmals in der Staatsoper auftrat, sehr präzise und hatte durchaus dramatischen Zugriff. Allerdings war der Klang über weite Strecken auch sehr hart.

Unmittelbar nach Ende der Aufführung gab es ein paar heftige Buhrufe, die sich in weiterer Folge jedoch verflüchtigten und im allgemeinen – hinsichtlich der Inszenierung jedoch unverständlichen – Jubel untergingen.

Heinrich Schramm-Schiessl, 22. Mai 2021

Giacomo Puccini, Tosca Wiener Staatsoper, 21. Mai 2021

Ein Gedanke zu „L’INCORONAZIONE DI POPPEA v. Claudio Monteverdi
PREMIERE WIENER STAATSOPER, 22. Mai 2021“

  1. Die Funktion der Ballettänzer und-tänzerinnen, „die fast den ganzen Abend auf der Bühne herumrennen“, erschließt sich eher, wenn man sie mit der Funktion des Chors in der antiken griechischen Tragödie vergleicht: Das Geschehen auf der Bühne wird erläutert, erklärt, gespiegelt.

    Jelka Schilt

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