Europakonzert der Berliner Philharmoniker: Daniel Harding dreht als Einspringer für Daniel Barenboim ordentlich auf

Lisa Batiashvili, Violine; Daniel Harding, musikalische Leitung; Berliner Philharmoniker  Philharmonie Berlin, 26. April 2024

Daniel Harding © Stephan Rabold

Philharmonie Berlin, 26. April 2024

Franz Schubert: Ouvertüre zu dem Melodram „Die Zauberharfe“ D 644
Johannes Brahms: Konzert für Violine und Orchester op. 77
Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 5 op. 67

Lisa Batiashvili, Violine
Daniel Harding, musikalische Leitung
Berliner Philharmoniker

von Kirsten Liese

Ursprünglich war Daniel Barenboim für dieses Konzert angekündigt. Aber krankheitsbedingt sagte er ab, was angesichts seiner schon vor längerer Zeit diagnostizierten neurologischen Erkrankung, der zufolge er vor einem Jahr sein Amt als Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper aufgab, nicht allzu sehr überrascht. Aber dass es nun ausgerechnet die Konzertserie der Berliner Philharmoniker trifft, die am 1. Mai mit dem traditionellen, in diesem Jahre in Georgien stattfindenden Europakonzert  des Orchesters endet, nachdem Barenboim in den vergangenen Monaten doch wieder einige Konzerte geben konnte, ist natürlich besonders schade.

Zumal es sich kurzfristig schwierig gestaltet, einen adäquaten Einspringer zu finden, noch dazu, wo sich die erste Garde gerade in Wien versammelt hat. Kirill Petrenko, Chef des Orchesters, sagte dort selbst gerade krankheitsbedingt Auftritte ab,  Christian Thielemann, der für ihn einsprang und freilich für ein Programm mit Beethoven und Brahms die ideale Wahl gewesen wäre, dirigiert in Wien aktuell den Lohengrin.  Andere, den Berliner Philharmonikern langjährig verbundene Altmeister wie Herbert Blomstedt oder Zubin Mehta kämpfen wie Barenboim um ihre Gesundheit mit wiederholten Absagen. Und Teodor Currentzis, der vielleicht Zeit gehabt hätte, war vermutlich aus politischen Gründen nicht erwünscht. Was also nun?

Mit Daniel Harding, im besten Alter von 48 Jahren zunehmend gefragter und reifer in seinen Interpretationen, hatte man sicherlich unter den verfügbaren Kandidaten einen der besten gewinnen können. Von seiner kontrollierten Haltung auf dem Podium her und seinem packenden Zugriff auf die Werke jenseits von Routine machte er eine gute Figur, auch wenn mich sein Beethoven, dessen Fünfte hier auf dem Programm stand, nicht restlos überzeugte.

Daniel Harding © Julian Hargreaves

Der Anfang mit den ersten Takten des Allegro con brio, das berühmte tatata taa, gelingt ihm fulminant, präzise und mit dramatischem Furor, und so dirigiert der Brite diesen Satz auch weiter. Allerdings stellt sich schon bald der Eindruck einer überwiegend lauten und schnellen Wiedergabe ein. Harding lässt es jedenfalls ordentlich krachen. Gewiss, in dieser Sinfonie gibt es viele dramatische Steigerungen, und auch das majestätische Thema im Andante con moto verträgt in all seiner Pracht ein gesundes Forte. Aber da, wo es geheimnisvoll wird, insbesondere in dem mystischen Übergang vom dritten zum letzten Satz mit dem leisen Grummeln in den Streichern, wenn sich die Musik anfängt, den Weg aus dem Dunklen ins strahlende C-Dur-Licht zu bahnen, da hätte es stärker knistern dürfen. Das Finale tönte mir zudem zu schnell. So brillant die Philharmoniker sich auch darauf verstehen, im Affenzahn rasante Kaskaden perfekt zu meistern, aber beim schnellen Geratter geht beim Hören doch Einiges vom klanglichen Reichtum unter.

Immerhin sorgten Albrecht Mayer und Emmanuel Pahud mit ihren zärtlich erkundeten Oboen- und Flöten-Soli dafür, dass die lyrischen Töne nicht ausblieben. Ihnen gebührte für diese Wiedergabe verdient der größte Beifall.

Einen sehr ähnlichen Eindruck hinterließ die Ouvertüre zu Franz Schuberts Melodram Die Zauberharfe, laut und flott, durchsetzt von feinnervigen, zärtlichen Holzbläser-Dreingaben.

Das ist nun, selbstkritisch gesagt, eine strenge Kritik. Ich muss eingestehen, dass andere Dirigenten und Dirigentinnen, die aktuell stark gehypt werden, zu denen ich Klaus Mäkelä, Joana Mallwitz oder auch Oksana Lyniv zähle, meine Ansprüche vermutlich ebenso wenig eingelöst hätten, vor allem was die Tempi anlangt. Die Ruhe für moderatere Tempi haben meist doch eher die Altmeister. An feinsten Pianissimo-Stellschrauben drehen ebenfalls nur wenige, vermutlich ist das auch ein Trend unserer Zeit.

Am besten hat mir an diesem Abend Brahms’ Violinkonzert gefallen, dies nicht nur dank der hingebungsvollen Interpretation von Lisa Batiashvili , sondern auch seitens des Dirigenten, der hier etwas subtiler dynamisierte, dies vor allem im Adagio, in dem die leisen Töne an diesem Abend den größten Raum einnahmen.

Lisa Batiashvili © Stefan Hoederath

Batiashvili  stellte ihre technische Perfektion ganz in den Dienst der Musik, die sie inniglich mit allen Facetten durchlebte, im Virtuosen wie im Lyrischen. Und mit einer wunderbaren farbenreichen Tongebung, die dem Ohr aufs Wunderbarste schmeichelt. Der Klang der Geige spiegle die Seele wider, sagt die Georgierin, und das löst sie auch ein. Über die gebotene Kraft, die vor allem der erste und letzte Satz mit all ihren virtuosen Kaskaden und Doppelgriffen fordern, verfügt sie freilich auch. Dass dieses Konzert zu Lebzeiten des Komponisten einmal als unspielbar eingestuft wurde, lässt sich bei all dieser Könnerschaft kaum mehr vorstellen. Mühelos schwebt die 45-Jährige über alle Klippen hinweg, traumwandlerisch sicher huschen ihre Finger über das Griffbrett. Nur die Kadenz von Busoni im Allegro non troppo zu dezenten leisen Paukenwirbeln überzeugt mich nicht, die tönt wie ein Fremdkörper, nach Busoni eben, und so gar nicht nach Brahms. Aber das fiel nicht weiter ins Gewicht bei dieser sonst so berührenden Wiedergabe, auf die die Solistin noch eine Zugabe folgen ließ, die berührend in intime, leise Regionen führte, vermutlich ein Satz aus einer Bach-Partita.

Ein insgesamt durchwachsener, überwiegend solider Abend also, dem ich noch eine Schlussbemerkung folgen lassen möchte: Ich würde mir doch wünschen – und das betrifft nicht nur die Berliner Philharmoniker, sondern letztlich alle Veranstalter mit einer ähnlichen Geschäftspolitik – dass das Publikum bei einer Besetzungsänderung, ganz gleich ob Dirigent oder Sänger – die Karten zurückgeben darf. Der Kauf einer Karte hängt doch entscheidend von den Interpreten ab. Wer eine Karte für Barenboim erwirbt, will nicht unweigerlich Daniel Harding hören und vice versa. Die Karten sind ja auch nicht gerade billig. Allenfalls Wohlhabende können es sich ansonsten leisten, eine Karte einfach mal verfallen zu lassen.

Logistisch ist eine Rückgaberegelung zum Beispiel über einen Gutschein, wie es manche Bühnen regeln, auch durchaus machbar. Und bei alledem hätten Konzertgänger, die den Einspringer gerne hören wollen, bei ausverkauften Konzerten die Möglichkeit, eine wieder freigewordene Karte zu erwerben. Es wäre mithin eine Win-win-Situation für alle.

Kirsten Liese, 27. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Mandelring Quartett, Haydn, Schickedanz, Brahms 25. April 2024, Philharmonie Berlin

Stanisław Moniuszkos, Das Gespensterschloss Philharmonie Berlin, 22. April 2024

Gautier Capuçon, Violoncello, Wiener Symphoniker, Petr Popelka, musikalische Leitung Philharmonie Berlin, 17. April 2024

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert