Lohengrin (Klaus Florian Vogt) in der Bayerischen Staatsoper, Foto: © Wilfried Hösl
Lohengrin, Richard Wagner
Bayerische Staatsoper, München, 3. Dezember 2022, Premiere
von Jürgen Pathy
Verkehrte Welt in München. Bei Regisseur Kornél Mundruczó tauschen Gut und Böse die Seiten. Elsa, die reine Jungfrau, die das Frageverbot bricht, sticht als schwarzes Schaf aus der Masse. Ortrud, die vermeintlich böse Hexe, nimmt beim gebürtigen Ungarn fast schon liebevolle Charakterzüge an. Das Konzept stammt nicht von ungefähr. Mundruczó, der bereits als Teenager mit Wagner in Berührung kam, zeigt durchaus Sympathie für Ortrud: „Ich verstehe Ortrud als eine rational denkende Frau und kann ihren Standpunkt durchaus nachvollziehen.“ Das Münchner Publikum reagiert gespalten.
Lohengrin: Romantisches Weltbild einmal anders
Der „Lohengrin“ ist Wagners romantischste Oper. 1850 uraufgeführt, nimmt Wagner damit Abschied von der Spieloper. Formal ist dieses Märchen Wagners erstes wirklich durchkomponiertes Werk. Musikalisch sind alle drei Akte derart miteinander verwoben, dass sich fast alles wie von selbst ergibt. Das Sujet ist recht schnell erklärt: Ein Held, der seinen Namen nicht nennen darf, trifft auf ein Volk, das sich nach Erlösung sehnt. Dabei spielen zwei Frauen eine wichtige Rolle, die in ein typisch patriarchalisches Weltbild der Romantik passen. Die eine das naive Blondchen, die andere eine durchtriebene Intrigantin, die Männer nur zugunsten ihrer eigenen Machtgelüste manipuliert.
Mundruczó würfelt das allerdings ein wenig durcheinander. Dass Ortrud nur eine eindimensionale Hexe sei, will er so nicht gelten lassen. Sie vertrete einfach nur einen alten Glauben, der über Generationen Bestand hatte. Den wolle sie nicht von heute auf morgen über Bord werfen. Schon gar nicht für einen unbekannten Erlöser. Dafür zeigt Mundruczó Verständnis. Ebenso lässt er Elsa nicht als verklärte Unschuld vom Land davon kommen. Die verliert sich bei dieser Münchner Neuproduktion lieber im Drogenrausch, anstatt ihrer ehelichen Pflichten nachzukommen.
Idealbesetzung unter diesen Bedingungen
Besetzt hat man in diesem Umfeld ideal. Anja Kampe liefert als Ortrud eine Weltklasseleistung. Eine Seherin, die bewusst nicht als dunkler Mezzo in Erscheinung tritt, sondern mit der gefragten Wagnerinterpretin als dramatischer Sopran. Das verleiht dieser sonst so boshaften Partie eine gewisse Wärme, an einigen Stellen fast schon eine gewisse Güte. Noch dazu, weil Kampe bei der Umsetzung alle Register ihrer interpretatorischen Fähigkeiten zieht.
Eine vordergründig derart einfühlsame, aber im tiefsten Inneren dennoch hinterlistige Intrigantin, hat man selten noch erlebt. Vokal schmeichelt sie einem derart, dass man ihr mit bestem Gewissen den Rücken zudrehen würde, nur um im nächsten Moment zu realisieren, dass sie einem schamlos den Dolch hineinrammt. Eine fesselnde Darstellung. Einzig im tiefen Register trübt sich der Gesamteindruck, der sonst nur auf ein Adjektiv hinauslaufen kann: sensationell!
Ihr als Gegenpart setzt Mundruczó eine stimmlich durchaus dunkel-timbrierte Elsa vor die Nase, um deren nicht ganz so reine Seele zu untermauern. Mit der Südafrikanerin Johanni van Oostrum trifft er dabei voll ins Schwarze. Bei ihr glüht nicht nur der Joint in dunkelroter Farbe, den sie sich gelegentlich gönnt, auch in der Stimme brodelt es da hin und wieder ganz gewaltig. Nur die Neugierde kommt dieser Elsa teuer stehen. Dafür büßt das Volk mit dem Weltuntergang.
Die Diskrepanz zwischen Regiekonzept und Partitur
Als Regiekonzept ist das Ganze durchaus nachvollziehbar. Das einzige Problem dabei: Musikalisch wirft man damit das klassische Drama über den Haufen. Erster und dritter Akt in „blau-silberner “ Färbung, wie Thomas Mann die Gralswelt und den Lohengrin beschrieb. Dazwischen der zweite, der Ortrud-Telramund-Akt, der mit seinem finsteren fis-Moll durchaus als dunkelrot bezeichnet werden kann. Musikdramaturgisch derart aufgebaut, ruht also die ganze Finsternis und die Derbheit auf den Schultern dieses Mittelakts. Bei dieser Regie funktioniert das aber nicht.
Diesbezüglich könnte man durchaus meinen, François-Xavier Roth habe sich da bewusst in oberflächlicher Schönheit verloren. Nur um das Konzept der Regie deutlich zu unterstreichen. Damit würde er gewiss eine interessante Türe öffnen.
Die Vorzeichen lassen aber anderes erahnen: Bereits im Vorspiel deutet vieles auf mangelnde Homogenität zwischen Orchestergraben und Pult hin. Der Chor wirkt über weite Strecken ebenso indisponiert. Zum Glück tauen das Bayerische Staatsorchester und Roth im dritten Akt dann ordentlich auf und winden das bislang versteckt gebliebene Narkotikum aus Wagners einzigartiger Partitur heraus. Einen derart berauschend zugespitzten Schlussakt erlebt man auch nicht alle Tage. Das ermöglicht dem Erlöser auch noch einen fulminanten Abschluss.
Der Münchner Lohengrin benötigt keinen Kahn
Den zieht an der Bayerischen Staatsoper kein Schwan ans Land. Der Lohengrin entspringt bei Mundruczó aus den eigenen Reihen, aus der Mitte des Volks, das in einer Art Kommune auf einer Insel lebt. Denn, so der Ungar, der als Regisseur bislang noch eher ein unbeschriebenes Blatt ist – der Erlöser komme niemals von außen, sondern sei immer eine Ausgeburt der eigenen Imagination.
In München ist der mit Klaus Florian Vogt natürlich exquisit besetzt. Als Dauergast von Bayreuth bis nach Wien gefeiert, tritt der hier eher als kühler Sektenführer in die Mitte, der seine burschikose Stimme aber tadellos wie eh und je bis zum bitteren Untergang führt.
Jubel gibt es am Ende nur begrenzt. Neben vereinzelten Missfallenskundgebungen, die aber nur das Regieteam treffen, dann am lautesten vor allem für Mika Kares. Der setzt als König, genauso wie Andrè Schuen als Heerrufer, ein ordentliches Ausrufezeichen hinter seinen Namen!
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 4. Dezember 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Lohengrin, Musik und Libretto von Richard Wagner Bayerische Staatsoper, 3. Dezember 2022 PREMIERE
Richard Wagner, Lohengrin Theater Lübeck, 4. September 2022 PREMIERE
Richard Wagner, Lohengrin Festspielhaus Bayreuth, Bayreuther Festspiele, 22. August 2022