Macbeth mäandert zwischen Machtgier und Hexenwahn

Giuseppe Verdi, Macbeth   Deutsche Oper Berlin, 23. November 2024, Premiere

Macbeth/Burdenko, Moore © Eike Walkenhorst

In Zeiten wie den unseren zeigt sich zwanglos, wie zeitlos Oper ist. Weil sie die ganz großen Themen behandelt. Die Themen, die uns heute – leider wieder verstärkt – bewegen. Für fast alle Verdi-Opern lässt sich das so sagen, und ganz sicher für den Macbeth.

PREMIERE

Giuseppe Verdi, Macbeth

Libretto von Francesco Maria Piave und Andrea Maffei nach William Shakespeare

Pariser Fassung von 1865

Orchester der Deutschen Oper Berlin unter der Leitung von Enrique Mazzola
Chor der Deutschen Oper Berlin, Einstudierung: Jeremy Bines

Regie und Video: Marie-Ève Signeyrole
Bühne: Fabien Teigné
Kostüme: Yashi

Macbeth  Roman Burdenko
Lady Macbeth  Felicia Moore
Banquo  Marko Mimica
Kammerfrau der Lady  Nina Solodovnikova
Macduff  Attilio Glaser
Malcolm  Thomas Cilluffo

 Deutsche Oper Berlin, 23. November 2024, Premiere


von
Sandra Grohmann

Dietmar Schwarz bemerkt bei der Premierenfeier, sicher nicht zum ersten Mal, dass Buh-Rufe mittlerweile als Qualitätsmerkmal gelten können. Wenn das so ist, dann muss es nachdenklich stimmen, dass mein Sitznachbar und ich weder diese Buhrufe nachvollziehen können noch besonders begeistert sind von der neuen Inszenierung des Macbeth an der Deutschen Oper Berlin. Macht aber nichts, denn die musikalische Qualität ist vorzüglich.

Hexen sind bekanntlich Wesen, die nicht nur direkt ins Geschehen eingreifen, indem sie beispielsweise einen Sturm heraufbeschwören, der zu allerlei menschlichem Leid und Unglück führt. Sondern sie manipulieren auch sehr gern Menschen, damit diese sich selbst ins Unglück stürzen. Zum Beispiel indem sie morden, Kriege anzetteln und Macht um der Macht willen wollen. Jedenfalls ging schon Shakespeare in seinem Macbeth von einer solchen Veranlagung der Hexen aus, und der Gegenbeweis ist seither nicht geführt worden.

Da scheint es nur folgerichtig, dass Regisseurin Marie-Ève Signeyrole mit solchem Hexenwesen alle jene Manipulationen assoziiert, denen wir uns in unterschiedlichen Formen durch Nutzung verschiedener Internet-Dienste aussetzen. Die Manipulierbarkeit von Menschen ist eben ein hochaktuelles Thema und passt ausgesprochen gut zum Stoff des Macbeth. Leider wird diese Idee von der Inszenierung in jeder Hinsicht vergeben.

Macbeth/Burdenko © Eike Walkenhorst

Weder überzeugt die Erfindung einer Oberhexe, die jeweils vor dem ersten und dritten Akt per übergroßem Video einen zusätzlichen Text einspricht (den man inhaltlich doof oder gut finden kann, das ist nicht mein Thema), noch vermag Signeyrole es, durch den mit weißen Blusen und schwarzen großkrempigen Hüten leidlich hexenhaft ausstaffierten Damenchor der Deutschen Oper Berlin augenfällig zu machen, dass die alten oder neuen Schotten (oder überhaupt wir alle) durch eine Art KI gesteuert werden. Es wird nicht dadurch besser, dass die Regie einige Programmiercodes auf die reichlich eingesetzten Leinwände werfen lässt – Codes, in denen rot gefärbte Schlagwörter wie „macbeth“ auftauchen: All dies übersetzt die an sich gute Idee nicht in eine Bühnensprache, die innerhalb des Stückes funktioniert, indem sie aus dem Geschehen heraus verständlich wird.

Die Interpretation des Hexenmotivs wirkt damit aufgesetzt, obwohl sie für sich beanspruchen kann, aus dem Libretto entwickelt zu sein. Aus dem Libretto, wohlgemerkt – aus der Musik weniger, denn die sieht für die Hexen allzeit Bewegung vor, und ein Chor, der überwiegend hinter langen Tischen sitzt oder in Reih und Glied steht, wird nicht dadurch bewegt, dass er mit den Armen fuchtelt. Selbst dann nicht, wenn die Armbewegungen einer Art wenn auch sehr steifer Choreographie folgen. Es wirkt zudem eher drollig, wenn die Damen mit Touchscreen-Stiften auf ihren Geräten herumkritzeln – wiederum per Video in die Großübertragung projiziert. Was für Gestaltungsmöglichkeiten sind hier liegengeblieben! Wie hätte etwa ein Hexen-Programmier-Heer mit sich über die Bühne ziehenden Codes die Verstrickungen augenfällig machen können! Wer nach den Ankündigungen der Regie solcherlei Bilder erwartet hat, wird hier enttäuscht.

Andere Motive sind bildmächtiger, wennschon nicht sonderlich originell ausgedeutet. Der Einsatz von Hirschen in unterschiedlichen Formaten sowie von ziemlich viel Theaterblut hat etwas Klassisches – um nicht zu sagen Altbackenes –, funktioniert aber, wie klassische Elemente eben funktionieren. Auch der unerfüllte Kinderwunsch der Macbethens wird auf der Bühne überdeutlich, und zwar ohne dass Erklärtexte vonnöten sind. Strampelanzüge neben einer leeren Wiege in einen Mülllbeutel zu stopfen oder die Vorgänge darzustellen, die für eine künstliche Befruchtung erforderlich sind, ist zwar nicht sonderlich subtil, aber sozusagen handwerklich in Ordnung. Das funktioniert innerhalb des Stücks.

Alles in allem gibt es von mir, als der Vorhang fällt, für diese Inszenierung weder Beifall noch Buhs. Sie hat mich, kurz gesagt, nicht sonderlich gestört.

Macbeth/Moore, Glaser © Eike Walkenhorst

Herzlichen Applaus hingegen spende ich wie das ganze Publikum Sängern und Orchester, die allgemein überzeugt haben. Allen voran Roman Burdenko, dessen warmer Bariton vor allem das Hin- und Hergerissensein der Hauptfigur glaubhaft macht – das Militärische, das Brutale, das Machtgierige kann er darstellerisch verkörpern, es findet sich in seiner Stimme aber weniger wieder. Deren Schönheit und Strahlkraft lassen sich vor allem einfach genießen.

Bei der kurzfristig eingesprungenen Felicia Moore als Lady Macbeth verhält es sich anders herum: Schauspielerisch, wie mein Gesprächspartner bei der Premierenfeier es bezeichnete, eher ein Hausmütterlein, schreckt sie nicht davor zurück, ihrem makellos geführten Sopran während der ersten drei Akte metallische Schärfe zu verleihen. Die Dolchklingen, die die Lady ihrem Mann in die Hand drückt, blitzen quasi aus dem Gesang hervor. Dass Felicia Moore auch anders kann, wird während der Wahsinnsszene deutlich hörbar. Da weht uns eine fast kindlich reine Stimme an, ganz weich und trotzdem immer noch bis in die Spitzentöne und ins Pianissimo tragend, zugleich klanglich mit dem Orchester verschmelzend: der Höhepunkt des Abends.

Immer wieder gern höre ich auch Attilio Glaser an seinem Stammhaus. Ich bin ja eher mäkelig, was Tenöre angeht, aber diese warme und das Opernhaus mühelos füllende Stimme mag ich sehr. Auch als Macduff enttäuscht Glaser nicht – schade, dass die Rolle verhältnismäßig klein ist (was daran liegt, dass Verdi die Oper extra für einen Bariton geschrieben hat). In anderen Produktionen ist Attilio Glaser an diesem und anderen Häusern jedoch in dieser Saison in diversen Hauptrollen zu erleben. Auch optisch übrigens nicht zu verachten, das nur am Rande.

Macbeth/Burdenko, Mimica © Eike Walkenhorst

Schließlich ist einer der bedauerlichsten Augenblicke des Abends der Mord an Banquo. Von der Story her natürlich sowieso, aber dass wir danach von Marko Mimica keine Arie mehr zu hören bekommen werden, verleiht diesem Moment zusätzlichen Schmerz. Welch ein Bass! Hach! Zum Dahinschmelzen.

Was den zauberhaften Chor der Deutschen Oper Berlin angeht, schienen mir die Hexen-Damen übrigens mehrmals ein wenig mit den Einsätzen zu stolpern. Vielleicht habe ich mich verhört. Vielleicht war auch irgendwas mit der Übertragung vom Dirigentenpult in die Dunkelheit der hinteren Bühne verhext. Man soll mit diesen technischen Dingen vorsichtig sein, habe ich im Programmheft gelesen…

Um noch einmal auf die Buhs and Don’ts zurückzukommen: Mein Sitznachbar sprach nach dem Ende der Vorstellung den Herrn hinter mir darauf an, dass dieser die Inszenierung ausgebuht hatte. Die wirkliche Zumutung jedoch, so sprach er, sei mein Hintermann selbst gewesen mit seinem Gehuste. Ich konnte dem nur beipflichten. Dreimal habe ich ungefiltertes Husten direkt in den Nacken bekommen. Zum Glück hatte ich eine Gesichtsmaske dabei und schließe für heute mit der Empfehlung, eine solche beim nächsten Opernbesuch vorsorglich einzupacken. Wer weiß, auf was für Ideen die Hexen heutzutage noch so kommen.

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