Trifonov/Harding, Grafenegg 2023 © HH
Grafenegg, Wolkenturm (+ Auditorium nach der Pause), 25. August 2023
Daniil Trifonov, Klavier
Mahler Chamber Orchestra
Dirigent: Daniel Harding
George Benjamin: Concerto for Orchestra
Robert Schumann: Konzert für Klavier und Orchester in a-moll op. 54
Johannes Brahms: Symphonie Nr. 3 in F-Dur op. 90
von Herbert Hiess
Es ist fast bestürzend, wenn einem die Archive gnadenlos vorführen, wie die Jahre verstreichen. Es ist etwas über elf Jahre her, da trat in einem Konzert des Hausorchesters Tonkünstler unter dem großartigen Vladimir Fedossejew ein junger Mann mit dem Namen Daniel Trifonov ans Klavier und führte bei Rachmaninows „Paganini-Variationen“ vor, dass Pianist nicht gleich Pianist ist.
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Und so nebenbei verwünschte man sich dafür, dass man nicht damals ins Vorprogramm in den Schlosshof gegangen ist, wo Trifonov Chopin-Etüden zelebrierte.
Nach den elf Jahren ist aus Daniel nicht nur Daniil geworden; mittlerweile hat der 32-jährige stets bescheiden wirkende Pianist seinen Wohnsitz in die USA verlegt und ist auch mittlerweile der weltbeste Klavierspieler, den man sich nur vorstellen kann.
Hier ist nicht nur die Technik ausschlaggebend, über die verfügen andere in diesem Level konzertierende Personen auch; was ihn so besonders macht, ist die unheimliche Musikalität, der Willen um die Gestaltung und ein Anschlag, den auch andere vor ihm äußerst selten hatten. Man kann ihn schon fast auf eine Stufe mit dem genialen Vladimir Horowitz und Alfred Brendel stellen.
An diesem Abend stand das Konzert unter dem Zeichen von Robert Schumanns Klavierkonzert. Das Werk ist in vieler Hinsicht schon „abgedroschen“; fast jeder Konzertpianist versucht sich an Schumanns romantischer Erzählung.
Trifonov und das exzellente Orchester machen aus diesem Werk ein Ereignis. Nach dem markanten a-moll Akkord und der kurzen Orchestereinleitung (großartig die Holzbläser des Orchesters) übernahm Trifonov eindeutig die Führung und diktierte somit Gottseidank das Tempo des Konzertes. Die Grundstimmung über alle drei Sätze war stets sehr verhalten, sehr dezent und mit einem mehr als berührenden Anschlag streichelte der Pianist direkt die Noten aus der Tastatur. Dirigent Daniel (!) Harding und das exzellente Mahler Chamber Orchestra waren hier weit mehr als Begleitung. Ein absoluter Höhepunkt war das „Andante Espressivo“ im ersten Satz. Die im 6/4-Takt gehaltene Passage in As-Dur war an diesem Abend so gestaltet, dass man glaubte, die Welt steht still. Und so wunderbar dazu das Klarinetten-Solo.
Das Intermezzo (zweiter Satz) war in dem Sinn kein „Intermezzo“, sondern einer der nächsten Höhepunkte. Unglaublich, wie Trifonov gemeinsam mit den Celli hier Romantik pur servierte.
Und während des Finalsatzes fing es schon zu blitzen und zu donnern an; trotzdem ließen sich Pianist und Dirigent samt Orchester nicht beirren und führten das Finale zu einem gerechtfertigten Triumph.
Obwohl sich das Publikum wegen beginnenden Regens schon auf den Weg machte und das Geräusch des Geraschels der Regen-Pelerinen sich in den Applaus mengte, setzte sich Trifonov zur Zugabe ans Klavier und spielte von Bach/Busoni „Jesus bleibet meine Freude“; er begann mit dem zartesten Pianissimo, das man sich denken kann und sofort war es im Publikum totenstill.
Trifonov ist aktuell der weltbeste Pianist mit dem größten natürlichen Charisma. Er bewies an diesem Abend wieder, dass er total konkurrenzlos ist.
Vor der Pause spielte das Orchester das ihm gewidmete „Concerto für Orchester“ des britischen Komponisten George Benjamin; ein etwas plakatives symphonisches Werk. Zwar perfekt und professionell instrumentiert, ist die musikalische Aussagekraft trotzdem nicht wirklich gegeben.
Das Mahler Chamber Orchestra wurde 1997 von Claudio Abbado gegründet; besetzt wurde das Orchester mit ehemaligen Mitgliedern des Gustav Mahler Jugendorchesters.
Nun dirigierte Daniel Harding dieses Konzert mit diesem Orchester; der Dirigent war einmal Assistent von Claudio Abbado, was sich durch die Körpersprache Hardings niemals verleugnen ließe. Fast jede Bewegung erinnert an den italienischen Maestro.
Der Brite ist nebenbei sogar Berufspilot (angeblich sogar für Air France) und kann getrost als Spitzenmann gelten – auch wenn seine künstlerische Aussagekraft gegenüber einem Trifonov nicht so anrührig wirkt.
Die dritte Symphonie von Brahms ist gegenüber seinen ersten beiden schon mehr als fortschrittlich; jeder Satz endet im Pianissimo, der vierte Satz ist fast mehr eine Tondichtung als ein klassisches Werk; nach dem Fortissimo in der Durchführung kommt eine direkt elegische Coda (Streicher mit Dämpfer), die letztlich sogar mit dem Hauptmotiv vom ersten Satz endet.
Harding und das Mahler Chamber Orchestra setzten mit dieser Symphonie dank des Wettersturzes im Auditorium fort und machten eine erfreuliche Wiedergabe dieses romantischen Werkes. Großartig in allen Instrumentengruppen (vor allem Klarinette und Oboe) gespielt – manche Stellen hätte man sich vielleicht noch elegischer, noch schwermütiger gewünscht.
Dieser Konzertabend war bis jetzt neben Paavo Järvi und dem Estnischen Festival Orchestra der absolute Höhepunkt; das wird in dieser Saison kaum mehr zu übertreffen sein.
Herbert Hiess, 28. August 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at