Birgit Nilsson, Mirella Freni, Edita Gruberova, Plácido Domingo, Luciano Pavarotti: Der Hamburger Mediziner Dr. Ralf Wegner hat die großen Weltstars der Opernwelt seit Ende der 1960er-Jahre alle live erleben dürfen: vor allem in der Staatsoper Hamburg, die in den 1970er-Jahren noch zu den weltbesten Opernhäusern zählte und sich heute um Anschluss an die deutsche und europäische Spitze bemüht. Begeben Sie sich in ein wunderbares Stück Operngeschichte und reisen Sie mit in eine Zeit, die scheinbar vergangen ist.
von Ralf Wegner
Selten hatte eine Oper im Film so breiten Raum eingenommen wie Mascagnis Cavalleria rusticana in Francis Ford Coppolas drittem Teil des Meisterwerks „Der Pate“. Michael Corleone (Al Pacino), der die Macht bereits weitgehend an seinen Neffen Vincent (Andy Garcia) abgegeben hat, trifft sich mit seiner Familie im Opernhaus von Palermo, um seinen Sohn Anthony bei dessen Debüt als Turiddu zu erleben. Mit dabei sind seine geschiedene Frau Kay (Diane Keaton), seine Tochter Mary (Sofia Coppola) und seine Schwester Connie (Talia Shire). In einer Seitenloge des Theaters befindet sich zudem einer der intrigantesten und bestdargestellten Bösewichter der Filmgeschichte: Don Altobello, gespielt von dem altersvorgerückten Eli Wallach. Während auf der Bühne Mascagnis Oper abläuft, werden Don Altobello von Connie mit einem Cannolo vergiftet und Vincents Wächter von zwei Profikillern getötet. Es gelingt ihnen aber nicht, Michael zu erledigen. Dem Schusswechsel am Ausgang der Oper fällt Mary zum Opfer. Zwischendurch ertönt immer wieder Mascagnis Musik, die Sänger sind folkloristisch kostümiert, das Bühnenbild realistisch. Santuzza tritt nicht auf, gezeigt wird allerdings die Szene Turiddu/Alfio.
Der 1890 in Rom uraufgeführte Einakter Cavalleria rusticana ist deshalb für mich untrennbar mit Coppolas Paten verbunden. Das war aber nicht der Grund, warum ich diese Verismo-Oper seit 1965 häufiger, mehr als ein Dutzend Mal, gesehen habe, allerdings nur in zwei Inszenierungen, zum einen von Alfred Siercke, zum anderen seit 1988 in der von Giancarlo del Monaco mit dem naturalistischen Bühnenbild von Michael Scott mit halbrundem Dorfplatz, eingerahmt von geschlämmten Häusern und einer Kirchenfassade. Zu den Höhepunkten dieser Oper zählen Turiddus Romanze „O Lola ch’hai di latti la cammisa“, Santuzzas Arie „Voi lo sapete, o mamma“, vor allem aber das bestens bekannte Intermezzo sinfonico und das dramatische Finale.
Der untreue Turiddu ist natürlich nicht die Hauptperson, sondern die verlassene und deswegen rachsüchtige Santuzza. Sie muss schon deutlich mehr Leistung bringen als Nedda im zumeist angehängten Bajazzo. Meine erste gehörte Santuzza war Enriqueta Tarrés (1965). Diese verlässliche, sängerisch und darstellerisch stets überzeugende spanische Sopranistin wurde 1934, elf Monate nach Montserrat Caballé und wie diese in Barcelona geboren, nur wurde sie nie so berühmt. Tarrés war im Spintofach und auch bei Richard Strauss zu Hause. Ich erinnere mich nicht mehr konkret an ihre Santuzza, sie muss die Rolle aber hervorragend gesungen haben, denn ihre Leistungen waren stets begeisterungswürdig, ähnlich einer anderen, auch im Spintofach heimischen Sängerin, der zwei Jahre jüngeren, aus Marseille stammenden Luisa Bosabalian.
Santuzza wurde (und wird) von Sopranen wie Enriqueta Tarrés oder Michèle Crider (2006), aber noch häufiger von Mezzosopranen wie Tatiana Troyanos (1973), Agnes Baltsa (1996) oder Ildikó Komlósi (2003) gesungen. Alle waren hervorragend. Grace Bumbry fühlte sich in beiden Fächern heimisch und überzeugte 1988 als Santuzza zusammen mit Giorgio Lamberti als Turiddu. Ausgezeichnete Leistungen als Turiddu boten auch Plácido Domingo und Johan Botha.
Die letzte Aufführung der Cavalleria rusticana sah ich im September 2017. Das Orchester spielte unter der Leitung von Josep Caballé Domenech fabelhaft mit weich-warmem Klang und schönen Piani. Elena Zhidkova war eine darstellerisch mehr extrovertierte, sich im Spiel dem Hass hingebende, stimmstarke und gleichzeitig stimmschöne Santuzza. Ihr fast gleich kam mit kraftvollem schönen Tenorklang der Turiddu von Teodor Ilincăi. Auch die kleine Partie der Lola war mit Dorottya Lang herausragend besetzt, Renate Spingler überzeugte in der Mutterrolle der Lucia und George Gagnidze hatte für den Alfio die richtige Statur und auch den entsprechend stimmstarken Bariton. Hoffentlich bleibt diese sehenswerte Inszenierung der Hamburgischen Staatsoper noch lange erhalten.
Ralf Wegner, 16. Mai 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Sehr geehrter Herr Doktor!
Enriqueta Tarrés musste am 15. Mai 1971 für Montserrat Caballé einspringen. Wegen der erhöhten Preise war das Publikum recht missgelaunt. Gleich nach Beendigung der ersten Soloarie, die Frau Tarrés mit warmem Sopran gesungen hatte, rief eine Männerstimme: „Vivat Caballé!“, was sehr unfair und gemein war. Nun war für den weiteren Verlauf des Abends die Hölle los. Es bildeten sich im Publikum zwei Parteien. Die Ritterlichen, die der Einspringerin die Stange hielten, und die (v)erbitterten Gegner. Der Dirigent musste häufig unterbrechen, die Streitrufe gingen von einer Logenseite zur anderen. Enriqueta Tarrés bedankte sich auf der Bühne mit einem Knicks bei ihren Verteidigern. Die Stimmung blieb nervös. Der Altistin Biserka Cvejic blieb ein tiefer Ton weg. Unmut im Publikum, sie verlässt wütend die Bühne, wird sichtlich gleich wieder auf die Bühne zurück gestoßen. Jan Buzea verpatzte in der Stretta das hohe c, wieder Buhrufe.. Er sagte die Folgevorstellung ab. Dergleichen hatte ich noch nie und später nie wieder erlebt.
Lothar Schweitzer, Wien
Lieber Herr Schweitzer, das erlebt man bei erhöhten Preisen. Wenn ich für Frau Netrebko viel Geld bezahle, dann aber Frau Yoncheva (nicht schlechter) singt, würde ich mich auch ärgern. Bei normalen Preisen war das meiner Erinnerung nie der Fall. Man hat sich bei der Ansage zwar geärgert, war es aber als Operngeher gewöhnt und hat den Einspringer oder die Einspringerin gelobt. Bei manchen Sängern konnte man fast generell nicht davon ausgehen, dass sie tatsächlich auftreten würden. Peter Schreier war so ein chronischer Absager, wenn er sang, klang es wie das Glück auf Erden; wenn er nicht sang, hatten es die Ersatztenöre schwer.
Andererseits toleriert es das Publikum nach meiner Erfahrung überhaupt nicht, wenn ein/e hochberühmte/r Sänger/in z.B. aus gesundheitlichen Gründen nicht die erwartete Leistung bringt. Ich denke da an Rolando Villazon oder auch an Jonas Kaufmann. Was wollen wir also, den Star in schlechter Verfassung oder den Einspringer? Ich will es ironisch beantworten, wollen nicht viele auch den Star, um hinterher über das möglicherweise drohenden Karriereende fachsimpeln zu können?
Der Unmut des Publikums ergießt sich nach meiner Erfahrung in zwei Fällen auf die Protagonisten, wenn hohe Preise mit nicht entsprechender Leistung korrelieren oder wenn für das jeweilige Haus nicht genügend kompetente Sänger/innen engagiert worden waren. Den Unmut hat sich dann weniger der bemühte Sänger als die Intendanz des Hauses zuzuschreiben . Die tritt aber leider für ihre Engagements nicht vor den Vorhang.
Frau Tarres war nach meiner Erinnerung eine wirklich gute Sängerin und vor allem eine sehr verlässliche. Wenn sie angesetzte war, sang sie auch regelhaft und nie unter ihrem hohen Niveau. Frau Caballe hatte mit ihren schwebenden Piani natürlich eine besondere stimmliche Kompetenz; wenn man sich die Karten ihretwegen gekauft hatte und sie absagte, war man natürlich enttäuscht.
Konzerte sind für solche Künstlermit speziellen Meriten vielleicht die bessere Wahl, wenn es ausfällt, bekommt man sein Geld zurück. Caballe hörte ich erstmals 1972 in Paris in einem Konzertsaal, zwischen zwei Arien wurde sie ohnmächtig und man befürchtete schon das Schlimmste. Jedenfalls wurde das Konzert abgebrochen. Wahrscheinlich war es nach der Pause, denn man bekam sein Geld nicht mehr zurück.
Dr. Ralf Wegner