Foto: Claudia Höhne (c)
Ludwig van Beethoven: Missa Solemnis D-Dur op. 123
Elbphilharmonie, 17. Januar 2017
Die Symphoniker Hamburg, das Residenzorchester der Laeiszhalle, haben ihr erstes Konzert im Großen Saal der Elbphilharmonie sehr gut absolviert. Sie lieferten unter dem Dirigat ihres Chefdirigenten Sir Jeffrey Tate eine sehr gute Leistung – mit dem größten geistlichen Musikwerk des 19. Jahrhunderts: Ludwig van Beethovens monumentaler Missa Solemnis.
Das Werk ist neben Johann Sebastian Bachs h-moll-Messe aus dem 18. Jahrhundert die bedeutendste, jeden liturgischen Rahmen sprengende Messvertonung im deutschsprachigen Raum. Sie ist Beethovens persönliches Bekenntniswerk und übersetzt ein durch Aufklärung und Humanismus geläutertes Gottesverständnis in ein klangliches Geschehen.
„Von Herzen möge es wieder zu Herzen gehen“ – so hatte Beethoven sein 1824 vollendetes, letztes großes Chorwerk überschrieben. Es endet mit den Worten „dona nobis pacem“ – „gib uns Frieden“; Beethoven hat damit die Bitte um den inneren und äußeren Frieden gemeint.
Die Symphoniker Hamburg haben am Montagabend unter Beweis gestellt, dass sie auch den Ansprüchen des Großen Saales der Elbphilharmonie mit seiner Klangtransparenz voll genügen. Sie boten aber nicht die Perfektion und den Glanz des Chicago Symphony Orchestra. Vor allem die Blechbläser leisteten sich mehr Fehler und kleine Ungenauigkeiten als das NDR Elbphilharmonie Orchester und das Philharmonische Staatsorchester Hamburg. Zudem arbeiteten die Musiker zu wenig die Piano- und Pianissimo-Nuancen heraus, sondern spielten lieber überwiegend ein einheitliches Forte und Fortissimo.
Das Hamburger Abendblatt kritisiert zwei Tage nach der Aufführung gar: „Es fehlte an musikalischer Gestalt, es fehlte an Dringlichkeit, auch an theologischer, es fehlte das Dramatische.“ Diese Einschätzung schoss deutlich übers Ziel hinaus. Die Missa Solemnis ist per se dramatisch! Und der Aufführung „musikalische Gestalt“ abzusprechen, ist wirklich nicht angemessen. Ohne „musikalische Gestalt“ wäre dieses Meisterwerk gar nicht darzubieten.
Dennoch: In Hamburg liegen die Klangkörper von Thomas Hengelbrock und Kent Nagano in punkto Brillanz und Sicherheit eindeutig noch vor den Symphonikern Hamburg.
Eine der schönsten und andächtigsten Stellen der Musikliteratur: das Benedictus im Sanctus mit seinem oft überirdisch klingenden Geigensolo gelang dem Konzertmeister Adrian Iliescu nur brav und richtig – aber nicht magisch und mitreißend. Da geht viel mehr, lieber Herr Konzertmeister. Dieses Stück muss man mit mehr Herzblut und Hingabe spielen – und nicht so artig vom Blatt, Note für Note.
Ein Musiker hat dies wunderbar vermocht: Stefan Czermak, von 1990 bis 2013 Erster Konzertmeister bei den Hamburger Symphonikern. Seine Geigensoli im Benedictus von Ludwig van Beethoven haben in der Hamburger Laeiszhalle in punkto Leidenschaft und Perfektion Maßstäbe gesetzt. Wer Czermak im Ohr hat, der kann mit der braven Iliescu-Version nicht ganz d’accord gehen.
Mit Hingabe und Leidenschaft aber überzeugten am Montagabend die beiden männlichen Solostimmen: Der norddeutsche Tenor Klaus Florian Vogt und der italienische Bassbariton Luca Pisaroni.
Der überragende Gesangssolist des Abends war Klaus Florian Vogt, 46. Seine Strahlkraft, seine Leidenschaft, seine Perfektion allein machten den Abend zu einem großen Fest. Wie der Schleswig-Holsteiner im 1. Satz das „Kyrie“ den 2100 Zuhörern zelebrierte, war wirklich einsame Weltklasse. Ja, diese ersten magischen Solotöne des Klaus Florian Vogt waren schon den Eintritt wert!
Klassik-begeistert.de hatte in diesem Jahr die große Freude, Klaus Florian Vogt allein an der Wiener Staatsoper drei Mal zu bewundern: Im Januar 2016 als Florestan in Ludwig van Beethovens einziger Oper „Fidelio“, im Februar 2016 als Prinz in Antonín Dvoráks „Rusalka“ und im September als Lohengrin.
„Herr Vogt, Sie waren immer umwerfend!“, schreibt klassik-begeistert.de am 10. Januar 2017 im Beitrag ‚Warten auf Vogt’ aus der Wiener Staatsoper:
https://klassik-begeistert.de/die-tote-stadt-erich-wolfgang-korngold-wiener-staatsoper/
„Lyrisch! Mit unverwechselbarem, weichem Timbre. Zum Darniederknien gut!“ Phantastisch waren Sie auch im März und April 2015 als Paul in der ‚Toten Stadt’ an der Hamburgischen Staatsoper, als Lohengrin bei den Bayreuther Festspielen im August 2015 und als Parsifal in Richard Wagners gleichnamiger Oper im Juli 2016 in Bayreuth sowie an der Deutschen Oper Berlin im Oktober 2016.
Klaus Florian Vogt ist zu hören: am 20. Januar 2017 als Paul in der „Toten Stadt“ von Erich Wolfgang Korngold an der Wiener Staatsoper, am 2. und 5. Februar als Lohengrin an der Deutschen Oper Berlin, am 15. Februar 2017 im Wiener Konzerthaus mit den Göteborger Symphonikern mit Orchesterliedern von Richard Strauss, als Tannhäuser in der gleichnamigen Wagner-Oper im Mai und im Juli 2017 an der Bayerischen Staatsoper sowie als Walther von Stolzing in Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ im Juli und August 2017 bei den Bayreuther Festspielen.
Wer diesen Weltstar hören möchte, der sollte sich diese Termine unbedingt vormerken. Klaus Florian Vogt singt derzeit in der Form seines Lebens!
Auch der Bassbariton Luca Pisaroni, 41, vermochte mit seinem Gesang das Herz zu öffnen. Für ihn gilt, was klassik-begeistert.de bereits am 8. Januar 2017 aus der Wiener Staatsoper schrieb:
https://klassik-begeistert.de/la-sonnambula-v-bellini-wiener-staatsoper/
„Seine tiefere Lage ist sehr männlich, voll und viril. Seine größte Stärke liegt aber zweifelsohne im höheren Register; hier singt er sehr zarte, butterweich schmelzende Töne, die die Sinne erfreuen. Grazie, Signore Pisaroni, für diesen formidablen Auftritt! Sie haben wirklich mit Herzblut gesungen!“
Die 48 Jahre alte Finnin Camilla Nylund bot – wie an der Wiener Staatsoper bereits im Mai 2016 als Elsa von Brabant in Richard Wagners Oper „Lohengrin“ sowie als Marietta in der „Toten Stadt“ von Erich Wolfgang Korngold im Januar 2017 – eine sehr gute Leistung. Sie überzeugte mit einem sehr dramatischen wie fraulichen Sopran, mit strahlenden Höhen sowie einem wunderbar tiefen Timbre.
Etwas unter ging mit ihrem in weiten Strecken recht leisen Mezzosopran die Engländerin Sarah Connolly, 53, aus dem County Durham. Sie hat im vergangenen Sommer bei den Bayreuther Festspielen die Fricka in Richard Wagners „Das Rheingold“ und „Die Walküre“ gesungen. Connolly überzeugte aber mit einem sehr schönen, reifen fraulichen Timbre, das vor allem im tieferen Register voll zur Entfaltung kommt.
Ja, und der Chor: die 125 Sängerinnen und Sänger des Philharmonia Chorus London, einstudiert vom Chorleiter Stefan Bevier. Sie erfüllten den Saal mit Wohlklang und Sangesfreude. Allerdings war vielen Sängern dieses recht jungen Chores anzumerken, dass sie das Werk noch nicht vollkommen verinnerlicht hatten. Sie pflegten bei diesem sehr anspruchsvollen Werk vornehmlich in die Noten und nicht zum Dirigenten zu schauen. Das zeugt nicht von Souveränität und sieht nicht so toll aus. Und wenn alle Sänger „nach vorne“ singen, ertönt das Werk noch schöner. So war der Text der Missa Solemnis oft nicht zu verstehen.
Unterm Strich bleibt aber eine wirklich sehr gute Aufführung. So gab es zu Recht auch elf Minuten Jubel und stehende Ovationen für einen beglückenden Beethoven.
Andreas Schmidt, 18. Januar 2017
klassik-begeistert.de
Sehr schön, Herr Kollege,
…da war ich auch…man sieht sich!
Schönen Gruß
Patrik Klein, IOCO Kultur im Netz