Mitsuko Uchida © Decca / Justin Pumfrey
Entdeckung der Langsamkeit: Ovationen in Köln für eine Grande Dame des Klaviers
Kölner Philharmonie, 27. Mai 2025
Ludwig van Beethoven (1770-1827) – Klaviersonate Nr. 27 e-Moll op. 90
Arnold Schönberg (1874-1951) – Drei Klavierstücke op. 11
György Kurtág (*1926) – Márta ligaturája aus: Játékok
Franz Schubert (1797-1828) – Klaviersonate B-Dur D 960
Mitsuko Uchida, Klavier
von Brian Cooper
Schon sechs Jahre ist der letzte Auftritt von Mitsuko Uchida in der Philharmonie her, zuletzt spielte sie 2019 in Köln. Sie hat überall, wo sie hinkommt, ihre treuen Fans. Und nicht nur die erhoben sich am Ende eines denkwürdigen Klavierabends.
Ein typisches Uchida-Programm erwartete das Kölner Publikum im gut besuchten, jedoch keineswegs ausverkauften, Saal. Wiener Klassik und Zweite Wiener Schule sowie eine kostbare Miniatur von György Kurtág standen auf dem Programm.
Frau Uchida eröffnete den Abend mit der 27. Klaviersonate Beethovens und erwies sich schon in diesem fast-Spätwerk als Poetin am Klavier. Uchidas Spiel ist wie geschaffen für die Werke der Wiener Klassik: Sie ist eine Denkerin am Klavier und zeigt uns eine faszinierende Geistesverwandtschaft des späten Beethoven mit Franz Schuberts Klavierwerken auf. Insbesondere der zweite und letzte Satz geriet sehr lyrisch mit betörender Schlichtheit verklingend.
Kaum ein Abend, da Frau Uchida nicht auch Musik der Zweiten Wiener Schule spielt, der sie unbedingt nahesteht und die sie auch vermitteln und weitertragen will. Arnold Schönbergs drei Klavierstücke op. 11 sind natürlich keine leichte Kost, aber allemal hörenswert, auch wenn man vermuten darf, dass viele Leute für Uchidas Schubert gekommen waren. Klingt der erste Satz mit seinen dissonanten Akkorden noch arg nach Hape Kerkelings „Hurz!“, entdeckt man im zweiten Satz mehr Melodiöses, lyrische Höhen im Mittelteil, und kann sich an der zunächst nicht besonders ergiebig anmutenden Terzbewegung im Bass „festhalten“.
Das dritte Stück endet mit einem mehrfach wiederholten dreitönigen Motiv und zwei leisen Tönen, die unmittelbar zuvor von „perfekt getimten“ Hustern aus dem Publikum untermalt wurden.
Da erwartete man, als die Programmplanerin des Hauses zum zweiten Teil auf die Bühne kam, eine diesbezügliche Ansage, zumal die Ausnahmepianistin not amused schien. Doch nein: Frauke Bernds trug lediglich eine Bitte der Pianistin vor, man möge zwischen den beiden folgenden Werken von Applaus absehen. Und daran hielt sich das Publikum.

Es gibt ein zauberhaftes Video des Ehepaars Kurtág, das bis zu Mártas Tod im Jahr 2019 – also jenem Jahr des letzten Besuchs der britischen Pianistin japanischer Herkunft – sage und schreibe 72 Jahre verheiratet war. Doch auch, wer das innige vierhändige Musizieren der beiden noch nicht gesehen hat, konnte nur unter Uchidas Händen das frisch komponierte Márta ligaturája (Verbindung zu Márta) als zarte Liebeserklärung des Komponisten, des 99-jährigen Ungarn an seine Frau verstehen. Ein beeindruckendes Stück, das Teil eines Zyklus mit Namen Játékok (Spiele) ist, einem work in progress, das Kurtág 1973 begann.
Franz Schuberts letzte Klaviersonate war das Hauptwerk des Abends. Uchida spielte es als Hochamt, als Entdeckung der Langsamkeit. Der langsame Satz geriet ganz besonders tiefgründig, und der typische Uchida-Klang führte in Verbindung mit den durchdacht gewählten Tempi dazu, dass man staunen durfte ob so mancher Modulation, von denen es etliche gibt, die bahnbrechend anmuten. Die sforzato-Basstöne im b-Moll-Mittelteil des dritten Satzes schienen ein wenig manieriert, aber insgesamt war es wie stets ein außerordentlich guter Schubert, der unter die Haut ging – auch wenn die Grande Dame des Klavierspiels durchaus ein paar Mal danebentraf.
Langanhaltender Applaus nach einem großen Abend. Und da meine Sitznachbarin sich als langjähriges Mitglied des Gürzenich-Orchesters outete, fragte ich sie, wie es sich denn so anfühle, wenn man ein gutes Konzert gespielt hat und die Leute beim Schlussapplaus in Scharen den Saal verlassen. Die Antwort deckte sich mit meinen Erwartungen: Schön sei das nicht… Und gerade nach einem solchen Abend, da man zumal bei Schubert gemeinsam die Langsamkeit wiederentdeckt hat, mutet es paradox an, wenn Menschen gleich nach den letzten Tönen den Saal fluchtartig verlassen. Im Gewandhaus zu Leipzig tun das übrigens nur die Wenigsten.
Dr. Brian Cooper, 28. Mai 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Konzertabend, Mark Padmore, Mitsuko Uchida, Wigmore Hall, London, 15. Mai 2022
Mitsuko Uchida, Mahler Chamber Orchestra, Wiener Konzerthaus, 26. September 2019
Ravel, Seong-Jin Cho, Klavier Kölner Philharmonie, 19. Mai 2025