Bryn Terfel – eine Naturgewalt als Boris Godunov im Royal Opera House in London

Modest Petrovich Musorgsky, Boris Godunov,  The Royal Opera (ROH) Covent Garden, London, 19. Juni 2019

Foto: © Adam Barker
The Royal Opera (ROH) Covent Garden, London, 19. Juni 2019,
Modest Petrovich Musorgsky, Boris Godunov (Originalfassung)

von Charles E. Ritterband

Der grossartige walisische Bassbariton Bryn Terfel schien als Zar Boris Godunov mit seiner Donnerstimme alles von der Bühne zu fegen. Obwohl – nach zahlreichen glanzvollen Auftritten in einem weiten Opernspektrum von Mozart über Wagner bis Richard Strauss – stimmlich vermehrt zu einer gewissen Härte und Trockenheit neigend ist Bryn Terfels Stimme in dieser Produktion von überragender Dominanz und unerreichter Stärke. Aber es ist nicht nur die imposante Stimme – Terfel erklimmt in der Darstellung des von Visionen und schrecklichen Schuldgefühlen heimgesuchten Machtmenschen Godunov auch schauspielerisch schwindelnde Höhen. Mit seinem irren Blick und der wehenden, wirren grauen Mähne zieht er das gleichermassen fachkundige und verwöhnte Publikum des Königlichen Opernhauses in seinen Bann – von Anfang bis Ende dieser vom ersten bis zum letzten Moment das Publikum atemlos in ihrem Bann haltenden Inszenierung von Musorgskys Oper.

Wer ihm allerdings zweifellos die Stange hält, ist der unter anderem als Wotan, Holländer und Mephistopheles unvergessliche John Tomlinson als der aufrührerische und zugleich trinkfeste Mönch Varlaam. Dem britischen Bass mit seiner sonoren, tiefen Stimme und gekonnt zum Einsatz gebrachten komödiantischen Elementen steht der walisische Tenor Sam Furness mit seinem weichen, in den Höhen völlig sicheren Organ und grotesken schauspielerischen Elementen gegenüber. Dem unbestrittenen Star und Titelhelden Terfel mindestens ebenbürtig ist allerdings der englische Bassbariton Matthew Rose in der Rolle des Mönchs Pimen, dessen gewaltige Stimme inzwischen eindeutig wärmer und wohl auch harmonischer ist als jene Terfels. Einzuräumen wäre hier allerdings, dass die stimmliche Härte des Zaren Godunow mit seiner quälenden inneren Zerrissenheit durchaus begründet und gerechtfertigt werden kann. Fazit: In dieser Top-Besetzung gab es keinen Sänger (und keine Sängerin), die weniger als hervorragend waren.

Geradezu phänomenal auch die Chöre (unter der Leitung des seit drei Jahren als Chordirektor des ROH agierenden William Spaulding): Die religiösen Chöre haben in der russischen religiösen Tradition eine herausragende Bedeutung. In dieser Aufführung von Musorgskys (übrigens einziger) Oper kamen diese Chöre in geradezu überwältigender Stärke und perfekter Harmonie zum Einsatz. Die Kostümierung (Nicky Gillibrand) brachte ebenso wie die Musik überaus plastisch die sozialen Kontraste zwischen den unterdrückten Leibeigenen und der herrschenden Schicht der Bojaren zum Ausdruck. Unbestrittener Höhepunkt der Auftritte dieses exzellenten und überaus präzise agierenden Chors war die prachtvolle Krönungsszene. Das Orchester des Königlichen Opernhauses unter der Stabführung von Marc Albrecht (Chefdirigent der Niederländischen Nationaloper), der diese Oper erstmals dirigiert, glänzte in diesem überaus anspruchsvollen, für seine Zeit durchaus avantgardistischen Werk mit Präzision und Stärke.

Die aktuelle Produktion des ROH ist die überaus vitale Wiederbelebung der Inszenierung von Richard Jones, der Musorgskys kürzere Originalfassung dieser inhaltlich fesselnden und musikalisch faszinierenden Oper von 1869 auf die Bühne von Covent Garden gebracht hatte. Alexander Pushkins (1799-1837) berühmtes Drama um brutal ausgeübte Macht, archaische Religion, historischen Zwiespalt und menschliche Schwäche hält das Publikum in schier atemloser Spannung – bis hin zum dramatischen Tod des Zaren. Diese Inszenierung spielt sich auf zwei Ebenen – zwei Parlallelwelten – ab: auf der Hauptbühne die grossen Chöre, Godunovs Krönung und Triumph, seine quälenden Zweifel und sein jämmerlicher und doch grandioses Sterben. Und über der Bühne, in einem golden ausgestatteten Gewölbe, wieder und wieder die herzvorragend stilisierte Traumvision des Meuchelmords am Kind Dimitry, einem der Söhne von Godunovs Vorgänger Iwan dem Schrecklichen.

Eine Inszenierung, die beim ergriffenen Publikum noch lange nachdem der dunkelrote mit den königlichen Insignien bestickte Samtvorhang gefallen ist, nachwirkt.

Dr. Charles E. Ritterband, 21. Juni 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Inszenierung Richard Jones
Orchester des ROH
Musikalische Leitung Marc Albrecht
Bühnenbild Miriam Buether
Kostüme Nicky Gillibrand
Chor der Royal Opera
Chorleiter William Spaulding
Boris Godunov Bryn Terfel
Varlam John Tomlinson
Prinz Shuisky Roger Honeywell
Yurodivy (Heiliger Narr) Sam Furness
Fyodor (Godunows Sohn) Joshua Abrams
Grigory (auch: “Der falsche Dimitri“) David Butt Philip

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