Ariel Merkuri, Carollina Bastos, Foto: © Wilfried Hösl
„Welch toller Abend! Welch wunderbare Fusion der Künste.“
Rezension des Videostreams
Montagsstück XIV: Die Geschichte vom Soldaten (Igor Strawinsky)
Bayerische Staatsoper, München,
Live-Stream am 15. Februar 2021
von Frank Heublein
Es beginnt mit einer blass-sepiafarbenen Reise durch die leeren Straßen Münchens. Diese Fahrt bleibt stetiger bröckeliger Hintergrund der Aufführung, da ins Zuschauerrund des Nationaltheaters projeziert. Ausdruck des Wanderns? So jedenfalls beginnt die Geschichte vom wandernden Soldaten. Sprechspielerin Dagmar Manzel spricht im Rhythmus der marschierenden Musik: der wandernde Soldat.
Da er rastet, verstummt die Musik. Nun erzählt die Sprecherin, was er im Beutel mit sich führt. Zuunterst ist da seine Geige. Die stimmt er – und auch das wird gespielt vom Violinisten! – und los legt er. Neben dem Kammerorchester mit der führenden Geige zeigt mir das tanzende Duett einfühlsam die Verschmelzung von Soldat und Geigeninstrument.
Strawinskys Instrumentierung des kammermusikalischen Ensembles ist spannend. In Fagott und Klarinette das tiefe Holz, Schlagwerk, Trompete, Posaune, Kontrabass und Geige. Diese kleine Besetzung hat zur Folge, dass jedes Instrument stark aufscheint. Die Komposition befördert die Herausstellung der Instrumente. Häufig wird weniger ein gemeinsamer Klang erzeugt, vielmehr geben sich die Instrumente die Töne in die Hand, scheinen so auf als individueller Instrumentenklang. Die Souveränität der Musiker ist gefordert und diese spüre ich zu jedem Zeitpunkt in jeder Tonfolge, jeder staffelmäßigen Übergabe.
Der Teufel pirscht sich an den Soldaten heran, Dagmar Manzel spricht jetzt als der Teufel. Geschickt, smart im schlimmsten Sinne, verführt er den Soldaten. Ermächtigt sich der Geige und schwatzt dem Soldaten dazu ein paar Tage Geigenunterricht ab. Im Tausch gegen ein Buch, das die Zukunft kennt, dadurch Reichtum verspricht.
Zu spät erkennt der Soldat: Der Teufel hat ihn übers Ohr gehauen, keine drei Tage, vielmehr drei Jahre hat er an ihn gegeben. Alle Menschen seines Heimatdorfes halten ihn für einen – bösen! – Geist. So flieht er denn mit den mehrfach wiederholten Worten „Was fang ich denn jetzt an?“. Diese Verzweiflung, die vertieft in mir die Musik, die pulsierende Geige, der grelle Klarinettenton.
Doch ein weiteres Mal geht der Soldat dem Teufel auf den Leim. Das Buch kann viel erfüllen. Es macht den Soldaten zum reichen Mann. An einem lauen Abend im Mai kommt er jedoch ins Grübeln. Die Musik untermalt es trefflich, ich spüre – aus ihr tropft die Melancholie, das Sehnen: „Hab alles, was den anderen fehlt“. Doch „Was fehlt mir, was die anderen haben?“ Es ist die Liebe, die Zuneigung von Anderen. Reich, beneidet, doch tot unter den Lebenden, so fühlt er sich. Er hat mit seiner Geige sich selbst verloren! Dieses Gefühl des wütenden Verlusts brennt die Musik sogleich in mich hinein. Er zerfetzt das teuflische Buch. Tänzerisch endet der erste Teil mit der kleinen Flucht der Tänzerin vom einen zum anderen Tänzer, für mich der Ausdruck der Distanzierung des Soldaten vom Teuflischen.
Alles auf Anfang – jetzt mit Geld. Wieder wandert flüchtend der Soldat. Eine Reprise der Einleitung des ersten Teils. In dieser Wanderung geht er mir einmal mehr auf, dieser besondere Klang, der wie ein musikalischer Staffellauf aufgebaut ist, der Ton wird sehr exakt – im Staffellauf ist die Wechselzone deutlich länger – von Instrument zu Instrument übergeben.
Der Teufel verführt den Soldaten ein weiteres Mal. Benutzt den Menschen als unterhaltenden Spielball, gerade so wie eine Katze mit einer gefangenen Maus spielt. Der Soldat soll der Prinzessin des Landes aus absoluter Lethargie verhelfen – die der Teufel selbstverständlich höchstselbst inszeniert hat. Doch der Teufel unterschätzt den Soldaten dieses Mal. Der Mensch verführt den Teufel zu Spiel und Alkohol, füllt ihn ab und sturzbetrunken fällt der Teufel.
So gewinnt der Soldat seine Geige zurück. Die Geige ist das Wiederfinden seines Selbst, seines eigenen Glücks. Ein helles Glücksgefühl, das mir die Musik vermittelt. Dieses überträgt er im beschwingenden Spiel auf die Prinzessin. Was sich durch Geigenklang und ein tänzerisches männliches Solo in einer mich anrührenden Zusammenführung unterschiedlicher Kunstformen offenbart. Die Prinzessin beginnt zu tanzen, nur kurz unsicher, die Lethargie abschüttelnd, wieder flüssig werden die Bewegungen des Tänzers.
Der Teufel sucht das Spiel zu drehen, doch auch er erliegt des Geigenklanges Bann, auch er muss tanzen. Jetzt spielt die kammermusikalische Besetzung als volles Orchester zusammen, die zwei Tänzer und die Tänzerin geben dieses „Tanzen-Müssen bis zur Erschöpfung“ wieder. Der Teufel fehlt. Die Prinzessin gesundet. Der Hochzeitstusch, den ich höre, kündet von der Vermählung, dem Glück des Soldaten.
Doch dann schlägt die Moral des Märchens zu: „Man soll zu dem, was man besitzt, begehren nicht, was früher war. Man kann zugleich nicht der sein, der man ist und der man war. Man kann nicht alles haben. Was war, kehrt nicht zurück.“
Die Prinzessin ist’s, die den Soldaten dieses Mal verführt, die alte Heimat zu besuchen. Kaum hat er den Grenzstein seiner alten Heimat überschritten, bemächtigt sich der Teufel seiner, nimmt die Geige in Besitz und jagt den Soldaten spielend vor sich her in die endgültige Verdammnis. Mit dem „Triumphmarsch des Teufels“, bohrende dunkle trommelnde Klänge, endet der Abend dramatisch. Der Schlagzeuger im Spot, alle anderen Lichter gehen aus. Ta-tam! Das Licht verlischt.
Wem das Jetzt nicht genügt, den holt sich der Teufel. Passt für mich sehr gut zur aktuellen Situation.
Vladimir Jurowski führt die Musiker sicher, präzise und pointiert durch diesen musikalischen Staffellauf. Die zwei Tänzer und die Tänzerin geben zentralen Stellen der Geschichte eine zusätzliche starke Ausdrucksebene. Indes ist Dagmar Manzel der bestechend beindruckende Nukleus dieses Abends. Denn mehr als sie spricht und erzählt, so viel mehr spielt sie, jede Figur mit eigener Sprache, eigenem Temperament. Selbst als ich meine Augen schließe – nur kurz um es zu probieren –, fühle ich sie weiter spielen. Welch toller Abend! Welch wunderbare Fusion der Künste.
Frank Heublein, 16. Februar 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Programm
Igor Strawinsky (1917): Die Geschichte vom Soldaten, Text von Charles Ramuz
Besetzung
Musikalische Leitung Vladimir Jurowski
Choreographie Norbert Graf
Sprecherin Dagmar Manzel
Klarinette Andreas Schablas
Fagott Holger Schinköthe
Trompete Andreas Öttl
Posaune Hans-Ulrich Pförtsch
Schlagzeug Maxime Pidoux
Violine David Schultheiß
Kontrabass Blai Gumí Roca
Tänzerin Carollina Bastos
Tänzer Nicholas Losada, Ariel Merkuri