Andreas Schager glückstrunken und voller Lebensfreude in der Elphi, Tanja Ariane Baumgartner beglückt mit Gesang voller schönstem kalten Licht

Münchner Philharmoniker, Genia Kühmeier, Tanja Ariane Baumgartner, Andreas Schager, Valery Gergiev, Elbphilharmonie Hamburg, 22. Januar 2019

Foto © Daniel Dittus
Elbphilharmonie Hamburg, 
22. Januar 2019
Münchner Philharmoniker
Genia Kühmeier, Sopran
Tanja Ariane Baumgartner, Mezzosopran
Andreas Schager,Tenor
Valery Gergiev, Dirigent

Gustav Mahler
Sinfonie Nr. 4 G-Dur für großes Orchester und Sopran
Gustav Mahler
Das Lied von der Erde / Eine Sinfonie für eine Tenor- und eine Alt- (oder Bariton-) Stimme und Orchester

von Sebastian Koik

Nach einem atemberaubenden Konzertabend am Tag zuvor sind die Münchner Philharmoniker und Valery Gergiev gleich wieder in der Elbphilharmonie, diesmal mit einem Mahler-Programm und Gesangs-Solisten.

Das Konzert beginnt mit Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 4 G-Dur für großes Orchester und Sopran“. Anfangs erklingen unschuldige Glöckchen, die ein idyllisches Bild entstehen lassen. Doch das bleibt nicht so. Unruhe kommt auf. Die Musik versucht über Struktur Ordnung und Normalität aufrechtzuerhalten, doch das gelingt nur halbwegs, beziehungsweise nur scheinbar und an der Oberfläche. Im Innersten sind die Dinge nicht mehr, wie sie waren. So geht es im zweiten Satz weiter. Scheinbar ist die Welt noch heil, doch sie ist verändert und brüchig. Die Dinge sind nicht so, wie sie an der Oberfläche zu sein scheinen. Eine groteske Verzerrung wird fühlbar.

Der dritte Satz beginnt mit weichen Streichern, friedlich, gänzlich in sich ruhend. Es ist eine himmlische Schönheit und Harmonie. Doch auch diese Harmonie wird brüchig, auch dieses Paradies lässt sich nicht aufrechterhalten. Das Orchester musiziert herrlich zart, fein und elegant. Ganz wunderbar spielt die 1. Oboistin ihre diversen Soli. Drama zieht auf wie ein Gewitter, immer wieder durchbrochen von Licht. Dann wieder friedliche Töne. Und dann Pauken und Trompeten.

Und dann kommt, ja schwebt die Sopranistin Genia Kühmeier fast auf die Bühne, passend zu der Musik mit lieblichem Harfenzupfen, himmlischen Streichern und hohen Flöten voller Licht. Genia Kühmeier klingt wunderbar schön in lang anhaltenden Tönen, im schnelleren klingt sie etwas dünner und leicht unschön nervös und gehetzt. Phasen von Ruhe und Unruhe wechseln sich ab. In den friedlichen Passagen klingt das Orchester herrlich zart und fein. Ganz zum Schluss gibt es ein langsames Verklingen der Kontrabässe zu hören. Und dann, im letzten hörbaren Hauch von Klang, im Moment vor dem Einsetzen der vollkommenen Stille … klingelt laut ein Telefon im Saal.

Im zweiten Teil steht Gustav Mahlers Sinfonie „Das Lied von der Erde“ auf dem Programm. Sofort schmettert Schager im ersten Lied mit seiner kräftigen Stimme los. Das Orchester spielt mit herrlicher Schärfe, große Spannung ist in der Musik.

Im zweiten Lied spielt das Orchester herrlich zart, elegant und mit großer Ruhe. Ganz wunderbar ist dann Andreas Schager im dritten Lied „Von der Jugend“. Der Klasse-Tenor singt voller tiefer Lebensfreude, passend zum Text ist seine stimmliche Darstellung geradezu glückstrunken. Ein Ereignis.

Im fünften Lied „der Trunkene im Frühling“ setzt Schager sogar noch einen drauf. Der österreichische Tenor drückt die Maßlosigkeit der Figur wunderbar aus. Man nimmt ihm ab, dass er mit Vögeln sprechen kann (was er auch als „Siegfried“ regelmäßig wunderbar macht). Wenn Schager „Der Lenz ist da“ singt, dann geht die Sonne auf, ja dann ist es tatsächlich so als bräche der Frühling kraftvoll an. Schager singt hier mit weicher, voller Stimme, voller Schmelz und Strahlkraft. Das ist unfassbar wundervoll. Gänsehaut!

Und dann das nächste ganz große Highlight: „Der Abschied“, das letzte und längste Lied aus dem „Lied von der Erde“. Zu Beginn singt orientalisch die Oboe. Wundervoll. Die erste Oboistin ist die instrumentale Solistin der Abends. Und in diesem Lied ist Tanja Ariane Baumgartner eine wunderbare Traumbesetzung. Es ist großer Ernst in ihrem Gesang, wundervoll transportiert sie Stimmung und Inhalt des Textes. Der Charakter der Musik ist sehr ernst und melancholisch, klingt nach Abschied. Herrlich die schicksalsschwangere , tiefe und dunkle Klarinette. Tanja Ariane Baumgartner ist in diesem Lied von Anfang bis Ende grandios, im Langsamen ist ihr Gesang von herrlichster Tiefe, abgründig, erdig, irgendwie weise und weltwissend klingend, total authentisch, total im Jetzt. Wunderbar die dramatischen Steigerungen im Gesang, aber auch im bemerkenswert starken Orchester.

Die Holzbläser schreien auf das Schönste ihren Schmerz hinaus, die Kontrabässe und Fagotte lassen tief erschaudern. Und immer wieder Gänsehaut beim vollendeten Gesang voll berührender Schönheit von Tanja Ariane Baumgartner. Wenn sie dieses Lied singt, scheint sie der Mittelpunkt der Welt zu sein. Sie ist so wahrhaftig! Wenn sie von ihrem „einsam Herz“ singt, klingt sie so unendlich verlasen. Beim „Ewig, ewig“, ihren letzten Worten ganz zum Schluss ist ihr Gesang erfüllt von schönstem kalten Licht. Das Lied ist einerseits traurig und tief melancholisch. Aber am Ende wird man als Zuhörer von dieser eigentümlichen kalten Schönheit überflutet und berauscht. Man wird tief berührt, erschüttert. Dieses Lied ist der Wahnsinn. Alles ist perfekt.Ganz große Kunst.

Der Besuch der Münchner Philharmoniker und von Valery Gergiev in der Elbphilharmonie mit zwei außergewöhnlich beeindruckenden Konzerten ist ein fulminanter Erfolg.

Sebastian Koik, 27. Januar 2019 für
klassik-begeistert.de,

Ein Gedanke zu „Münchner Philharmoniker, Genia Kühmeier, Tanja Ariane Baumgartner, Andreas Schager, Valery Gergiev, Elbphilharmonie Hamburg, 22. Januar 2019“

  1. „glückstrunken und voller Lebensfreude“ – Schager und (oder) der Verfasser scheinen hier etwas nicht ganz verstanden zu haben bei den Tenorliedern …

    Dr. Eva Arts

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