Foto: Wiener Konzerthaus (c)
Salzburger Festspiele, Stiftung Mozarteum, Großer Saal, Salzburg, 23. August 2018
LUDWIG V. BEETHOVEN, Symphonie Nr. 8 F-Dur op. 93
LUDWIG V. BEETHOVEN, Symphonie Nr. 7 A-Dur op. 92
musicAeterna of Perm Opera
Teodor Currentzis, Dirigent
von Sebastian Koik
Geliebt, von allen geliebt werden an diesem Abend in Salzburg Teodor Currentzis und das von ihm im Jahre 2004 in Sibirien gegründete Orchester musicAeterna.
Es gibt wohl kaum jemanden in der Welt der Klassik, der dermaßen polarisiert wie dieser Grieche, der in die einsamsten Ecken Russlands auszog, um sich am Ende der Welt künstlerisch frei zu entfalten. Er gilt als ein revolutionäres Enfant terrible. Die einen lehnen ihn und seine Arbeit radikal ab, und die anderen lieben ihn, ja vergöttern ihn fast.
Die 7. und die 8. Sinfonie Beethovens stehen auf dem Programm, und die Interpretation von Currentzis und seinen Musikern werden zu einem fulminanten Erfolg! Schon während des Konzertes fallen einem beim Blick nach rechts und links viele tief glückliche und lachende Gesichter auf.
Unmittelbar in dem Moment, als die Siebte ganz zum Schluß verklingt, brechen Jubel und Bravo-Orkane aus, die minutenlang anhalten. Es gibt stehende Ovationen vom gesamten Saal. Man ist voller Energie und gleichzeitig entspannt nach diesem geradezu kathartisch reinigenden Klang-Gewitter. Hinterher auf den Gängen hört man überall in diversen Sprachen immer wieder die beiden Worte “unglaublich” und “Wahnsinn”, daneben auch mal Sachen wie “Giganten” und “Höhepunkt des Zyklus”.
Ohne die anderen Beethoven-Sinfonien gehört zu haben, kann man sich gut vorstellen, dass gerade diese beiden Sinfonien, die weniger ernst und heilig in der Thematik sind als die anderen, auch weniger Anlass zur Kritik geben als die anderen. Man wirft Currentzis oft vor, zu sehr in die Musik der Komponisten einzugreifen und sie zu willkürlich zu ändern. Er spiele Vieles viel zu schnell, heißt es oft.
Im Pressegespräch versichert Currentzis, dass er sich genau an die Tempo-Vorgaben von Beethoven halte und dies sogar streng mit Metronom einstudiere. Laut Currentzis lasse nicht er zu schnell spielen, sondern die anderen zu langsam. Die anderen machten das aus Tradition; Sichtweisen auf Stücke hätten sich gebildet, ohne, dass diese immer der Vorgabe des Komponisten entsprächen und trotz aller Tradition und Gewohnheit eigentlich falsch seien, so Currentzis. Als anschauliches Beispiel verweist Currentzis im Gespräch auf die griechischen Tempel, die früher sehr bunt gewesen seien, und nicht weiß, wie wir es heute gewohnt seien.
Das Tempo, das Currentzis seinen Musikern bei der Siebten Sinfonie vorgibt, ist in der Tat fast halsbrecherisch und bewegt sich an der Grenze des Spielbaren. So schnell hat man die “Apotheose des Tanzes”, wie Richard Wagner die Siebte nennt, noch nicht gehört. Aber es funktioniert. Und wie es funktioniert! Es ist geradzu überwältigend!
Schon von den ersten Tönen der Siebten Sinfonie an hat Currentzis das Publikum in seiner Hand und löst überall Freude und glückliches Grinsen aus. Das Orchester musiziert herrlich spritzig, präzise und musikalisch. Die Pauke spielt auf den Punkt, die Blechbläser begeistern auf ihren “Natur”-Instrumenten mit edlem Klang und Präzision, die Holzbläser ertönen friedlich sanft, die Streicher agieren herrlich scharf. Alle Musiker arbeiten hochpräzise und sauber an ihren historischen Instrumenten, auch bei höchstem Tempo. Teilweise wirkt es fast so als hätten die Musiker fast wie im Tempo eines Maschinengewehrs Klang-Salven abzufeuern, um den wilden Tanz immer weiter und wahnwitziger vorwärts zu treiben.
Alleine für die technische Umsetzung verdienen die begnadeten und sehr hart übenden Musiker aus Russland höchsten Respekt. Und auch künstlerisch ist trotz der enormen Geschwindigkeit nichts auszusetzen! Es ist eine Darbietung voller Schwung und Esprit, von mitreißender Spannung und von einer gewaltigen, höchst ansteckenden und die Zuhörer flutenden Energie.
Es ist eine simple Freude, eine sehr heitere Kraft in der Musik, und man kann sich sehr gut vorstellen, dass die Currentzis-Version seiner Tanz-Sinfonie sehr nach Beethovens Geschmack wäre. In dieser Sinfonie geht es nicht um hehre Werte und Verkopftheit, es geht um Rhythmus und Spaß. – Und Currentis und das musicAeterna-Orchester aus dem fernen Perm musizieren das in absolut unwiderstehlichem Rhythmus und mit überwältigendem Spaß.
Viel Energie liefern der Grieche und seine Russen auch in der 8. Sinfonie Beethovens. Die starken Musiker spielen mit Biss, Spritzigkeit und beeindrucken mit unmittelbaren Dynamik-Sprüngen. Auch diese 8. Sinfonie ist eine, die sich von den anderen edel-anspruchsvollen Sinfonien mit ihren hehren Zielen abhebt. Beethoven hat hier, bevor ihm die Ideen zur Neunten kommen, erst mal nicht wirklich mehr etwas Wichtiges und Konkreteres zu sagen. Beethoven komponiert hier gewissermaßen Musik, um der Musik willen, für Spiel und Spaß. Die Darbietung an diesem Abend in Salzburg ist wie ein heiterer Ritt, wie eine vergnügte Ausfahrt. Auch hierfür gibt es einen Riesen-Applaus und Bravo-Rufe.
Man kann sich durchaus vorstellen, dass Teodor Currentzis in anderen Beethoven-Sinfonien auf Unverständnis bei Hörern trifft, weil diese ihre Hör-Gewohnheiten nicht bedient sehen, oder der Grieche vielleicht doch auch mal zu eigensinnig ist. Wer weiß, was wahr und richtig ist. Bei diesen beiden Sinfonien passt jedoch alles. Alles macht Sinn. Die Musik gibt Freude und macht Spaß!
Beethoven kann auch Party. Teodor Currentzis und seine Spielgefährten sowieso.
Sebastian Koik, 24. August 2018, für
klassik-begeistert.de