Teodor Currentzis im Wiener Konzerthaus: Ein symphonisches Requiem erschüttert in Zeiten des Krieges

musicAeterna Orchestra, Teodor Currentzis,  Konzerthaus, Großer Saal, am 11. April 2022

Foto: Daniel Dittus (c), Teodor Currentzis

Wiener Konzerthaus, Großer Saal, am 11. April 2022

musicAeterna Orchestra
Teodor Currentzis, Dirigent

Richard Strauss: Metamorphosen, Studie für 23 Solostreicher AV 142

Peter Iljitsch Tschaikowsky: Symphonie Nr. 6 h-moll op. 74 „Pathéthique“

von Herbert Hiess

Dass einmal ein Botschafter eines anderen Landes Einfluss auf eine Konzertveranstaltung haben wird, hätte sich vor ein paar Monaten niemand vorstellen können. So geschehen aktuell im Wiener Konzerthaus.

Dem Veranstalter, der diese großartigen Konzerte mit dem wunderbaren Orchester durchsetzte, kann man dafür nicht genug danken. Aber ein angesetztes Benefizkonzert für die Ukraine mit diesem Orchester aus St. Petersburg (musicAeterna Orchestra) wurde auf Betreiben des ukrainischen Botschafters einfach abgesetzt. Ob man da der Sache einen guten Dienst erwies, sei dahingestellt.

Insgesamt ist das alles eine heikle Angelegenheit. Im Publikum wurde auch der ehemalige Operndirektor Holender erblickt, von dem man bis heute kaum eine Äußerung bezüglich Anna Netrebko vernommen hat. Wo er doch so offensichtlich für sie schwärmte.

Oder ein äußerst selbstverliebter Kulturschreiber, der seine wöchentliche „Kultur-Bassena-Ecke“ unlängst dazu nützte, um kräftig gegen Maestro Currentzis auszuteilen (Anm.: Im Wiener Sprachgebrauch ist die Bassena die Wasserstelle in Wohnhäusern, wo sich die Leute trafen, um Wasser zu holen. Doch dabei zerrissen sich die Menschen kräftig ihr Maul, um über andere Personen herzuziehen).

Currentzis ist eine Klasse für sich und steht offenbar völlig über den Dingen. Schon der Auftrittsapplaus war eines Popkünstlers würdig. Dieses Mal sogar klassisch im Anzug und mit Krawatte zelebrierte der Maestro ein der Situation angemessenes Programm.

Zuerst Strauss‘ Orchesterstudie „Metamorphosen“, die der Komponist im Andenken an den Zweiten Weltkrieg schrieb. Hier wurde nicht nur das musikalische Lebenswerk verarbeitet, sondern auch immer wieder die Gedanken an die Zerstörung aufgrund des Krieges. Strauss war ein Meister der Instrumentierung; hier gelang ihm aber ein „Magnum Opus“ – eine veritable Meisterleistung. Alle 23 Instrumente werden tatsächlich solistisch eingesetzt; da gibt es keines, das ausschließlich Tutti-Stellen spielt. Und Currentzis ließ die exzellenten Musiker völlig transparent klingen. Immer im Stil eines „Lamentos“ klingend, konnte man trotz der manchmal lieblich klingenden Passagen die Tragik des Krieges und der Zerstörung spüren.

Ebenso in Tschaikowskys letzter Symphonie, die immer wieder als Requiem apostrophiert wird. Das Werk, das in düsterem h-moll beginnt, lässt von Anfang an die Todesnähe spüren. Mit den Kontrabässen und den Fagotten kann man den russischen Winter, die Eiseskälte spüren. Großartig, wie die Musiker das Werk interpretierten. Currentzis hat das Orchester im Laufe der Jahre in eine Art „Orchester-Olymp“ geführt. Die Leute brillieren in allen Instrumentengruppen; angefangen von den Streichern über die grandiosen Holz- und Blechbläser bis hin zum Schlagwerk. Übrigens wird in diesem Orchester auch eine Pauke aus Wien, aus dem Hause Anton Mittermayrs (auch Solopaukist der Wiener Philharmoniker), gespielt.

Nach diesem Konzert und dem unvergesslichen Finalsatz (Adagio Lamentoso, Andante), der das eigentliche „Requiem“ darstellt, gab es Standing Ovations für das Orchester und den Maestro. Currentzis ließ übrigens die hervorragenden Fagotte und Klarinetten einzeln zum Verbeugen ans Podium treten, während er bescheiden auf der Seite wartete.

Als Interpret ließ der Dirigent keinen Takt unbeachtet; er erweckte jede Nuance mit wenigen Zeichen zum Leben. Da hörte man dynamische Abstufungen, Phrasierungen und Temporückungen, die man äußerst selten wahrnehmen kann.

Man kann sich als Konzertbesucher glücklich schätzen, dass das Wiener Konzerthaus trotz aller widrigen Umstände dieses Ereignis durchgeführt hat – es war ein Meilenstein in der Geschichte des Konzerthauses. Irgendwo ist die Angst der Veranstalter verständlich, dass sie als „Putin-Freunde“ bezeichnet werden. Doch müssen hierbei so phantastische Künstler wie Currentzis und die Orchestermusiker unter die Räder kommen?

Herbert Hiess, 12. April 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Pathys Stehplatz (14) – Brüggemann rüttelt am Currentzis-Bollwerk, klassik-begeistert.de

Wiener Symphoniker, Wiener Singakademie, Quasthoff, Carydis, Wiener Konzerthaus, 29. März 2022

Grigory Sokolov, Klavier, Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 13. März 2022

Johann Sebastian Bach, Kantaten, Wiener Konzerthaus, Mozart-Saal, 25. Februar 2022

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