Das Musikfest Bremen mit begeistert einer grandiosen musikalischen „Next Generation“

Musikfest Bremen: Anastasia Kobekina Violoncello, Nicolò Foron Dirigent, Deutsches Symphonie-Orchester Berlin  Konzerthaus Die Glocke, 30. August 2024

Anastasia Kobekina, Nicolò Foron © Nikolai Wolff

Cellistin Anastasia Kobekina und Dirigent Nicolò Foron präsentieren sich mit Schumann, Boulanger und Berlioz als herausragende Interpreten einer grandiosen musikalischen „Next Generation“.

Lili Boulanger: D’un soir triste

Robert Schumann: Cellokonzert a-Moll op. 129

Hector Berlioz: Symphonie fantastique op.14


Anastasia Kobekina   
Violoncello

Nicolò Foron   Dirigent
Deutsches Symphonie-Orchester Berlin

Konzerthaus Bremen, Die Glocke, 30. August 2024

von Dr. Gerd Klingeberg

In leuchtend rotem Outfit, dazu mit einem gleichermaßen unternehmungslustigen wie charmant strahlenden Lächeln im Gesicht, betritt Anastasia Kobekina mit ihrem wertvollen Instrument (ein Violoncello Antonio Stradivarius von 1698) das kleine Resonanz-Podest auf der Bühne.

Mit ihrem Einsatz bei ihrem Bremer Debüt muss sie nicht lange warten; denn Schumann hat dem Soloinstrument in seinem Cellokonzert lediglich drei orchestrale Eröffnungsakkorde vorangestellt. Das angenehm warme Timbre des tiefen Streichinstruments passt ideal zu diesem Werk, bei dem sich die Cellopartie nur selten in höheren Diskantregistern bewegt.
Kobekinas Spiel erfolgt durchgehend hochvirtuos, mit schwungvoller, mitunter regelrecht rasanter Bogenführung. Und mit spürbar emotionaler Färbung, die die berührende Seite der Komposition expressiv betont. Unter dem umsichtigen Dirigat von Nicolò Foron gerät die Balance mit dem Orchester optimal, als ein stets perfektes Miteinander, niemals gegeneinander auftrumpfend oder gar im Tutti das Soloinstrument übertönen zu wollen.

Im nahtlos anschließenden Mittelsatz mit der simplen Bezeichnung „Langsam“ bringt die Solistin ihr Instrument in substanzvoll dargebotenen, von spritzig figurativen Elementen verfeinerten breiten Legatos fabelhaft zum Klingen; fingerakrobatisch und mit viel Herzblut meistert sie auch die höchst komplizierten Doppelgriffpartien. Fein gesetzte Akzentuierungen und eine agile Herangehensweise verleihen dem wiederum nahtlos anschließenden „Etwas lebhafter“-Schlusssatz einen heiter-gemütvollen Anstrich, was mit einem finalen Accelerando zusätzlich unterstrichen wird.

Nach begeistertem Applaus kündigt die sympathische Solistin als Zugabe ein Werk ihres „Lieblingskomponisten“, nämlich ihres Papas Vladimir Kobekin an. Dabei handelt es sich um die Bearbeitung einer mittelalterlichen „Galliarda“ für Violoncello und Tambourin.

Einer ersten, noch schlicht gehaltenen Strophe folgen zunehmend raffinierter angelegte Variationen, die Kobekina zum allerbesten Amüsement des Publikums gemeinsam mit dem Orchesterperkussionisten Henrik Magnus Schmidt vorträgt, mit schier ungezügeltem Elan, mit markig-markanten Rhythmen in zunehmend rasanten Tempi und abschließenden schmissigen Abwärts-Glissandos. Bravo!

Einen alles andere als heiteren Opener hatten zuvor der junge deutsch-italienische Dirigent Nicolò Foron und das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin für den Konzertabend gewählt. „D’un soir triste“ ist ein zutiefst berührendes Werk der 1918 im Alter von gerade einmal 24 Jahren nach langen schweren Krankheiten verstorbenen Lili Boulanger. Der atmosphärisch düstere Beginn, dazwischen die verzweifelten Aufschreie, das Aufbäumen gegen ein unerbittliches Schicksal, dann wieder ungemein resignative, melancholisch bis elegisch anmutende Sequenzen lassen sich ohne Kenntnis der biografischen Hintergründe nur schwer aushalten.

Wohlweislich auf jegliche, ohnehin kaum angebrachte  euphemistische Glättung verzichtend, brachte das Ensemble die stark unter die Haut gehende Fülle an Emotionen in expressiver Weise zum Ausdruck.

Nicht minder kontrastreich gerät dann in der zweiten Konzerthälfte auch die Interpretation der „Symphonie fantastique“ von Hector Berlioz. Es ist die programmatische Vertonung einer dramatischen, in Teilen auch autobiografischen Liaison fatale. Nach zart schmachtendem Hineingleiten in die Liebesträumereien des Kopfsatzes überzeugt die Darbietung mit ausgeprägter Intensität aus mitunter greller Klangfarbigkeit und groß angelegten Spannungsbögen, bei denen selbst nur kurze Generalpausen als stabil eingerammte Stützpfeiler funktionieren.

Überaus klangdicht, mit schwungvoll walzerwiegender Eleganz, vermittelt Satz 2 „Un bal“ in plastischen Bildern die Szenerie eines berauschenden Tanzvergnügens. Ein einschmeichelnd zartes Duett von Oboe und Englischhorn generiert im Mittelsatz „Scène aux champs“ pastorale Idylle in gedeckten Farben, bei der, dank Forons einfühlsam gewählten Metren, die Zeit nahezu stille zu stehen scheint – bis ein bedrohlich anschwellendes Donnergrollen der harmonischen Beschaulichkeit ein jähes Ende setzt.

Erschreckend gruselig, hart und unerbittlich wummernd folgt anschließend der im Opiumrausch visionär angedachte Gang zum Richtplatz samt brutal ausgeführtem Schwertstreich bei der Enthauptung des Protagonisten.
Geht noch mehr? Aber ja! Dem Orchester gelingt nach diesen, in ihrer horrenden Alptraumhaftigkeit realistisch nachgezeichneten Bildern sogar noch eine weitere Steigerung: Der Schlusssatz als geisterhafte Schilderung eines furchterregend schauerlichen Hexensabbats samt eingefügtem, bizarr verzerrtem, der katholischen Messe entlehnten „Dies Irae“ mit passendem Totenglockengeläut wird zum schier endlos anmutenden, ohrenbetäubend alles hinwegfegenden, turbulent fortissimo-tobenden Tornado, der die Mauern erbeben lässt.

Besser hätten die programmatischen Inhalte der Sinfonie mit ihrer immensen Fülle großformatiger sattfarbiger Bilder schwerlich zum Ausdruck gebracht werden können!

Und das bestätigt auch das begeisterte Bremer Publikum mit langem stürmischem Beifall.

Dr. Gerd Klingeberg, 31. August 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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