Krassimira Stoyanova und die Wiener Virtuosen entführen den Musikverein Wien in das romantische 19. Jahrhundert

Musikverein Wien, Goldener Saal, 18. Februar 2018

Wiener Virtuosen, Orchester
Krassimira Stoyanova, Sopran

Richard Strauss
Streichsextett aus der Oper „Capriccio“, op. 85
Vier letzte Lieder für Sopran und Orchester, WoO, AV 150; arrangiert von James Ledger
Richard Wagner
Siegfried-Idyll, WWV 103
Felix Mendelssohn Bartholdy
Symphonie Nr. 4 A-Dur, op. 90, „Italienische“

von Jürgen Pathy

Wenn Musiker der Wiener Philharmoniker – kammermusikalisch als Wiener Virtuosen vereint – und die Kammersängerin Krassimira Stoyanova den bezaubernden Wiener Musikverein beehren, dann ist die Vorfreude unter Wiener Musikliebhabern, bescheiden ausgedrückt, groß.

Das Vorspiel der Oper „Capriccio“, dem letzten großen Bühnenwerk des Komponisten Richard Strauss,  dient auch als Ouvertüre zum unwiderstehlich gestalteten Programm des Abends. Unabhängig von der 1942 uraufgeführten Oper hat es den Einzug in die Konzertsäle als exklusives Streichsextett geschafft – und als dieses treten die Wiener Virtuosen zu Beginn auch auf.

Goldener Saal – © Wolf-Dieter Grabner

Für die folgenden „Vier letzten Lieder“, die als Vermächtnis Richard Strauss‘ gelten, gesellen sich dem intimen Kammermusikensemble acht weitere Musiker der Wiener Philharmoniker und der renommierte Liedbegleiter Hendrik Springer am Klavier hinzu – es folgt die weltweit gefeierte Sängerin Krassimira Stoyanova, 55, in einem hinreißenden, ärmellosen dunkelblauen Abendkleid.

Von Ende 1946 bis zum Sommer 1948 arbeitete Richard Strauss an diesen melodisch und harmonisch zur Spätromantik zählenden Liedern. Deren Uraufführung in der Londoner Royal Albert Hall, am 22. Mai 1950, mit dem Philharmonia Orchestra, geleitet von Wilhelm Furtwängler, und mit der großen norwegischen Wagner-Interpretin Kirsten Flagstad konnte der am 8. September 1949 verstorbene bayerische Komponist nicht mehr erleben.

Mit der bulgarischen Sopranistin Krassimira Stoyanova finden diese tiefgründigen, nachdenklich stimmenden Meisterwerke des Kunstlieds ein weiteres außergewöhnliches Sprachrohr. Wenn sie beim vertonten Hermann Hesse Gedicht „Beim Schlafengehen“ mit ihrer ausdrucksstarken Stimme die scheinbare Banalität des Schlafes gesanglich in den Raum schweben lässt, verbreitet sich unweigerlich die tiefsinnige, emotionale Stimmung, die ein von Krankheit und Krieg gezeichneter Richard Strauss in diesen Liedern verarbeiten wollte. Beim letzten Vers des Gedichts „Und die Seele unbewacht, will in freien Flügen schweben, um im Zauberkreis der Nacht, tief und tausendfach zu leben“ vermag es Stoyanova mit ihrem zart kolorierten Vibrato und ihrem weichen Timbre ein weiteres Mal stark auf die Tränendrüsen zu drücken. Dem Vers ging ein einleitendes träumerisches, leicht jammerndes Geigensolo zuvor, mit dem der Konzertmeister betören konnte.

Und mit dem letzten Lied, nach dem Gedicht von Joseph von Eichendorff  „Im Abendrot“, kann die Kammersängerin die unsichtbar schlummernde Strauss‘ sche Abschiedsstimmung der vier letzten Lieder beeindruckend real vermitteln und hinterlässt nur einen Wermutstropfen – die atemberaubende Gesangskunst der Sängerin, die regelmäßig an der Wiener Staatsoper gastiert, nimmt mit diesem ergreifenden Lied an diesem Abend ein Ende.

Jedem sei empfohlen, die nächste Gelegenheit beim Schopfe zu packen, sie einmal einen ausgiebigen Liederabend lang zu erleben – ein unvergessliches Erlebnis. Mit ihrer Ausdruckskraft, mit ihrer engelsgleichen Stimme, die sie samt-weich in Szene zu setzen weiß, zählt sie mit Sicherheit zu den besten Sängerinnen dieser Welt.

Die Trauer über den Abgang der Bulgarin muss zum Glück nicht lange währen, steht doch nach der Pause ein weiteres Meisterwerk der lyrischen Romantik auf dem Programm: das bezaubernde „Siegfried-Idyll“ aus der Feder des grandiosen Richard Wagner. Bei diesen liebreizenden Klängen verwundert es keinen, dass seine Gattin Cosima Wagner, der zu Ehren das Werk am 25. Dezember 1870 in Tribschen im privaten Kreis uraufgeführt wurde, folgende Worte in ihr Tagebuch notierte: „Wie ich aufwachte, vernahm mein Ohr einen Klang, immer voller schwoll er an, nicht mehr im Traum durfte ich mich wähnen. Musik erschallte, – und welche Musik! Als sie verklungen, trat Richard mit den fünf Kindern zu mir ein und überreichte mir die Partitur des „Symphonischen Gedichts“. In Tränen war ich, aber auch das ganze Haus„.

Um in den weiten Wagner‘ schen Kosmos eindringen zu können, begeben sich weitere elf Musiker auf die Bühne und die Riege der Wiener Virtuosen zählt nun fünfundzwanzig Musiker. Mit zart gemalten Streicher-Legati und fein nuancierten Bläsern vermag das Ensemble die Zuhörer in das Ambiente des Landhauses ins schweizerische Tribschen zu versetzen. Imaginär übernimmt Richard Wagner die Zügel aus den Händen des Konzertmeisters und führt die erstklassigen Musiker durch die rund zwanzig Minuten des Werks, das nicht nur als Liebesgeständnis und Geburtstagsgeschenk an die kurz zuvor vermählte Cosima gedacht war, sondern auch zur Erinnerung an die Geburt des gemeinsamen Sohnes Siegfried.

Zurück aus der idyllischen Schweiz geht die musikalische Reise weiter ins lebensfrohe „Bella Italia“, in dem der deutsche Komponist Felix Mendelssohn-Bartholdy die Inspiration zu einem seiner bekanntesten Werke fand: der am 13. Mai 1833 in London uraufgeführten 4. Sinfonie.

Zum Abschluss lassen die Wiener Virtuosen die weltberühmte Melodie des ersten Satzes erklingen. Ohne einen Dirigenten, dessen Part der Konzertmeister bis jetzt allerdings glänzend auszufüllen vermochte, erklingt das nun dreißig Mann starke Ensemble ein wenig zu zurückhaltend, kann oder will den kammermusikalischen Anstrich des Abends nicht ablegen. Den tänzerisch-pulsierenden 6/8 Takt, dessen Melodie bereits inflationär von Film und Werbung missbraucht wurde, vermögen die dreißig Künstler nicht zur fröhlichen italienischen Stimmung zu erwecken, die der Komponist  doch als „das lustigste Stück, das ich gemacht habe“zitierte.

Auch der zweite Satz, ein Andante, wirkt inhomogen. Erst im weiteren, langsamen dritten Satz, einem Menuett statt einem seit Joseph Haydn und Ludwig van Beethoven üblichen Scherzo, dringt das Ensemble wieder in romantische Gefilde vor und vereinnahmt das Publikum mit den dahin- schwebenden Klängen. Unkonventionell, wie auch der dritte Satz, endet die A-Dur Sinfonie in Moll.

Der Schlussapplaus wirkt nicht so euphorisch, wie man ihn dem goldenen Saal des Wiener Musikvereins schon oft entnehmen konnte, sondern eher gedämpft und alibimäßig – relativ schnell setzt eine hektische Aufbruchsstimmung ein. Es dürfte am teils faden Beigeschmack der „Italienischen“ liegen, denn der sonst rundum hervorragende Abend kann nicht die Ursache sein.

Es darf auch die Frage in den Raum geworfen werden, ob ab einer gewissen Orchestergröße ein Dirigent nun mal unumgänglich ist?

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 19. Februar 2018,
für klassik-begeistert.at

Bild: © Johannes Ifkovits

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