Wiener Staatsoper sagt Opernball ab

Richard Heuberger, Der Opernball, Volksoper Wien, 17. Februar 2018

Foto: Barbara Pálffy (c)
Richard Heuberger, Der Opernball, Volksoper Wien
,
17. Februar 2018

von Mirjana Plath

Alfred Eschwé, Dirigent
Axel Köhler, Regie
Timo Dentler und Okarina Peter, Bühnenbild und Kostüme
Florian Hurler, Choreographie
Kurt Schreibmayer, Theophil Schachtelhuber
Helga Papouschek, Palmyra Schachtelhuber
Amira Elmadfa, Henri
Kristiane Kaiser, Angelika Wimmer
Marco Di Sapia, Paul Wimmer
Carsten Süss, Georg Pappenstiel
Ursula Pfitzner, Margarete Pappenstiel
Sieglinde Feldhofer, Haushaltshilfe Helene
Martina Dorak, Tänzerin Féodora
Boris Eder, Oberkellner Philipp
Georg Wacks, Kellner Xaver
Martin Fischerauer, Kellner Ton
Orchester und Komparserie der Volksoper Wien

Welch eine Neuigkeit: Die Wiener Staatsoper wird den weltberühmten Opernball nicht mehr in ihrem Haus veranstalten! Gott sei Dank übernimmt die Volksoper diesen wichtigen Termin im Wiener Ballkalender. Von nun an soll hier das höchste Gesellschaftstreffen der Österreichischen Republik stattfinden.

Mit dieser Skandalnachricht eröffnet Axel Köhler seine Inszenierung von Richard Heubergers Operette „Der Opernball“ an der Wiener Volksoper. Das ist natürlich alles ein Schmarrn, den sich der Regisseur ausgedacht hat. Augenzwinkernd teilt er in seiner Inszenierung immer wieder ein paar Seitenhiebe in Richtung Haus am Ring aus.

Köhler verleiht der verstaubten Operette von 1898 einen frischen Anstrich. Heuberger komponierte seinen „Opernball“ in einer Zeit, in der die Habsburgermonarchie schon langsam zusammenfiel. Die glanzvollen Zeiten von Johann Strauß und Franz Suppé waren vergessen. Die klischeehafte Handlung vom „Opernball“ mit untreuen Eheleuten, endlosen Verwicklungen und schließlich einer unerwarteten Versöhnung am Schluss ist ein Vorbote der plüschigen Kitschoperette des 20. Jahrhunderts. Mit Weißen Rösseln und Lustigen Witwen fand das einst so beliebte Unterhaltungstheater schließlich ein Ende.

Ursula Pfitzner (Margarete), Carsten Süß (Georg)

Es tut dem Stück gut, dass Köhler die Handlung in die Gegenwart nach Wien holt. Statt in Paris beginnen die Verwicklungen um die Ehepaare Wimmer und Pappenstiel in einem modernen Loft am Prater. Ehepaar Wimmer ist aus dem provinzialen Klagenfurt in die Hauptstadt gereist – Paul Wimmer freut sich schon auf die erotischen Abenteuer, die er sich hier erhofft. Seine Frau Angelika wettet jedoch mit ihrer Freundin Margarete Pappenstiel um die Treue ihres Ehemannes. Am Opernball in der Volksoper wollen sie beide ihre Männer auf die Probe stellen.

Dieser Ball im zweiten Akt findet in einem samtigen Rotlichtmilieu statt. Freizügige Pin-Up-Figuren dekorieren überdimensional den Ort, an dem die Sünde ihren Platz findet. Ein krasser Gegensatz zu dem minimalistisch eingerichteten Loft der Pappenstiels. Im Hintergrund drücken sich skurrile Figuren auf dem Ball herum. Auf allen Vieren krabbelt ein Mann mit Hundeleine über die Bühne; einmal erscheint eine Figur, die halb Mann und halb Frau ist. Das Finale im Mittelakt beschließt eine riesige Kissenschlacht, bei der die Polsterflockenfüllungen hoch in der Luft umherfliegen. Nur die Kissen fehlen komischerweise. All das wirkt sehr abstrus und überdreht. Ein bisschen weniger Absurdität hätte es auch getan. Immerhin die Eröffnung des Opernballs gelingt mit witzigen Einlagen. Unter den illustren Gästen befindet sich Richard Lugner mit einem Hollywoodpupperl ebenso wie la Grande Conchita.

Akt drei löst alle Intrigen der Nacht wieder auf. Die Liebespaare verzeihen einander ihre Fehltritte und besingen glücklich ihre geliebte Heimat. Zuhause ist es doch am schönsten. Diese Handlungsvorlage ist, wie soll man es anders sagen, vorhersehbar und langatmig. Voller komplizierter Verstrickungen erfüllt sie alle negativen Vorurteile der Operette. Köhler muss viel Arbeit leisten, um diese Schablone spannend zu gestalten.

Das schafft der Regisseur, indem er merklich in den Originaltext der Operette von Victor Léon und Heinrich von Waldberg eingreift. Paris wird zu Wien und die Volksoper steht im Mittelpunkt des Geschehens. Die Änderungen betreffen aber nicht nur den Handlungsort. Statt von Elektrizität singen die Figuren vom Fluch der Digitalisierung, der ständigen Erreichbarkeit. Dieser Ansatz funktioniert super. Das Stück erscheint in einer aktuellen Form, die Umdichtungen fügen sich perfekt in die Handlung ein. Tolle Idee, das macht Spaß.

Dass die Volksoper Experte für das Operettengenre ist, zeigt auch Dirigent Alfred Eschwé mit dem Orchester der Volksoper Wien. Wer Operettenmusik hören will, wie sie klingen soll, der muss hier ins Haus am Gürtel kommen. Das Walzer-Um-pa-pa wummst nicht zu derb, stattdessen tupfen die Musiker ihre Töne tänzerisch leicht auf ihren Instrumenten. Die Streicher senden ihre Melodien immer satt in den Saal und verschmelzen zu einer voluminösen Klangmasse. Schade eigentlich, dass der Opernball nicht wirklich hierher verlegt wird. Das Orchester wäre seiner musikalischen Gestaltung würdig.

Amira Elmadfa (Henri)

Aus der Rollenbesetzung der Premiere stechen besonders zwei Frauen hervor: Sieglinde Feldhofer und Amira Elmadfa sind die Stars des Abends. Feldhofer (Sopran) ist eine Operettensängerin par excellence. Sie singt mit einer unbeschwerten Leichtigkeit die quietschfidele Haushaltshilfe Helene, die mit ihren Einfällen die Missverständnisse am Opernball ins Rollen bringt. Elmadfa (Mezzosopran) steht die Rolle des Henri sehr gut. Sie überzeugt in der Hosenrolle als Neffe von Ehepaar Schachtelhuber, der ein Auge auf Helene geworfen hat. Dabei wirkt sie nie androgyn und spielt nicht mit überzogenen Geschlechterklischees. Mit ihrem gesamten Bühnenverhalten, mit Körpersprache und Mimik, gibt sie sich männlich flegelhaft und ist schauspielerisch die beste Darstellerin des Abends. Hut ab vor so viel pubertierendem Jungencharme!

Lustig sind auch Kurt Schreibmayer (Tenor) und Helga Papouschek (Soubrette) als Theophil und Palmyra Schachtelhuber. Die beiden auch im echten Leben verheirateten Künstler geben ein liebenswürdig verschrobenes Ehepaar ab. Papouschek spielt die zerknitterte Palmyra, deren beste Jahre hinter ihr liegen, mit viel Selbstironie.

Sopranistin Kristiane Kaiser übernimmt die Rolle der Angelika Wimmer. Ähnlich wie Ursula Pfitzner (Sopran) als Margarete Pappenstiel gibt sie eine Frau mittleren Alters, die im Alltagstrott der Ehe die volle Aufmerksamkeit ihres Mannes verloren hat. Gesanglich interpretieren beide Sängerinnen ihre Partien mit viel Vibrato in der Stimme. Das klingt weniger jung und spritzig als bei Sieglinde Feldhofer. Immerhin passt es zu den Rollen.

Nett verkörpern Marco Di Sapia (Bariton) als Paul Wimmer und Carsten Süss (Tenor) als Georg Pappenstiel ihre Rollen. Sie treffen ihre Töne und führten ihre Rollen angemessen aus. Stimmlich stechen jedoch beide nicht besonders aus dem Ensemble heraus.

Die neue Inszenierung von Heubergers „Opernball“ an der Volksoper bringt frischen Schwung in die etwas verstaubte Operette. Zwar sind im zweiten Akt einige Momente absurd überzogen, auch der dritte Akt zieht sich etwas in die Länge. Insgesamt holt Axel Köhler jedoch einiges aus der Vorlage heraus. Er kassiert ein paar wenige Buhrufe als er beim Schlussapplaus auf die Bühne kommt. Schon allein wegen der musikalischen Qualität unter Alfred Eschwé lohnt sich aber dennoch ein Besuch des Wiener Volksopernballs.

Mirjana Plath, 18. Februar 2018
für klassik-begeistert.at

Bilder:
Kristiane Kaiser (Angelika), Sieglinde Feldhofer (Helene), Ursula Pfitzner (Margarete), Helga Papouschek (Palmyra), Kurt Schreibmayer (Theophil), Marco Di Sapia (Paul), Almira Elmadfa (Henri), Carsten Süß (Georg) – © Barbara Pálffy / Volksoper Wien

Ursula Pfitzner (Margarete), Carsten Süß (Georg) – © Barbara Pálffy / Volksoper Wien

Amira Elmadfa – ©  Johannes Ifkovits

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