Foto: © Marie-Laure Briane
Staatstheater am Gärtnerplatz, München,
Spielzeitpremiere, 21. September 2018
My Fair Lady, Musical
Nach Bernard Shaws Pygmalion und dem Film von Gabriel Pascal
Buch von Alan Jay Lerner
Musik von Frederick Loewe
Deutsch von Robert Gilbert
Münchner Textfassung von Josef E. Köpplinger
Ins Bairische übertragen von Stefan Bischoff
von Barbara Hauter
Wenn man nach einem Musicalbesuch vergnügt zur Straßenbahn tanzt und dabei die gerade gehörten Melodien vor sich hin summt, dann haben die Theatermacher alles richtig gemacht. Beim Musicalklassiker My Fair Lady, den das Münchner Gärtnerplatztheater 2018 neu inszeniert hat, ist das gelungen: Beschwingt und elegant wird rundum gute Unterhaltung serviert. Die Inszenierung könnte sich durchaus neben Londoner West-End.Produktionen sehen lassen, so rasant wird in die Theaterzauberbox gegriffen: Mitklatschnummern und mitreißende Choreografien, Drehbühne und historisierende Kostüme, ein präzise auf den Punkt spielendes schmissiges Orchester – hingucken und zuhören macht einfach Spaß!
Die Gärtnerplatz-Lady hat aber auch einen gemütlichen heimischen Touch: Blumenmädchen Eliza spricht weder Cockney noch berlinert sie: Nadine Zeintl präsentiert das Gossenmädchen, das sich zur Lady entwickelt, in urbairischer Mundart. Eliza verkauft ihre Blumen vor der Londoner Oper schnoddrig als handfestes bairisches Madl – und hat sofort die Lacher all derer auf ihrer Seite, die sie verstehen. Ihre erste Gesangsnummer geht leider stimmlich ein wenig unter, doch Zeintl poliert ihre Höhen bei allen anderen Songs auf Hochglanz.
Professor Higgins, von Michael Dangl in perfekt artikuliertem Sprechgesang gegeben, sieht als emotionsloser und doch irgendwie liebenswerter Wissenschaftler und Angehöriger der Oberschicht Eliza nicht als Mensch, sondern als Forschungsobjekt. Dangls Higgins ist dabei so machohaft kalt und arrogant, dass man ihm als Zuschauer am liebsten die Meinung geigen würde. Er schließt mit Oberst Pickering eine Wette ab, Eliza innerhalb eines halben Jahres durch Sprechtraining zur Lady zu formen. Oberst Pickering, der von den Zuschauern begeistert begrüßte, fernsehbekannte Friedrich von Thun, ist allein durch seine Bühnenwirkung schon der ruhende Pol der sich entspinnenden Handlung mit einigen hervorragenden Nebenfiguren.
Robert Meyer als Elizas Vater Alfred P. Doolittle bekommt für seinen rhetorisch gewandten, bauernschlauen und trinkfesten Underdog Szenenapplaus, als er versucht, aus dem Schicksal seiner Tochter Kapital zu schlagen. Gisela Ehrensperger spielt die ladylike Mutter Higgins mit viel Herzenswärme und komödiantischem Talent. Das gleiche gilt für Dagmar Hellberg als Haushälterin Mrs. Pearce. Freddy, der jugendliche Verehrer Elizas, wird von Maximilian Mayer so hinreißend schwärmerisch-naiv gespielt, dass man sich ihn als Zuschauer kaum als reifen Erwachsenen vorstellen kann.
Höhepunkt der Inszenierung ist Elizas Auftritt beim Pferderennen in Ascot. Ihr erster Test, ob die Spracherziehung gelungen ist und der Probelauf für ihren Auftritt auf dem angepeiltem Diplomatenball am Königshof. Es geht katastrophal schief, die temperamentvolle Eliza fährt im schönsten Bairisch aus der Haut und will den Rennpferden „Pfeffer in den Arsch“ streuen. Ein großartiges Bild, überspitzt choreographiert als Selbstpräsentation der Schönen und Reichen der unterkühlten englischen Oberschicht – und vielleicht unbeabsichtigt ein Spiegel der Münchner Schickimicki-Gesellschaft, zu der auch nur der dazugehört, der die Spielregeln kennt.
Und vielleicht ist es auch deshalb nicht verwunderlich, dass My Fair Lady in München schon immer ein Dauerbrenner war. 1962 war das Musical das erste Mal in der Isarmetropole zu sehen – zwei Jahre vor dem berühmten Film mit Audrey Hepburn. Von 1984 bis 2011 lief es im Gärtnerplatztheater in der Fassung von August Everding mit Cornelia Froboess als Eliza. In der jetzigen bairischen Inszenierung ist die Froboess zurückgekehrt, sie wechselt sich mit Gisela Ehrensperger in der Rolle der Mrs. Higgins ab.
Das Publikum jedenfalls ist glücklich: „Endlich mal eine traditionelle Aufführung. Zum Glück wurde die Handlung nicht auf den Müllplatz verlagert“, witzeln einige Zuhörer in der Pause. Das passt zum Gärtnerplatztheater. Es ist ein Wohlfühlort, im Gegensatz zur ehrfurchtsgebietenden Bayerischen Staatsoper fast ein bisschen puppenstubenhaft. Vor knapp einem Jahr nach fünfjähriger Renovierungszeit wiedereröffnet, präsentiert es sich in entstaubter Theaterromantik: selbst der Treppenhandlauf und das Programmheft sind in Plüsch gehalten.
Und auch My Fair Lady ist entstaubt: Das Happy End ist durchaus modern. Eliza brillierte auf dem Diplomatenball und ist zu einer selbstbewussten Frau gereift. Sie gestaltet ihre Zukunft selbst, statt sich für ihren Verehrer Freddy oder ihren gestrengen Sprachlehrer Higgins zu entscheiden. Doch diese Modernisierung nimmt das Publikum dankbar entgegen. Stehende Ovationen und Bravi geben dem Musicalmachern recht: Alles richtig gemacht!
Barbara Hauter, 22. September 2018, für
klassik-begeistert.de
Eliza Doolittle: Nadine Zeintl
Professor Henry Higgins: Michael Dangl
Oberst Pickering: Friedrich von Thun
Alfred P. Doolittle: Robert Meyer
Freddy Eynsford-Hill: Maximilian Mayer
Mrs. Higgins: Gisela Ehrensperger
Mrs. Pearce: Dagmar Hellberg
Chor und Ballett des Staatstheaters am Gärtnerplatz
Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz
Musikalische Leitung: Andreas Kowalewitz
Regie: Josef E. Köpplinger
Choreografie: Karl Alfred Schreiner
Kostüme: Marie-Luise Walek
Choreinstudierung: Felix Meybier
Dramaturgie: Michael Alexander Rinz
Barbara Hauter, M.A. Germanistik, Psychologie und Biologie, schreibt seit sie die Tastatur bedienen kann, für Tagespresse, Zeitschriften und Internet. Als Redakteurin betreute sie viele Jahre Foto- und Tierzeitschriften. Als freie Journalistin sind ihre Themenschwerpunkte Menschen, Tiere und Medizin. Ihre Passion sind „Kritiken fürs Volk“, weil sie dafür brennt, mehr Menschen für Klassik und Ballett zu begeistern. Barbara Hauter lebt in der schönen Opernstadt München.