María Dueñas, Fotografie Tam Lan Truong
Elbphilharmonie, 23. Juni 2023
NDR Elbphilharmonie Orchester
María Dueñas Violine
Dirigent Alan Gilbert
Richard Strauss
Don Juan / Tondichtung nach Nikolaus Lenau op. 20
Édouard Lalo
Symphonie espagnole für Violine und Orchester d-Moll op. 21
Zugabe der Solistin:
Niccolò Paganini
Caprice g-Moll op. 1/16 für Violine solo
– Pause –
Maurice Ravel
Alborada del gracioso (Fassung für Orchester)
Igor Strawinsky
L’oiseau de feu (Der Feuervogel) / Suite (Fassung von 1919) Triumph!
von Harald Nicolas Stazol
Und noch einmal: Triumph! Ein Heimspiel des Elbphilharmonieorchesters, das Abschlußkonzert der Saison, Freitag abend, it’s the place to be, wer heute nicht da ist, der muss dies lesen:
Da zuckt die Dame neben mir fast aus ihrem rosagrünen Sommerkleidchen, beim BAAAAAAAAAAM des Igor Strawinskys „Feuervogel“, die gerade und für bewundernswert längere Zeit den Paukisten Stephan Cürlis kraftvollst beschäftigt hält – überhaupt dürfte diese Ballettmusik des „Ballet Russe“ 1913 tout Paris erschüttert haben – Marion, der 16-Jährigen drei Plätze weiter, ich lieh ihr mein Programmheft, sie ist zum ersten Mal in der Elphi, nun, ihre Augen leuchten. Und meine auch.
Denn diese Musiker, und vor allem und über allem jener Dirigent Alan Gilbert, der hier ein Ensemble geschaffen hat, das m.E. keinen Vergleich fürchten muss. Der Ansicht ist wohl auch die nur spärlich klatschende Amerikanerin neben mir – wie sie so lange, bewegungslos quasi, mit elegant übereinandergeschlagenen Beinen ganz aufrecht sitzen kann – da haucht ein wenig MET über mich, gerade noch auf der Treppe ward Schwedisch gesprochen, und auch Bayerisch, schon im Lift.
Ich habe schon auf den ganz wunderbaren Konzertmeister, den einfach starken Stefan Wagner hingewiesen, aber das überragende Schlagwerk eben – ach was, sie sind alle überragend.
Es mag sein, dass unser Hausorchester die akustischen Finessen unseres Hauses eben genauer und aus dem Effeff kennt, mussten sich doch die Franzosen neulich erst eingewöhnen, die Londoner waren dort schneller, aber die haben ja auch im brutalistisch-betonierten Barbican Center als home base gute Übung.
Für mich ist es besser als Sex, mir unbekannte Werke erstmals anzuhören, und so ist der Spielbeginn mit der Tondichtung „Don Juan“ des Richard Strauss von 1888 fast zwanzig Minuten lang auch wieder kraftvoll, doch ans Elysische grenzend, wow, einfach wow!!! Denn heute ist gewissermaßen „Spanische Nacht“ – manchmal sieht man den Escorial vor sich, manchmal Salamanca, die Alhambra, und die weiten Wüstenflächen, die man mit der Iberia überquert, Sanddünen fast auf dem Wege nach Madrid. Flimmernde Hitze, und darin die Geschichte des Don Juan, nach Nicolaus Lenau, Op.20, also ein Frühwerk des Genies.
Und da wir es gerade mit Genies haben: Sie können zur Schönheit, Grazie, Jugend und Talent führen, und azurfarbene Ballkleider mit Silberstickereien anhaben, Arabesquen, spanisch-maurisch, mit kompliziert geflochtenen Zöpfen im lang-schwarzen Haar, und in den Himmel heben – das rosa Wunder des Abends: María Dueñas.
Man könnte sie auch „Die Infantin“ nennen, die Kronprinzessin unter den Geigerinnen, das steht heute Abend schon mal fest. Wobei sie, wenn man es sagen darf, auch von Carmen zu Dulcinea wechseln kann, mit Schmetterlingsflügeln oder Falkenjagd. Anna-Sophie Mutter, Verehrteste, hier gäbe es eine Thronanwärterin, Frank Peter Zimmermann sei gewarnt, Joshua Bell, Du hast eine neue Freundin, David, Dich gibt es nicht mehr, André, Du bist vernichtet.
Ihre Zugabe, die Caprice g-Moll von Niccolò Paganini, stellt diese Rangfolge hellstrahlend, ja geradezu blendend unter Beweis.
Beim „Eesti Konzert“ unter der Schirmherrschaft von Hennessy brilliert sie bereits, deutlich jünger, mit der „Symphonie Espagnole“ des Éduard Lalo, auch hier sprach ich schon von Solisten und Fügung, das ist einfach IHR, der Dueñas, 2002 in Granada geboren, dieses symphonische Violinkonzert in fünf Sätzen, deren letzter, das Rondo-Allegro, öfter gespielt wird, und nun hoffentlich noch öfter, es ist IHR Schicksal.
In Estland wie in Hamburg applaudiert man ihr zu recht nach jedem der Sätze, bei definitiv überragenden Darbietungen ist es sogar erlaubt und gefordert, füglich, und höflich zugleich, Messieursdames – und wann hat man das schon in seinem Leben?
Der Lalo ist meist nur für seinen letzten der fünf Sätze bekannt, den zweiten vielleicht, ein Scherzo, bahnbrechend bis Rekorde brechend, und wenn man der Infantin durch das Glas folgt und die Finger vor Schnelligkeit einen Dopplereffekt auslösen – natürlich spielt sie auswendig, begreift man, dass Perlenohrstecker der einzige Schmuck sein können für eine Geigerin, die Ohrgehänge sind den Sängerinnen gewidmet, die Broschen und Ketten den Musikerinnen.
Aber wir schweifen ab.
Triumphal! Selten so ein Hamburg Debut erlebt, und das nun drei Tage lang hintereinander, ich hatte mich um Karten für Samstag bemüht, man bedauerte außerordentlich, aber die Premiere sei noch frei!!!
Smoking or non Smoking? Smoking.
Was durften wir diese Saison nicht alles erleben! Den ganzen Sibelius unter Mäkelä, den ganzen Brahms unter Gardiner, den Feuervogel und das Alban Berg Violinkonzert – eine Erinnerung überlagte die andere. Currentzis mit dem Sacre, zweimal die Pathétique, allem zuvörderst Mitsuka Ushida und Joshua Bell und sogar Lang Lang. Wir haben gehört, wie Nagano seinen Platz verteidigt hielt, den ein oder anderen Konzertmeister entdeckt, London zu Gast gehabt, Paris willkommen geheißen, wir haben einen Gruß aus Oslo erhalten und einen nach Cleveland zurückgeschickt. Tausende Touristen beglückt, hunderte Hanseaten irritiert. Einen Sturm erstürmt, stürmisch geklatscht, wurden im Sturm genommen, oft, und von allen Seiten.
Von Zimbel bis Orgeldonnern.
Die „Alborada del gracioso“ des Maurice Ravel direkt nach der Pause fällt da vor lauter Brillanz kaum noch ins Gewicht – die Ovationen nach dem abschließenden „Feuervogel“ erreichen denn auch das Niveau eines völlig begeisterten Fußballstadions.
Es war eine schöne Saison. Mir im besonderen wird sie noch lange-lang in Erinnerung bleiben. Und ich denke, den Hamburgern auch.
Harald Nicolas Stazol, 27. Juni 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Oslo Philharmonic, Sol Gabetta, Klaus Mäkelä Elbphilharmonie, Hamburg, 14. November 2022
Oslo Philharmonic, Klaus Mäkelä,Jean Sibelius Sinfonien Nr.3 und 5 Elbphilharmonie, 1. Juni 2022
Lieber Harald, sei gegrüßt,
bin da voll bei Dir: Werke zum ersten Mal zu hören, ist das Nonplusultra überhaupt. Viele sehen das anders. Lieben es, wenn sie vergleichen können. Wenn sie die Werke schon „kennen“. Bei mir ist das anders. Es gibt so viel Neues zu entdecken, so viel Überraschungen, wenn man etwas zum ersten Mal hört. Das liebe ich. Natürlich gibt es Ausnahmen. Wagners „Ring“ zum Beispiel. Aber grundsätzlich bin ich bei symphonischen Werken bei Dir.
Liebe Grüße
Jürgen
Das ist endlich mal eine entfesselte Kritik, die nicht mühsam nach dem nicht so Vollkommenen sucht und die ich nach dem Livestream am Samstag und nach meinem Besuch am Sonntag (Drittes Konzert) teile. Zum Beifall zwischen den Lalo-Sätzen: Kent Nagano sagte mir einmal nach Bruckner #8 in Redefin in der Reithalle, dass ihn dies nicht störe, denn das Publikum sei offenbar neu und es habe ihm gefallen. Genau!
Es gibt bei YouTube ein Video aus der Corona-Zeit aus der leeren Elbphilharmonie mit María Dueñas, Manfred Honeck und dem NDR EO, Max Bruch. Absolut empfehlenswert und 1 Mio Clicks!
Vor zwei Jahren trat sie mit dem jungen SHMF-Orchester unter Manfred Honeck (ihrem Förderer) mit Tschaikowski auf. Bei den Proben hatten alle mächtig Spaß.
Was mir auffiel: viel auswärtige Besucher offenbar und sehr viel teils sehr junges Publikum, sehr diszipliniert und alle begeistert. Zum ersten Mal war ich auf Rang 15 (K – Mitte) und war trotz bisher vieler Besuche der Elbphilharmonie total überwältigt von der Akustik dort. Phantastisch!
J. Capriolo