Das macht Spaß: Rhythmus-Fest par excellence in der Elbphilharmonie

NDR Elbphilharmonie Orchester, NDR Percussion, Simone Rubino, Stefan Geiger,  Elbphilharmonie Hamburg

Foto: Maxim Schulz (c)
Man hält als Zuhörer und Zuschauer den Atem an. Das Publikum wird mitgenommen auf eine Reise, darf einer besonderen musikalischen Zeremonie beiwohnen.

Elbphilharmonie Hamburg, 20. Oktober 2018
NDR Elbphilharmonie Orchester
NDR Percussion
Simone Rubino,
Schlagwerk
Stefan Geiger, Dirigent
Tōru Takemitsu, From me flows what you call time
Olivier Messiaen, Les offrandes oubliées / Sinfonische Meditation
Avner Dorman, Eternal Rhythm für Schlagzeug und Orchester / Uraufführung, gemeinsames Auftragswerk von NDR und George Enescu Festival Bukarest

von Sebastian Koik

Am 20. Oktober 2018 gab es in der Elbphilharmonie eines der seltenen Perkussionskonzerte auf großer Bühne. Das NDR Elbphilharmonie Orchester und NDR Percussion zusammen mit dem Schlagzeug-Solisten Simone Rubino beginnen den Abend mit einem ganz besonderen Stück von Tōru Takemitsu: „From me flows what you call time“. Die Darbietung ist ein einziges großes Spektakel!

Schon beim Betreten des Saals erlebt man ein ungewohntes Bild: Mehrere  bunte Bänder sind von der Bühne bis unter die Decke gespannt. Der Abend beginnt damit, dass die fünf Perkussionisten in unterschiedlichen bunten, asiatisch geschnittenen Anzügen feine fernöstliche Glocken schlagend aus dem Saal auf die Bühne strömen. Das ganze Stück  ist eine große Show voller Spannung, die fast an eine religiöse Zeremonie erinnert. Ganz besonders feierlich und extravagant sind die Bewegungen des Schlagzeug-Solisten Simone Rubino, der das Konzert zu einem auch choreographisch und atmosphärisch spektakulären Erlebnis werden lässt. Die Perkussionisten sind an diesem Abend die Stars im Vordergrund, doch auch das ganze Orchester und besonders die Streicher bezaubern mit perfekt-getimtem magischem Zusammenspiel und herrlichen Klängen. Das ist ganz stark!

Man hält als Zuhörer und Zuschauer den Atem an. Das Publikum wird mitgenommen auf eine Reise, darf einer besonderen musikalischen Zeremonie beiwohnen. Die fünf Perkussionisten betätigen an den langen bunten Bändern Windspiele. Diese verklingen ganz am Schluss des Stückes sehr, sehr langsam und lange. Man wünschte dem Komponisten des Stückes, Tōru Takemitsu, dass er diesen Abend in der Elbphilharmonie hätte miterleben können. Das Stück wirkt wie für die Elbphilharmonie gemacht! Einen besseren Aufführungsort kann man sich dafür nicht vorstellen. Nirgendwo können die Windspiele höher und spektakulärer im Saal aufgehängt werden, und kaum irgendwo können die vielen auch leisen und feinen Klänge so gut zur Wirkung kommen wie in der Akustik der Elbphilharmonie; man kann sich das fast unendliche Verklingen der Windspiele zum Schluss nirgendwo schöner vorstellen als in diesem großartigen Saal in Hamburg!

Olivier Messiaens „Les offrandes oubliées / Sinfonische Meditation“ ist das nächste Stück auf dem Programm. Die vielen wunderbaren Künstler auf der Bühne geben der Musik eine sehr große Dringlichkeit und Unmittelbarkeit, sehr viel Spannung und Tiefe. Zu Beginn ist es laut, Unruhe in der Perkussion, musikalische Nervosität bei den Streichern, die Flöten klingen angsterfüllt. Nach einer Generalpause ertönt das Orchester als schwache, verletzliche Stimme, um die man sich tatsächlich sorgt. Diese schwache Orchester-Stimme wirkt wie eine kleine Flamme, und man kann als Zuhörer Angst um sie haben, Angst, dass sie verlöschen könnte. Am Ende des Stückes bleibt das Licht klein und  zart – aber es verlöscht nicht. Das Stück geht zu Ende, der letzte Ton verklingt, doch das Licht scheint am Leben zu bleiben, irgendwo weiterzuexistieren.

Das letzte Stück des Programms ist eine Uraufführung und ein gemeinsames Auftragswerk des NDR und des George Enescu Festivals Bukarest: Avner Dormans „Eternal Rhythm“. Vorne auf der Bühne ist wieder sehr viel Perkussion aufgebaut.  Der extrovertierte Solist und Show-Man Simone Rubino hat hör- und sehbare gewaltige, fast überschäumende Spielfreude. Rubino und das ganze Orchester musizieren extrem lebendig, dem Stück selbst scheint dagegen insgesamt ein wenig Zusammenhang und nachvollziehbarer Sinn zu fehlen, es wirkt ein wenig beliebig und damit ein wenig verzichtbar und schwach. Die Komposition scheint auseinanderzufallen, kann den Zuhörer nicht wirklich fesseln und auf eine Reise mitnehmen wie die Stücke zuvor von Takemitsu und Messiaen. Man versteht nicht, was die Musik einem sagen will, was sie einen fühlen lassen will.

Doch da ist noch Simone Rubino, mit visuell äußerst expressivem Spiel bringt er Kraft und Bedeutung in die Musik, sichert sich die Aufmerksamkeit des Publikums. Sein mitreißendes Solo zum Schluss ist ein Rhythmus-Fest par excellence, das großen Spaß macht.

Das Publikum ist begeistert, spendet zu großen Teilen Stehende Ovationen. Als Zugabe gibt es noch ein Marimba-Spiritual, in dem der Solist Rubino – wie den ganzen Abend über – mit großer Präsenz glänzt und der Musik seltene Dringlichkeit und Unmittelbarkeit verleiht. Riesenapplaus für alle Beteiligten, die mit einem brillanten Auftritt wieder einmal bewiesen haben, welch‘ großen Spaß Perkussions-Konzerte machen können!

Die Aufführung des Perkussions-Klassikers von Tōru Takemitsu zu Beginn des Abends könnte eine Referenz-Aufführung für die Ewigkeit gewesen sein. Man kann sich nicht vorstellen, dass die jemals schöner und stimmiger aufgeführt wurde – oder jemals wieder wird. Und wenn, dann wird es wohl wieder in der Elbphilharmonie sein.

Sebastian Koik, 2. November 2018, für
klassik-begeistert.de

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