Musikgewordenes Licht und Klangblüten, die erhaben bis ins Weltall strahlen: Mahlers „Achte“ erglänzt in Hamburg

NDR Elbphilharmonie Orchester / Semyon Bychkov, Mahlers 8  Elbphilharmonie, 14. April 2024

Wer das Glück hatte, einem solchen Ereignis beiwohnen zu dürfen und das auch zu schätzen weiß, dessen Leben ist in diesen 80 Minuten reicher geworden.

Semyon Bychkov © Marco Borggreve

Gustav Mahler, Symphonie Nr. 8 für drei Sopran- und zwei Alt-Soli, Tenor-, Bariton- und Bass-Solo, Knabenchor und zwei gemischte Chöre sowie großes Orchester 

Semyon Bychkov, Dirigent

Carolyn Sampson, Sopran
Camilla Tilling, Sopran
Miriam Kutrowatz, Sopran
Stefanie Irányi, Mezzosopran
Jennifer Johnston, Mezzosopran
Andreas Schager, Tenor
Adam Plachetka, Bassbariton
Nathan Berg, Bass

NDR Elbphilharmonie Orchester
NDR Vokalensemble
Rundfunkchor Berlin
Prager Philharmonischer Chor
Knabenchor Hannover

Großer Saal der Hamburger Elbphilharmonie, 14. April 2024


von Dr. Andreas Ströbl

Die „Ewigkeitsfragen“ sind es, „aus denen die Symphonie entstanden ist, die in ihr ihre Antwort finden sollten“ – das sagte Bruno Walter über eines der größten Werke, das je von Menschhand erschaffen wurde, eben über Gustav Mahlers 8. Symphonie. Dass deren Beiname, „Symphonie der Tausend“, der Marketingstrategie Emil Gutmanns entstammte, ist hinlänglich diskutiert worden und es ist auch gar nicht nötig, dass rund 1000 Mitwirkende diese erhabene Schöpfung zum Leuchten bringen. Mögen es bei der Münchner Uraufführung im Jahre 1910 tatsächlich 858 Chormitglieder und ein 171 Köpfe starkes Orchester gewesen sein, so genügte in Hamburg ein rund 200 Stimmen starker Chor und das NDR Elbphilharmonie Orchester.

Über die Aufführungen am 11. und 12. April ist bereit ausführlich berichtet worden (https://klassik-begeistert.de/gustav-mahler-sinfonie-nr-8-es-dur-ndr-elbphilharmonie-orchester-ndr-vokalensemble-rundfunkchor-berlin-prager-philharmonischer-chor-knabenchor-hannover-elbphilharmonie-hamburg-11-april-2024/ und https://klassik-begeistert.de/klein-beleuchtet-kurz-26-geballte-klangwucht-mit-mahlers-8ter-klassik-begeistert-de-13-april-2024/) und so verbleibt es dem Rezensenten zum Abschluss dieser Trias nur, dem Kollegen Johannes Fischer beizupflichten, dass diese Symphonie leider viel zu kurz ist, und einige würdigende Worte zu finden, um diesem Werk auch nur annähernd gerecht zu werden und die letzte Aufführung am 14. April in der Elbphilharmonie zu beschreiben.

Der Große Saal war angeblich ausverkauft, aber es waren doch einige leere Plätze zu sehen und man hätte den umsonst Wartenden am Schalter der Abendkasse gewünscht, doch noch an diesem gewaltigen Ereignis teilhaben zu können. Abgesehen von einem medizinischen Notfall zwischen dem ersten und dem zweiten Teil und einigen Chorknaben, die zwischendrin nach draußen mussten, waren es diesmal nur sehr wenige im Publikum, die nicht bis zum Schluss blieben.

Zwischen dem Hymnus- und dem Faust-Teil wurde nicht geklatscht und das war dann tatsächlich der Moment, an dem man sich die ersten Tränen der Ergriffenheit abwischen konnte. Um den Rest der Besprechung nicht durch Ärger zu beschmutzen, sei hier nur bemerkt, dass in die heilige Stille nach Verklingen des letzten Tons ein Daddelgerät klingelte. Hätte der Rezensent direkt daneben gesessen, hätte er sich wenigstens wegen Sachbeschädigung hinterher auf der Polizeiwache verantworten müssen. Solche Leute bringen es auch fertig, während des „Vaterunsers“ im Weihnachtsgottesdienst den Pizza-Bringdienst anzurufen. Aber weg von den Banalitäten!

Das Chorgebäude aus NDR Vokalensemble, Rundfunkchor Berlin, Prager Philharmonischem Chor und Knabenchor Hannover sang mit ebensoviel wuchtiger Stärke wie Synchronizität – gerade die Damen setzten immer wieder mit extremen Höhen funkelnde Akzente. Tutti-Passagen gerieten ebenso makellos wie die Partien von Knabenchor und Herrenstimmen.

Durch die Bank überzeugend waren Solistinnen und Solisten, die sich allesamt ohne jede Eitelkeit in den Gesamtdienst stellten. Die Sopranistinnen Carolyn Sampson, Camilla Tilling und Miriam Kutrowatz sangen zwar durchweg brillant, aber gerade die Mezzosopranistinnen Stefanie Irányi und Jennifer Johnston überzeugten durch warmen Wohlklang. Keine der Damen musste ein übermäßiges Vibrato bemühen und jede setzte sich souverän gegen Orchester und Chor durch. Das Terzett im zweiten Teil war von erstklassiger Exaktheit und Finesse.

Andreas Schagers Tenor strahlte, wie vom Kollegen Fischer bereits bemerkt, ohne zu laut zu sein, über den Klangkörper hinweg. Der Bassbariton Adam Plachetka gab mit Wärme und vor allem hervorragender Artikulation die Worte wieder und Nathan Berg, ebenfalls Bass, hatte nur in sehr wenigen Momenten Mühe, in den Tiefen das Orchester zu übertönen; die Höhen meisterte er spielend.

Semyon Bychkov hatte mit größter Selbstverständlichkeit alle Ebenen dieses gewaltigen Apparates im Griff und das NDR Elbphilharmonie Orchester mit erweiterter Instrumentierung ließ dieses musikgewordene Licht glänzen, mit all seinen Klangblüten, die erhaben bis ins Weltall strahlen. Es sind ja bei aller dynamischer Gewaltigkeit die zarten Feinheiten, die dieser Symphonie eine unüberbietbare Vielschichtigkeit geben, beispielsweise wenn Mahler mit kaum zu beschreibender Schönheit mittels Harfen und hohen Streichern die Liebe malt. Stefan Wagners erste Violine zauberte wunderschöne Linien in das große Gemälde, das den Vergleich mit Michelangelos Ausmalung der Sixtinischen Kapelle nicht zu scheuen braucht.

Die „Achte“ ist ein musikalischer Gottesbeweis und wo sich diese Musik erhebt, hat nichts Beiläufiges, Mittelmäßiges, Bösartiges oder Banales Platz. Daher muss sie in größtmöglicher Perfektion gelingen, was ohne jeden Zweifel gerade Chören und Orchester unter seinem leidenschaftlichen Dirigenten attestiert werden darf. Das Spiel mit dem Raum bietet sich in der „Elphi“ an und die Blechbläsergruppe ebenso wie das Sopransolo im zweiten Teil von den oberen Rängen herab ihre Klangkometen in den Saal schicken zu lassen, war ein wunderbarer Einfall.

Mahler 8, Elbphilharmonie (Foto Dr. Ströbl)

Mit seiner Zweiten Symphonie hat Mahler die Auferstehung gefeiert, in seiner Vierten hat er in den Himmel blicken lassen. Die Achte aber erst entwirft einen leuchtenden Abglanz des Universums und das wird wohl auf alle Zeiten in dieser Größe unüberbietbar bleiben. Man kann vor diesem Werk nur die Knie beugen, in tiefster Dankbarkeit und demütiger Ehrfurcht.

Das Publikum verstand dies durchweg und dankte allen Mitwirkenden mit langanhaltendem, tosendem Beifall.

Wer das Glück hatte, einem solchen Ereignis beiwohnen zu dürfen und das auch zu schätzen weiß, dessen Leben ist in diesen 80 Minuten reicher geworden.

Dr. Andreas Ströbl, 15. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Hör-CD Rezension: Mahler – Welt und Traum. Eine Hörbiographie von Jörg Handstein

Münchner Philharmoniker, Mirga Gražinitė-Tyla  Dirigentin, Gustav Mahler Symphonie Nr.2 Philharmonie Berlin, 12. September 2023

Gustav Mahler, Symphonie Nr. 6 a-moll „Tragische”, Sir Simon Rattle Dirigent Musikverein Wien, 17. März 2024

Ein Gedanke zu „NDR Elbphilharmonie Orchester / Semyon Bychkov, Mahlers 8
Elbphilharmonie, 14. April 2024“

  1. Ich habe die Radioübertragung der Achten genossen und habe mich gleichzeitig geärgert, dass einige nach dem 1. Satz und vor dem Abklingen der letzten Akkorde angefangen haben zu klatschen. Manchen Stücken mag das Klatschen vor dem Abklingen dazu gehören. Mahlers Achte mit Sicherheit nicht. Warum können sich diese Leute „zuerst einmal“ ruhig halten, bis die Magie des Abklangs erloschen ist? Ich erinnere mich gerne an ein wunderbares Konzert mit Günter Wand & NDRSO, in dem eine gefühlte Ewigkeit das Publikum berührt und ergriffen nach der göttlichen Achten Bruckner den Atem gehalten hat. Wer an jenem Sonntagmorgen im Frühling 2000 beiwohnen durfte, vor allem die damaligen Orchestermitglieder, kann meine Gefühle sicherlich nachvollziehen.

    Shingo Matsumoto

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