Ein Dirigent führt sein Orchester mit Musikalität und Charisma zu einer großen Leistung

Nova Orchester Wien, William Garfield Walker, Dirigent,  Pieter Wispelwey, Cello  Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, Brahmssaal, 23. Mai 2024

William Garfield Walker © Andrej Grilc

Nach diesem höchst gelungenen Abend bin ich sicher, dass wir von William Garfield Walker noch viel hören werden. Ich hoffe, dass sich ihm in Wien auch bald die großen Säle öffnen – verdient hätten er und sein Orchester es allemal. Die nächsten Konzerte des Nova Orchester Wien (NOW!) werde ich jedenfalls nicht versäumen.

Samuel Barber
First Essay for Orchestra, op. 12

Robert Schumann
Konzert für Violoncello und Orchester a- Moll, op. 129

Antonin Dvořák
Symphonie Nr. 8 G-Dur, op. 88

Nova Orchester Wien
William Garfield Walker, Dirigent

Pieter Wispelwey, Cello

Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, Brahmssaal, 23. Mai 2024

von Dr. Rudi Frühwirth

Wenn das erst vor wenigen Jahren gegründete Nova Orchester Wien (NOW!) mit William Garfield Walker im Brahmssal das Podium betritt, kann man einen aufregenden Abend  erwarten. Und ich wurde nicht enttäuscht. Die vorwiegend jungen Musikerinnen und Musiker – die ersteren sind in der deutlichen Überzahl – und der charismatische Dirigent zeichnen sich neben großem technischen Können vor allem durch eine unbändige Lust an der und Liebe zur Musik aus, die den Zuhörer von der ersten bis zur letzten Note mitfiebern lässt.

Ich finde es schade, dass das Konzert im Brahmssaal stattfand – der Raum war eigentlich zu klein für das intensive Klangerlebnis, das Walker mit NOW! zu entfesseln wusste.

Der erste Programmpunkt war Samuel Barbers First Essay for Orchestra, uraufgeführt 1938. Ein Werk, das mit seinem melancholischen Beginn und fragenden Schluss vor allem Trauer und Verlust auszudrücken scheint. Trauer über den Verlust des sicheren Gebäudes der klassischen und romantischen Struktur und Harmonik, das ja schon lange vorher von Schönberg, Strawinski und vielen anderen einem gründlichen Umbau unterzogen wurde, ja vielleicht sogar zum Einsturz gebracht wurde? Die Nostalgie, die Barber hier zum Ausdruck bringt, ist jedenfalls nicht zu überhören.

Der erste Teil des First Essay beruht musikalisch auf einem kleinen Grundmotiv aus lediglich drei Tönen, einer steigenden kleinen Sekunde und einer fallenden kleinen Terz, etwa d-es-c.

Es ist wohl kein Zufall, dass diese immer wieder erklingende Tonfolge die genaue Umkehrung oder Spiegelung des Schicksalsmotivs aus Wagners Ring des Nibelungen ist. Der zweite Teil hat Züge eines Scherzos und hat mich lebhaft an den 2. Satz aus Bruckners Neunter erinnert, wenn er auch harmonisch weniger kühn ist. Gegen Ende erklingt dann nochmals drohend das Grundmotiv, diesmal mit der vollen Kraft des Orchesters. Und dann endet das Werk tatsächlich mit der Umkehrung des Motivs, allerdings mit ein großen Sekunde und Terz, was dem fragenden Schluss einen leicht optimistischen Charakter verleiht.

Walker und NOW! begeisterten mich schon in diesem ersten Stück, sozusagen der Ouvertüre des Abends, mit ausdrucksvoller Gestaltung, intensivem Nachspüren der melodischen Linien und klug aufgebauten Steigerungen. Alle Orchestergruppen sind mit ausgezeichneten Musikerinnern und Musikern besetzt, die Walkers musikalische Intentionen mit großer Begeisterung umsetzen.

Pieter Wispelwey © Caroline Sikkenk

Im folgenden Cellokonzert musste Walker sich und seinem Orchester etwas Zügel anlegen, um dem Cellisten Pieter Wispelwey nicht allzusehr die Show zu stehlen. Die Streicherbesetzung war klugerweise etwas reduziert, sodass das Solocello noch besser zur Geltung kam. Über das Werk brauche ich hier wohl nicht viele Worte zu verlieren. Es ist weniger Wettstreit als vielmehr inniger Dialog des Solisten mit dem Orchester.

Die abgeklärte Spielweise Wispelweys schien mir allerdings nicht perfekt zum energischen Zugriff Walkers zu passen. Es ist sicher unfair, die legendäre Live-Aufnahme des Konzerts mit Maisky, Bernstein und den Wiener Philharmonikern zum Vergleich heranzuziehen, aber die schwierigen Läufe des Cellos klangen bei Wispelwey deutlich unsicherer und verwaschener. Auch hätten im ersten wie im zweiten Satz die Akkorde der Holzbläser noch etwas zarter ausfallen können.

William Garfield Walker © Andrej Grilic

Die wunderbaren Kantilenen des Solocellos im zweiten Satz gelangen Wispelwey ausgezeichnet, ebenso das Zusammenspiel mit der ersten Cellistin des NOW. Im dritten Satz lief Wispelwey dann zu Bestform auf, Solist wie Dirigent gestalteten das lebhafte Wechselspiel zwischen Solocello und Orchester auf mitreißende Weise.

Lebhafter Applaus belohnte den Solisten; die Blumen, die ihm überreicht wurden, gab er in einer netten Geste an die Cellistin des Orchesters weiter. Die Zugabe schließlich, die Sarabande aus der ersten Cellosuite Bachs, ließ mich alle kleinen Unzulänglichkeiten vergessen. Hier war Wispelwey in seinem Element.

Der Glanzpunkt des Abends folgte dann nach der Pause. Die Interpretation von Dvořáks Achter Symphonie zeigte, welche musikalische Energie Walker aufbieten kann, wie überzeugend das Orchester seinen künstlerischen Ideen folgt, wie sehr im Zusammenspiel das Kunstwerk bis in das kleinste Detail ausgelotet wird. Beim aufmerksamen Zuhören wird klar, dass jeder Takt, jede Phrase, jede melodische Wendung intensiv gestaltet und erlebt ist. Schon der facettenreiche erste Satz, in dem düster drängende Passagen mit heiterem Vogelgezwitscher kontrastieren, riss das Publikum so hin, dass am Ende spontaner Applaus ausbrach.

Musikverein Wien © Franks Travelbox

Der zweite Satz, eine Art von Trauermarsch, erinnert in manchen Zügen an Mahlers fast zeitgleich entstandene 1. Symphonie, insbesondere die Instrumentierung und das leicht parodistische Element, das allerdings weit weniger ausgeprägt ist als bei Mahler. Ich hatte den Eindruck, dass Walker die Ähnlichkeiten bewusst hervorheben wollte, etwa durch die Akzentuierung der Klarinettenstimmen in manchen Passagen. Das hat auch seine Berechtigung, denn es stammten Dvořák wie Mahler aus Böhmen.

Der dritte Satz ist ein bezaubernder Walzer, der allerdings ganz und gar französisch klingt und ebenso weit von böhmischer Dorfmusik entfernt wie von Johann Strauß. Die Musik glitt in leichtem Fluss dahin, rhythmisch beschwingt und reich im orchestralen Detail.

Der vierte und letzte Satz schließlich bringt Variationen über ein Thema, das von den Cellos vorgetragen wird, und das selbst Brahms kaum hätte schöner erfinden können. Die Variationen sind vielgestaltig und steigern sich zu einer Orchestereruption im Fortissimo. Sie werden unterbrochen durch ein zweites Thema, das eine vorüber marschierende Militärkapelle evoziert, wiederum eine Parallele zu Mahler. Danach folgen einige sehr ruhige Variationen in delikater Instrumentierung, die vom Dirigenten fein herausgearbeitet wurden.

Und dann: der große Überraschungseffekt, die triumphale Coda, in der Walker alle Register zog und das Orchester in einen fulminanten Schlussakkord trieb, für den nicht allzu großen Saal fast schon zu überwältigend.

Das Nova Orchester Wien (NOW!), hier im Mozartsaal des Wiener Konzerthauses © Vanja Pandurevic

Nach diesem eindrucksvollen Abend bin ich sicher, dass wir von William Garfield Walker noch viel hören werden. Ich hoffe, dass sich ihm in Wien auch bald die große Säle öffnen – verdient hätten er und sein Orchester sich es allemal. Die nächsten Konzerte von NOW! will ich jedenfalls nicht versäumen.

Dr. Rudi Frühwirth, 24. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Nova Orchester Wien, William Garfield Walker, Alexandra Tirsu Musikverein Wien, Brahms-Saal, 29. September 2022

William Garfield Walker, Dirigent Nova Orchester Wien (NOW!) Musikverein, Brahms-Saal, 18. Mai 2022

William Garfield Walker, Rebecca Nelsen, Nova! Orchester, Gustav Mahler, Symphonie Nr. 4 G-Dur Musikverein Wien, Brahms-Saal, 15. Oktober 2021

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