von Brigitte & Olaf Barthier
Foto: Christian Thielemann. © Matthias Creutziger
Die Sächsische Staatsministerin für Kultur und Tourismus, Frau Barbara Klepsch (55, CDU), hat entschieden, den Vertrag mit dem Chefdirigenten der Semperoper, Herrn Christian Thielemann, nicht zu verlängern. Als wir das erfahren haben, stand schnell fest, dass wir der Frau Ministerin, die vor ihrem Ministeramt als Bürgermeisterin mit organisatorischer und struktureller Kompetenz eine Gemeinde im Erzgebirge geführt hat (von 2001 bis 2014 Oberbürgermeisterin von Annaberg-Buchholz), einen Brief schreiben, und Sie bitten möchten, diese Entscheidung zu überdenken.
Wir, Dr. Brigitte Monstadt-Barthier, Kunsthistorikerin, und Olaf Barthier, Autor bei klassik-begeistert, sind schon seit über 20 Jahren der Semperoper verbunden und – obwohl wir inzwischen in Bayreuth wohnen, besuchen wir noch regelmäßig Aufführungen in Dresden. Unsere Frustration über den nahenden Verlust und den damit verbundenen Wegfall von sehr schönen Opernerlebnissen in der Semperoper, hat dazu geführt, nachfolgenden Brief an die Ministerin zu schreiben.
Sehr geehrte Frau Ministerin Klepsch,
2020 sind wir aus Sachsen weggezogen, ein Grund war die politische Situation und Entwicklung in Sachsen. Trotzdem sind wir manchem, und erst recht der Semperoper, auch als Freunde treugeblieben.
Was wir jetzt erfahren müssen, dass Sie den Vertrag mit Herrn Christian Thielemann nicht verlängern, ist unfassbar!
Die Semperoper ist ein Ort, an dem die Werke von Wagner, Weber und Strauss uraufgeführt wurden, und in diesem Bereich ist Herr Thielemann eine weltweit anerkannte Größe. Und vielleicht die Größe schlechthin. Noch dazu ist das ein wichtiges Kapitel sächsischer Kulturgeschichte.
Mit welcher Kompetenz haben Sie so eine Entscheidung getroffen, man kann so etwas auch als schlechten Führungsstil sehen. Wie Sie hoffentlich wissen, ist ein Dirigent kein Solokünstler, sondern jemand, der nur mit einem Team gemeinsam seine künstlerische Fähigkeit zum Ausdruck bringen kann. Und dieses Team, also die Sächsische Staatskapelle Dresden, steht hinter Herrn Thielemann. Entgegen Tradition und Logik wurde es bei der Entscheidungsfindung nicht mit eingezogen.
Was möchten Sie damit erreichen? Vielleicht das Bürgertum aus der Oper kehren und das Opernhaus entweihen?
Auch alle Bemühungen, ein junges Publikum an die Kulturschätze ihrer Eltern, Großeltern sowie Väter und Mütter der sächsischen Geschichte zu zerstören? Die Semperoper ist im nationalen und internationalen Ranking gerade durch Herrn Thielemann und das Orchester berühmt und ein strahlender Leuchtturm. Durch den Rausschmiss von Herrn Thielemann wird es keine Chance mehr geben, mitzuhalten.
Die Häuser in Stuttgart, Berlin, München und Wien werden Dresden weit hinter sich lassen. Nicht nur die Oper, sondern auch Dresden und Sachsen werden dadurch weniger interessant für einen gewissen Touristenkreis. Aber damit erfüllen Sie wieder das außerhalb von Sachsen sich durchringende Gefühl, dass man in Sachsen sowieso keine fremden Menschen, ob aus dem Westen oder gar Ausland, willkommen heißt. Wenn selbst bei einem Besuch die eigene Bundeskanzlerin in Dresden von den Einheimischen auf das Erbärmlichste beschimpft und beleidigt wird, zeigt das die mangelnde Weltoffenheit und Toleranz.
Wir bitten Sie, Ihre Entscheidung bezüglich Herrn Thielemann noch einmal zu überdenken. Es ist keine Schwäche, eine Entscheidung zu ändern, sondern Stärke.
Mit einer Metapher möchten wir diesen Brief beenden: Im Grünen Gewölbe wurden die sächsischen Kronjuwelen gestohlen – und in der Semperoper schmeißt man ein Juwel zum Fenster heraus!
Mit freundlichen Grüßen
Brigitte & Olaf Barthier, Bayreuth, lange Bewohner Dresdens
klassik-begeistert.de, 25. Mai 2012
Persönliche Anmerkung des Herausgebers: Ich kenne fast niemanden, der der Semperoper Dresden und den Bayreuther Festspielen empathischer und symphatischer verbunden ist als das Ehepaar Barthier.
Ich gebe der Autorin und dem Autor in vielen Belangen recht, möchte aber auch zu bedenken geben, dass sich die Oper in ihrer Gestalt, in ihrer Wahrnehmung und ihrer gesamten Beschaffenheit schleunigst ändern muss – und zwar des Überlebens wegen. Wir benötigen eine zeitgemäßere, der breiteren Masse zugänglichere Form des Opernbesuchs, zu der sicherlich unter anderem gehören dürfte, dass Spielpläne mehr Platz für Neues bieten und nicht – überspitzt ausgedrückt – die 370.000ste Version des Rings zum Besten kredenzt wird. Darin ist Thielemann sicherlich weltweit die Nummer eins, ein Revolutionär ist er aber wahrlich keiner. Ich selbst, als kein großer Freund Thielemanns, begrüße gefühlt erstmals eine Entscheidung der CDU, hoffe auf einen dynamischeren und weniger konservativ gehaltenen Spielplan und schließe mit einem Zitat Kurt Weills, der feststellte: „Ich bin überzeugt, daß die Oper im traditionellen Sinne mit Wagner, Strauss und deren Nachfahren ihr Ende gefunden hat…“
Raphael Eckardt
Sehr geehrter Herr Eckardt,
danke für Ihren Kommentar. Sicherlich muss sich auch ein Opernhaus an die Zeit und den allgemeinen Fortschritt anpassen und sicherlich auch für jedermann zugänglich sein. Dafür gab und gibt es in der Oper und auch in der Semperoper einige Angebote im Spielplan. Sie werden mir aber sicher zustimmen, dass es auch einem solchen Haus gestattet sein sollte, gewisse Kostbarkeiten zu pflegen. Ich kenne viele, ich selbst zähle auch dazu, die nichts dagegen haben, die 371.000ste Version des Ringes zu erleben.
Zu Ihrem Zitat von Kurt Weill fällt mir spontan folgendes ein, als Strauß-Verehrer und Wagnerianer natürlich mit einem Augenzwinkern, „Wenn das Ende der Oper naht, dann möge die Semperoper das gleiche Schicksal wie Walhall ereilen“.
Olaf Barthier
Liebes Ehepaar Barthier,
über eine Personalie verärgert zu sein, sollte nicht dazu verführen, extrem unsachlich, und teilweise auch schlecht informiert zu urteilen.
„Die Semperoper ist ein Ort, an dem die Werke von Wagner, Weber und Strauss uraufgeführt wurden, und in diesem Bereich ist Herr Thielemann eine weltweit anerkannte Größe. Und vielleicht die Größe schlechthin. Noch dazu ist das ein wichtiges Kapitel sächsischer Kulturgeschichte.“
Bekanntlich ist Herr Thielemann selten als Operndirigent an der Semperoper in Erscheinung getreten, also verliert die Oper ohne ihn auch nicht an Strahlkraft, die sich ohnehin seit Jahren in engen Grenzen hält.
„Und dieses Team, also die Sächsische Staatskapelle Dresden, steht hinter Herrn Thielemann. Entgegen Tradition und Logik wurde es bei der Entscheidungsfindung nicht mit eingezogen.“
Waren Sie bei den Besprechungen anwesend? Der Ministerin war wie jedem gut Informierten bekannt, dass es im Orchester sehr wohl eine Anti-Thielemann-Fraktion gibt. In den letzten zwei Jahren sind dem Orchester wichtige Führungskräfte abhanden gekommen, die Stelle des Konzertmeisters ist seit Längerem unbesetzt.
„Die Semperoper ist im nationalen und internationalen Ranking gerade durch Herrn Thielemann und das Orchester berühmt und ein strahlender Leuchtturm. Durch den Rausschmiss von Herrn Thielemann wird es keine Chance mehr geben, mitzuhalten.“
Auch hier muss ich widersprechen: vom strahlenden Leuchtturm ist die Semperoper durch ein fehlendes gutes Führungsteam weit entfernt, mit Wien, München, etc. kann sie nicht mithalten. Und es sei daran erinnert, dass es Herrn Thielemann zu danken ist, dass der gekürte Intendant, Herr Dorny, für ein Vermögen aus seinem Vertrag gekauft wurde, nur weil er Thielemann nicht gefiel.
„Durch den Rausschmiss von Herrn Thielemann wird es keine Chance mehr geben, mitzuhalten.“
Ich würde es nicht als Rausschmiss bezeichnen, wenn man einen Vertrag, der zu seinem Ende 12 Jahre gewährt haben wird, nicht mehr verlängert. Bei allen unstrittigen Qualitäten Thielemanns darf man aber auch nicht übersehen, dass die Begrenztheit von Thielemanns Repertoire bei der Entscheidung eine Rolle gespielt hat. Ein Orchester wie die Sächsische Staatskapelle will und braucht einen GMD, der ein breiteres Spektrum mitbringt. Wenn ein Bruckner-, Beethoven- und Brahms-Zyklus einander abwechseln, so ist das für ein Orchester dieses Levels auf Dauer nicht befriedigend.
Dass Thielemanns Vertrag schon bei der ersten Verlängerung auf der Kippe stand, weil seine Forderungen etwas überzogen waren, sei hier nur am Rande erwähnt. Gewöhnlich gut informierte Kreise wissen zu berichten, Thielemann hätte diesmal auf einem Vertrag auf Lebenszeit bestanden. Dass die Ministerin dem einen Riegel vorgeschoben hat, muss man begrüßen.
Bitte verfallen Sie nicht in den Fehler, aus Verehrung für einen Künstler Fakten geflissentlich zu übersehen!
Peter Sommeregger
Lieber Herr Sommeregger,
Sie schmeicheln mir sehr mit Ihrem Kommentar.
Heinz Sichrovskys schreibt in seiner Veröffentlichung vom 12. Mai 2021 in Spitzentöne „Hurra, Thielemann ist frei für Wien“: „Thielemann hat es an sich, das Mittelmaß gegen sich aufzubringen.“
Dass Herr Thielemann an der Semperoper nicht so oft in Erscheinung getreten ist, mag stimmen, aber wenn, dann mit voller Pracht und Schönheit.
Ist nicht ein Intendant und eine Frau Ministerin mit ihrem Vertragswerk dafür verantwortlich, die Auftritte ihres Chefdirigenten zu regulieren. Herr Thielemann hat in einem Interview darüber berichtet, dass er nur ein Werk dirigieren kann, wenn er in das Werk ganz ganz tief eingetaucht ist. Z. B. einen Tristan kann er nur sehr wenige Male leiten, weil es ihn so stark beansprucht, das es ihn an gesundheitliche Grenzen führt.
Auch Anna Netrebko interpretiert ein Werk nur, wenn sie zu hundert Prozent in die Partitur und Rolle eingetaucht ist. Sie könnte auch jeden Abend bei einer Aufführung passend zu ihrer Stimmlage mitwirken, aber das entspricht nicht ihrem Anspruch.
Natürlich war ich bei der Besprechung mit der Ministerin nicht anwesend, aber wenn Sie so gut informiert sind, dann wissen Sie, dass bei der letzten Orchestervorstandsabstimmung man sich für eine weitere Zusammenarbeit mit Herrn Thielemann entschieden hat. Ihre Aussage, dass das Orchester nur Bruckner, Beethoven und Brahms spielt ist nicht richtig. Die Semperoper ist ein Mehrspartenhaus und spielt daher Produktionen von Barock bis Neuzeit.
Sie sprechen die peinliche Angelegenheit mit Herrn Dorny an. Genau das ist fraglich, ob das so, wie Sie es darstellen, richtig ist. Sie wissen vielleicht nicht, dass einiges bei der Einarbeitung von Herrn Dorny sehr schlecht gelaufen ist. Es ist einfach, Herrn Thielemann zu unterstellen, dass er der alleinige Schuldige ist. Fraglich ist auch, ob alles, was sich damals abgespielt hat, in die Öffentlichkeit gehört. Es herrschte zu jener Zeit große Unzufriedenheit und Aufruhr im Ensemble. Nur ein Beispiel: Herr Dorny hat verlangt, dass alle Solisten bei ihm vorsingen. Üblicherweise verschafft sich ein neuer Intendant einen Überblick über sein Ensemble indem er Aufführungen und Proben besucht.
Nun zu der Vielfalt, die Sie von einem neuen Dirigenten erwarten, denn Herr Thielemann kann ja nur, so verstehe ich Sie, Bruckner, Beethoven und Brahms. Ich möchte mich einer Metapher bedienen: Wenn Sie ein krankes Organ haben, welches nur durch eine Operation geheilt werden kann, welchen Arzt würden Sie aufsuchen? Einen Professor, der täglich so eine Operation durchführt, und von überall her Patienten zu ihm kommen oder einen Operateur, der vom Blindarm bis zur Schussverletzung, ähnlich wie im Feldlazarett, alles behandelt. Ich müßte nicht lange überlegen.
Noch ein Wort zum Vertrag von Herrn Thielemann: Sie verweisen darauf, dass er einen Vertrag auf Lebenszeit angestrebt hat. Herr Thielemann ist jetzt 62 Jahre alt und in der Semperoper angekommen. Kann man nicht dafür Verständnis haben, dass er dem Orchester verbunden bleiben will.
Zu Ihrem ersten Satz erlaube ich mir noch Folgendes anzumerken: Da Sie ja vom Fach sind, kennen Sie sich sicher auch bei Wagner aus. So wie Tannhäuser auf der Wartburg beim Sängerwettstreit in höchster Empathie vor der hohen Gesellschaft sich erklärt, im Venusberg gewesen zu sein, genauso kann ich Ihnen berichten, dass ich nicht nur einmal selber auf den heiligen Brettern der Semperoper gestanden habe und miterleben durfte, wenn Herr Thielemann eine Aufführung geleitet hat. Ich werde das niemals vergessen, was das für Emotionen auslöst, wenn zum Schluss der Vorhang fällt und sich nach kurzer Weile wieder öffnet und ein voll besetztes Haus mit Händen und Füßen applaudiert und jubelt. In diesem Moment hatte ich das Gefühl, dass sich meine Haut vom Körper löst und man sich in einem unbeschreiblichen Zustand befindet. Dieses Gefühl kann bei einer Aufführung durch Thielemann schon mal gut 15 bis 20 Minuten durch die Euphorie des Publikums getragen werden.
Dieses Ganze wird nun durch die Frau Ministerin abgebrochen bzw. zerstört.
Olaf Barthier
Liebes Ehepaar Barthier,
gute Aktion, Sie haben meine volle Unterstützung!!!
Allein ich fürchte, sie wird nichts nutzen, da die Politiker schonungslos ihre Agenden durchziehen.
Andererseits: Wer nichts wagt, der nicht gewinnt.
Toi, toi, toi!
Herzlichen Dank.