Turangalîla © CoveNouveau2024
Symphoniker Hamburg
Sylvain Cambreling – Dirigent
David Kadouch - Klavier
Nathalie Forget - Ondes Martenot
Olivier Messiaen – Turangalîla-Sinfonie für Klavier, Ondes Martenot und Orchester
Laeiszhalle, Großer Saal, 16. Juni 2024
von Harald Nicolas Stazol
Nathalie Forget? Nathalie Forget-me-not!!! Nein, wirklich diese Virtuosin am „Ondes Martinot“ – am WAS? Ja, Sie lesen richtig, das ist eine Art frühe Hammond-Orgel, die an diesem Abend in der Musikhalle – äh, der Laeisz, daran werde ich mich nie gewöhnen – alle möglichen Töne zu produzieren imstande, bzw. Nathalie kann es, wie keine andere, da sind quietschende Läufe drin, und Jazz-Trompeten, aber halt! Worum geht es? Die Klaviatur in der Linken, eine Zigarrenschachtel-groß herausstehend das Manual, und eine hellhölzerne Box.
Es geht auch um das Abschlusskonzert vor der Renovierung der altehrwürdigen Dame am Johannes-Brahms-Platz, in Goldstuck und zurückhaltender Eleganz, die nun, so sagt es Professor Daniel Kühnel gerade, „bis Oktober geschlossen sein wird“ und „schön, dass Sie hier sind, und nicht woanders!“, soll heißen, nicht im Stadion, Holland spielt, (natürlich habe ich eine orange Hermès-Krawatte um!), oder, im anderen Stadion an der Elbe, bei Currentzis’ „War Requiem“ von Benjamin Britten. Nun, das wird man sicherlich noch oft hören können – Olivier Messiaen aber und seine einzige Symphonie „Turangalîla“?
Ich bezweifle es!
„Oh, wird das nicht sehr dissonant?“, frage ich die Direktion, habe ich doch gerade vor einer Woche Oliviers „Assisi“ überstanden.
Warum Hamburg in einen Messiaen-Rausch ausbricht gerade – keinen Plan…
Hingerissen ist das blutjunge Liebespaar, sosehr, dass dem jungen Galan in einem Zwischensatz deutlich hörbar der „Freundschaftsring“ hinabfällt, silbern der Klang, und ganz passend, denn als silbern könnte man die ganze Sinfonie bezeichnen.
Und wie passend zudem, hat der Komponist doch den zauberhaften Mythos von Tristan und Isolde, noch ein Liebespaar, in der Gesamtentwicklung des Werkes zum Vorbild! Außerdem ist die Bühne bis an den äußersten Rand besetzt, samt Gamelan-Schlagwerk. Wie bitte? Zwei Reisen unternahm ich nach Bali, wo die volltönenden den Trommeln ja fast zum Täglichen gehören, vor allem bei religiösen Zeremonien, und so erfreut deren Einsatz den Rezensenten außerordentlich – der Dirigent aber, Sylvain Cambreling den ich nun zum sechsten Male sehen darf, hat akrobatisch alle Hände voll zu tun, und wieder mit einem Gesicht, das erst rötlich, dann rot, dann purpurn wird – ihm ist auch völlige Bewunderung entgegenzubringen!
Dann dem ebenfalls auf das Alleräußerste geforderten Pianisten, David Kadouch, der das Ganze im Sinne des Worts be-flügelt! Man mag sich auf YouTube eines Eindruckes vermittelt sehen:
Wie also will man dieses Meisterwerk, nicht anders ist es zu nennen, beschreiben? „Irgendwo zwischen Alice in Wonderland und Star Wars“, sagt meine Nachbarin zur Linken nach dem Ende während sich ihr Begleiter wiederum zwischenzeitlich ob der bis an die Grenzen des Hörbaren die Ohren zuhält, was den Teenies neben mir, an Techno gewöhnt, keine Schwierigkeiten zu bereiten scheint.
Serge Koussevitzky, dem langjährigen Direktor des Boston Symphony Orchestra, ist es zu danken, dass Messiaen diese Symphonie geschrieben hat. Er gab ihm 1945 den geradezu traumhaft generösen Kompositionsauftrag: „Schreiben Sie ein Werk ganz nach Ihrem Willen in der von Ihnen gewünschten Stilrichtung. Wählen Sie so viele Instrumente wie Sie wollen, schreiben Sie ein Werk des Umfangs, den Sie brauchen. Ich setze Ihnen keinerlei Frist für die Abgabe Ihrer Arbeit.“
Ist das das nicht ein Traum für Messiaen? Zwei Jahre nimmt er sich Zeit, der Tiefreligiöse, und so fällt es auf lange Sicht wenig ins Gewicht, dass ihn zur Uraufführung in Boston am 2. Dezember 1949 nur wenig Begeisterung entgegenkommt – aber nun gilt es als einer seiner Glanzstücke, tief verwurzelt in der Tradition der Moderne, allerdings angefochten von den anderen Modernen, die die Symphonie wird als reaktionär empfunden.
Naja, an den Reaktionen meiner Kiddies zur Linken nebendran – an ihrer vollen Hingabe nicht der geringste Tadel! Wie schön, sie dabeizuhaben! Jugend in die Säle!
Zur Entstehung: „Messiaen zögerte natürlich nicht, nahm sich zwei Jahre Zeit und schöpfte das Angebot voll aus. Hier konnte er verwirklichen, was ihn bereits als Elfjährigen am Pariser Conservatoire beschäftigt hatte: die Rhythmen der Griechen, Inder und Javanesen, die Folklore verschiedener Völker, der Rhythmus der Sterne, des menschlichen Körpers, der Atome und der Gesang der Vögel.
Messiaens Schüler, kein Geringerer als Pierre Boulez, urteilte vernichtend: „Zu viel Zucker, zu viel Hollywood, über weite Strecken vulgär. Freudenhausmusik. Zum Kotzen“.
Boulez war nicht der einzige Zeitgenosse von Messiaen, der das Werk brüsk ablehnte. Zu viel Gegensätzliches vereinte der Komponist in diesem rund 80 Minuten dauernden monströsen Werk, das als extrem komplexe Klangmixtur rasanten Drive gegen meditative Passagen, schillernd krachende, hoch virtuose Sequenzen gegen triviale, bis zum Kitsch sentimentale Momente setzt, verbunden mit enormen Schwierigkeiten, immer durchzogen von einer tiefen Gläubigkeit. Das überforderte viele Zuhörer.
In keinem Takt die Symphoniker Hamburgs überfordert, nein, glanzvoll. Zuviel Hollywood? Dieser nun 80 Jahre alten Sinfonie kann man ALLES unterstellen – aber zu Hollywood kann es heute gar nicht genug reichen!
Sechsmal werden Dirigent und Solisten zurück auf die Bühne erfleht.
Ich kann kein Fehl daran finden.
Harald Nicolas Stazol, 18. Juni 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.de
Olivier Messiaen, Turangalîla-Symphonie Philharmonie Berlin, 25. Mai 2023