Opernfestival im Römersteinbruch (Burgenland, Österreich): Hier ermordeten SA-Nazis etwa 100 ungarische Juden

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Ritterbands Klassikwelt 22: Der Schauplatz dieses Nazi-Massakers ist in diesen Tagen die imposante Kulisse des jährlichen Opernspektakels „Oper im Steinbruch St. Margarethen“ – und es wundert und schmerzt den informierten Beobachter, dass zweifellos kein einziger der Zuschauer des großartigen Historiendramas über die biblischen Hebräer („Nabucco“ von Giuseppe Verdi)  auch nur eine Ahnung hat, dass sich genau hier und nicht im zeitlich und geografisch fernen Babylon ein viel schlimmeres Drama abgespielt hat, möglicherweise unter Billigung oder gar aktivem Zutun seiner Vorfahren.

von Dr. Charles E. Ritterband (Text und Foto)

Jahr für Jahr werden im Römersteinbruch nahe des burgenländischen Weinstädtchens St. Margarethen spektakuläre Freiluft-Opernproduktionen mit erstklassigen Sängern, einem hervorragenden Orchester und aufwändigem, in die schroffe Felslandschaft des Steinbruchs raffiniert integriertem Bühnenbild gezeigt. Zu dieser größten Naturbühne Europas strömen jeden Sommer Tausende von Besuchern, vor allem aus dem knapp eine Autostunde entfernten Wien.

Wie auf der Seebühne Bregenz, am westlichen Ende Österreichs, gibt man den großen, allseits bekannten Opern mit umfangreichen Chören und berühmten Arien den Vorzug, und dieses Jahr wurde Verdis „Nabucco“ (in der Inszenierung von Francisco Negrin), dieses biblische Freiheitsepos der geknechteten Hebräer, zur Aufführung gebracht – mit Sängerinnen und Sängern der Weltklasse.

Und obwohl Regisseur Negrin im Programmheft feststellt, dass man mit dieser Oper „vermintes Terrain“ betrete, entging sowohl ihm als auch den übrigen Produktionsmitgliedern dieser Inszenierung das eigentliche Minenfeld, das mit der Aufführung der Hebräer-Oper „Nabucco“ ausgerechnet auf diesem Schauplatz betreten wurde: Tausende von jüdischen Zwangsarbeitern, aus dem nahen Ungarn zum Bau des nie eingesetzten „Südostwalls“ gegen die vorrückende Rote Armee hierher, in die unmittelbare Nähe der ungarisch-österreichischen Grenze getrieben, hatten den Römersteinbruch vor der Weiterführung dieses Todesmarschs in westlicher Richtung ins KZ Mauthausen als „Sammelstelle“ und Nachtquartier zu benutzen. Dabei kam es zu mehreren Massakern an diesen völlig entkräfteten, großteils todgeweihten ungarischen Juden: sechs von ihnen wurden im Steinbruch am Vormittag des 30. März 1945, 30 bis 40 jüdische Zwangsarbeiter am Nachmittag erschossen, zwei nach einem Fluchtversuch schwer verletzte Juden wurden am folgenden Tag nahe des Steinbruchs erschossen, und am Abend des 30. März 1945 wurden dort weitere 40 ungarische Juden erschossen. Fünf Wochen vor Kriegsende.

Der Bürgermeister und Ortsgruppenleiter des Städtchens, Karl Unger, ließ es sich nicht nehmen, mit seiner Pistole höchstpersönlich einen der Unglücklichen zu erschießen. Ein lokaler Gendarm namens Matthias Kremser wurde Zeuge, wie SA-Männer Dutzende der ungarischen Juden von der Oberkante des Steinbruchs aus 20 bis 30 Metern Höhe in den sicheren Tod hinabstießen.

Der Schauplatz dieses Massakers ist heute die imposante Kulisse der jährlichen Opernspektakel „Oper im Steinbruch St. Margarethen“– und es wundert und schmerzt den informierten Beobachter, dass zweifellos kein einziger der Zuschauer dieses großartigen Historiendramas über die biblischen Hebräer auch nur eine Ahnung hat, dass sich genau hier und nicht im zeitlich und geografisch fernen Babylon ein viel schlimmeres Drama abgespielt hat, möglicherweise unter Billigung oder gar aktivem Zutun seiner Vorfahren.

Gerade bei der Inszenierung einer Oper, die sich so wirkungsvoll mit der Geschichte des jüdischen Volkes befasst, wäre ein bescheidener Hinweis oder vielleicht gar ein aufklärender Artikel im Programmheft durchaus angebracht gewesen. Aber das hätte wohl manchem die Freude an dem schönen Opernabend getrübt…

Quelle u.a.: https://www.forschenunderinnern-burgenland.at/index.php/st-margarethen/die-erschiessung-von-30-40-juden-am-nachmittag-des-30-maerz

Dr. Charles E. Ritterband, 21. Juli 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Ritterbands Klassikwelt (c) erscheint unregelmäßig

Der Publizist und Journalist Dr. Charles E. Ritterband, 69, geboren in Zürich / Schweiz, ist Verfasser mehrerer Bestseller („Dem Österreichischen auf der Spur“, „Österreich – Stillstand im Dreivierteltakt“ sowie „Grant und Grandezza“) und hat als Auslandskorrespondent 37 Jahre aus London, Washington, Buenos Aires, Jerusalem und Wien für die renommierte Neue Zürcher Zeitung (NZZ) berichtet. Er studierte Germanistik, Geschichte, Philosophie und Staatswissenschaften an den Universitäten Zürich und Harvard sowie am Institut d’études politiques de Paris und an der Hochschule St. Gallen. Seit Kindesbeinen schlägt Charles’ Herz für die Oper, für klassische Konzerte und für das Theater. Schon als Siebenjähriger nahm ihn seine Wiener Oma mit in die Johann-Strauß-Operette „Eine Nacht in Venedig“. Die Melodien hat er monatelang nachgesungen und das Stück in einem kleinen improvisierten Theater in Omas Esszimmer nachgespielt. Charles lebt im 4. Bezirk in Wien, auf der Isle of Wight und in Bellinzona, Tessin. Er schreibt seit 2017 für klassik-begeistert.de.

Charles E. Ritterband mit seinem Königspudel auf der Isle of Wight

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NABUCCO von Giuseppe Verdi Wiener Staatsoper, 1. November 2021

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4 Gedanken zu „Opernfestival im Burgenland: Hier ermordeten SA-Nazis etwa 100 ungarische Juden
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  1. Guten Abend, vielen herzlichen Dank für die Bemühungen, über diese leider noch immer in unserer Region unbekannte Tatsache über die unmenschlichen Verbrechen im Steinbruch zu informieren! Ein wichtiger Teil unserer Geschichte hier, dem immer noch zu wenig Beachtung gescheckt wird. Die unzähligen Roma und Sinti, die besonders in St. Margarethen, aber auch in vielen Ortschaften im Burgenland gelebt haben und in dieser Zeit systematisch ermordet worden sind, bekommen nach und nach wieder Namen, Gesichter und Orte. Es ist noch ein weiter Weg zu gehen!

    Victoria Schreiner

  2. Danke für die Darstellung! Es ist wichtig, dass bei Orten auch der historische Kontext erklärt wird. Eine Bezugnahme auf die furchtbaren Ereignisse im Jahre 1945 im Programmheft hätte erfolgen müssen.

    Prof. Dr. Helmut Holzinger

  3. Vielen Dank für den Artikel und das Erinnern an diesen Kontext. Wichtig und verdienstvoll!
    Zur Vorsicht raten möchte ich bei Formulierungen wie diesen: „und es wundert und schmerzt den informierten Beobachter, dass zweifellos kein einziger der Zuschauer des großartigen Historiendramas … auch nur eine Ahnung hat, dass sich genau hier …“ Das ist doch eine unnötige Hybris und überdies rein spekulativ. Oder haben Sie jeden Zuschauer gefragt? „Zweifellos“, „kein Einziger“? Das hat leider den Beigeschmack, sich als einziger Wissender zu inszenieren – was dann natürlich das Licht der Erkenntnis um so heller strahlen lässt. Viele werden es vermutlich nicht sein, aber so lange man nicht selbst gerade erst Zusammenhänge investigativ-exklusiv zutage fördern konnte, ist es dann doch etwas stark, so komplettes kollektives Unwissen zu unterstellen.

    Guido Marquardt

  4. Warum kommt man nicht sofort selbst auf so naheliegenden Zusammenhänge? Bei einer mit diesen damaligen Erlebnissen durchaus ansprechbaren Zeitzeugenschaft (Jahrgang 1939) und meinen individuellen Erlebnissen dazu kann ich mir diesen Vorwurf nicht ersparen. Ist das der Hitze geschuldet? Das wäre eine zumindest verständliche Auslegung. Erfreulicherweise hat Ursula Schandl den Bericht weitergegeben, speziell ein Danke dafür..
    Aber der Anlaß ist nun da und genug Stoff für weiterführende Gespräche. Erfreulicherweise treffe ich kaum Menschen, die den Holocaust leugnen. Trotzdem: immer wieder daran erinnern und vor allem auch mit Jüngeren darüber reden und klar Stellung beziehen. Offene Gegnerschaft gibt´s ja nicht, aber viel zu oft „Du hast ja recht, ABER………“

    Heinz Lindauf

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